Napalmnester neben durchgebrannten Birnen
Neulich saß ich mit einem angenehm kühlen White Russian auf dem Sofa und zappte mich durch die Programme. Auf einem vom Feuilleton anerkannten Sender erwischte ich einen Bericht über einen neunjährigen Jungen aus einer Kleinstadt in Belgien. Er spiele gerne Fußball und Computer, was ihn aber von anderen Kindern seines Alters unterscheide, sei die Art und Weise, wie er in den Tag starte. Während seine Altersgenossen den Ruf der Mutter gerne ignorieren und sich lieber noch mal umdrehen, stehe er seit vier Jahren jeden Morgen um Punkt 6 Uhr auf, um sich seiner umfangreichen Lexika-Sammlung zu widmen. Innerhalb einer halben Stunde arbeite er sich allmorgendlich durch drei Begrifflichkeiten wechselnder Fachgebiete – in der Kunst von Abstraktion bis Trompe l´oeil, in der Menschheitsgeschichte von der neolithischen Revolution bis zum späten Imperialismus, die Themenbereiche Mikrobiologie, Physik und Architektur betrachte er als abgeschlossen; gerade sei er mit den Ernährungswissenschaften befasst. Ergriffen von einer Mixtur aus Zieh-den-Hut und Ekel schaltete ich auf KIKA, um Bernd dem Brot zum x-ten Mal dabei zuzusehen, wie er die Präsidentschaft des Raufaser-Fanclubs übernimmt.
Vielleicht/wahrscheinlich wäre mein Leben ein komplett anderes und ich selbst ein unausstehlicher, von allen gemiedener Klugscheißer, wenn ich es dem belgischen Jungen gleichtäte. So aber muss ich eingestehen, dass mich mein auf normalem Niveau befindliches Allgemeinwissen des Öfteren dazu zwingt, Google zu bemühen. So auch letztens, als ich den ersten Gedichtband von Tobias Falberg in die Hand nahm. Plastiniertes Gelände heißt er, und ich muss bekennen, dass mir beim Wort "Plastination" zwar sofort die Körperwelten einfielen, ich aber nicht genau wusste, was sich dahinter verbirgt. Also Wikipedia bemüht und erfahren, dass die Plastination ein Konservierungs-Verfahren ist, bei dem man in Zellen vorhandenes Wasser durch Kunststoffe ersetzt, wodurch die Präparate zwar ihre natürliche Farbe verlieren, dafür aber Oberfläche und Struktur dauerhaft erhalten bleiben. Aha, so so.
Bei Gunther von Hagen also die konservierten Körper, im Liegen, im Stehen, im Sprung, aber bei Falberg: plastinierte, konservierte Landschaften? Landschaften, denen ein lebenswichtiges Element entzogen und durch Kunststoffe ersetzt wurde? Bewegt sich der 1976 in Lutherstadt Wittenberg geborene Autor gedanklich in oder vielmehr auf einer überdimensionalen Modelleisenbahnplatte mit Bäumen aus Draht und aufgeklebten Straßen? Und wenn ja: Wozu soll das gut sein? Die Gedichte werden es zeigen!
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die aus der langen Einleitung herauszulesende Befürchtung, aus den Gedichten sei sämtlicher Lebenssaft herausgepresst worden und der Autor vergaloppiere sich in hydrogeologisch durchsetzter Fachsprache, die in ihrer Konsistenz an einen Nonnenfurz erinnert, bewahrheitet sich nicht. Zwar lässt er es sich nicht nehmen, hier und da wissenschaftliche Kenntnisse anzudeuten, jedoch dienen diese dann weniger der Prahlerei als vielmehr der Schilderung einer hochtechnisierten, sich ständig in Bewegung befindlichen Erde und damit einem vor allem im vergangenen Jahrhundert stark modifizierten, durch die Menschheit an seine Grenzen gebrachten Planeten.
Falberg zeichnet die Erde in seinen teilweise geradezu apokalyptisch anmutenden Gedichten als Biotop für eine Spezies, die als hochentwickelt gilt und dennoch davon bedroht ist, mit der eigenen Technisierung nicht schritthalten zu können und durch eigenen Hand ausgelöscht zu werden. Und könnte man es der Erde übel nehmen, wenn sie sich unserer entledigen würde?
Paternoster
Wir haben Fässer in die Erde versenkt,
die jetzt zurückkehren, rostige Paternosterzwischen Unter- und Oberwelt.
Wir begutachten Wurzeln, brüchigeBaumkomplexe, befallen vom Hallimasch.
Er lässt das kranke Holz leuchten,während er es verbraucht.
Unter der Rinde dieser Gegendwandert das Geflecht der Schächte,
ein agiles Ganzes mit offenem Ausgang.
Umweltverschmutzung (... // verlorene Ozeane, unsere Haut / schält sich wie Tapete im prickelnden / Kadaver des Atlantik. – aus dem Zyklus "Fiel ein feuriger Regen"), Genmanipulation, aggressive Annektierungspolitik, die Folgen der Erderwärmung –dies sind nur einige der angeschnittenen Frevel. Ein dem Untergang geweihter Planet. Und mittendrin der Mensch. Manchmal mit offenen Augen und Ohren und dem Willen, den Missständen ein Ende zu setzen. Zumeist aber passiv, wie ein durch die Zeit lavierendes, durch seine Umgebung domestiziertes, konditioniertes Tier, dem Pawlowschen Hund nicht unähnlich (Überall stoßen wir uns / in den kleinen Kabinen, / wir kultivieren die Weltsicht / geschlagener Köter, // das Fleisch wird zart, / das Fell spannt. Bei Erfolg / regnet es Cracker. // ... – aus "Neurotische Cracker").
Um den Gedichten ein wenig der globalen Brisanz zu nehmen, zieht Tobias Falberg sie des Öfteren auf eine intime, zwischenmenschliche Ebene – was es selbstverständlich nicht besser macht, kann das bloße Wissen um den Niedergang ihn doch nicht verhindern: ... // Wenn du das Wasser, sagte er, / ganz langsam erhitzt, / fängt der Frosch / erst spät zu zappeln an. – aus "Nachruf".
Ein engagierter Gedichtband (engagiert, nicht jammerig!), den es zu lesen lohnt.
Fixpoetry 2014
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