Abflug? Abflug!
In der Danksagung am Ende ihres Bandes Luftpost für eine Stelzengängerin zitiert Tina Stroheker Hilde Domins Worte, die unserer Autorin selbst „Wegbegleiter“ beim Erstellen des Buches gewesen seien: “Der Schriftsteller braucht drei Arten von Mut. Den, er selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben.“ Eine gedachte vierte Forderung Domins, da die ersten drei ja nicht unbedingt auf schöne Literatur abzielen müssen, ist sicherlich anzusetzen mit: Aus dieser Authentizität heraus gute Literatur hervorbringen!
Wie hat die Autorin diese Vorgaben hier umgesetzt?
Den Mut, sie selber zu sein, beweist die Autorin: Ihre Erzählerin ist von einer mächtigen Liebe ergriffen worden, der sie, überaus leidenschaftlich, nur manchmal zagend, gegenübertritt und die dauern möge.
Den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen, bringt die Autorin wahrhaftig auf. Hier liegt der Schwerpunkt, die Stärke des Buches: Von den 86 - bescheiden, aber auch wohl ein wenig mit angehaltenem Atem angesichts der thematischen Brisanz – vage als „Notate“ benannten Prosaminiaturen (nie länger als eine Druckseite) ist ein erheblicher Teil in Bezügen auf lesbische Liebe gehalten, wunderbaren wie dieser:
Immer neu finden die Hände zusammen. Bevor die Musik einsetzt, ihre Bewegung, leicht wie ein Flügelschlag, schon liegen sie ineinander. Als könnte es anders nicht sein. (Notat „Immer neu“).
Allerdings:
Im Traum habe ich dir in den Hals gebissen (Notat „Im Traum“)
lässt den männlichen Rezensenten ein wenig erschauern …
Ja, „umgelogen“ (s. Domin) hat die Autorin ebenfalls nicht, dass Fakten bestehen, welche die Erzählerin nachdenklich machen:
Dass sie auch noch einen Ehemann hat, der weiterhin zu ihr steht:
Zu Hause wartet einer am Bahnsteig. (Wie immer und immer noch, ein schwieriges Wunder.), Notat „Jeder Bahnhof“ .
Dass ihr nicht klar ist, ob die eigenen Tränen in die Ferne hinein vergossen, dumm oder besonders gescheit sind, sich hier mit dem winselnden Hund aus der Nachbarwohnung solidarisierend, in für den Leser angenehmer Selbstironie: Was für ein dummes Hündchen! (Notat „Du hörst“).
Und schließlich, dass sie nicht weiß, ob sie überhaupt jung genug ist, ausreichend anziehend; sie verschweigt es nicht:
Wut, plötzlich Wut, die Schwester des Schmerzes. Wut, wenn ich meinen Körper ansehe, den Du nicht mehr brauchst. Wie er altert (überm Nabel kräuselt die Haut sich) und nicht mehr zu Dir darf. Wut auf Dich, die das entschieden hat. (Notat „Wut, plötzlich Wut“)
Doch trotz alledem, sie will, sie muss, sie musste der Liebe zu ihrer Freundin in der anderen Stadt, in dem anderen Land Raum verschaffen:
Hier habe ich Wurzeln geschlagen, dort ziehe ich aus Deinen Umarmungen Kraft. … Ich rase durch diese Tage, ich flattere, flackere, fürchte, allem untreu zu werden und denke an nichts anderes als Aufbruch. … Und doch setze ich diesen Weg fort, und gestern belohnte mich jemand, der sagte: Du strahlst. Du siehst aus wie eine Frau, die sich in eine Frau verliebt hat; ich stürzte aufs Klo und heulte. Diese Post kriegst Du nicht. Aber eine Fahrkarte werde ich kaufen.“ (Notat „Kein guter Tag“)
Ja, auch Domins dritter Forderung kommt Tina Stroheker nah. Den Leser erreichen die Notate. Ohnehin diejenigen Leser, die sie als Zeugnisse einer Option gesellschaftlich-individueller Lebensführung lesen; diejenigen, die ganz allgemein einfühlsame und echte Beschreibung beglückt; den Literaturkenner dann, wenn die Autorin ihre Bekenntnisse – sei es als Brief, Filmausschnitt oder Gedicht - in Zitate anderer Literatinnen, aber genauso auch Literaten einbettet. Was reichlich geschieht.
Ob die Anrufbarkeit der Geliebten selber aber gleichermaßen unbedingt gegeben ist, war?
Fair auf jeden Fall, loyal bleibt die Erzählerin ihr gegenüber, Eigenständigkeit der Anderen respektierend:
Doch Deine Nacht soll nur Dir gehören. Dann brichst Du wieder zu Deinen Flügen auf, ein Stück weit mit mir, ein Stück weit mit anderen, aber auch weiter allein. Während ich mich stärker der Erde verschrieben habe. (Notat „Neben Dir“)
Glücklich die Liebende ohnehin, der weiterhin das Schreiben bleibt:
Dabei brauche ich meine Arbeit jetzt besonders: Ein fertiger Text kann mir versichern, daß ich noch ich bin, mich mit mir verbinden. Und ich vergesse nicht, daß die Worte oft klüger sind als die, die sie verwendet. (Notat: „Haltet mir…“)
Luftpost für eine Stelzengängerin ist ein vom Verlag Klöpfer&Meyer auch äußerlich liebevoll erstelltes Büchlein, das Tina Stroheker als mutige und fähige Autorin ausweist.
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