Einladung zur Todestags-Party-und alle kamen mit Geschenken
Es steht uns gut an, wenn wir in schöner Freiwilligkeit eine sogenannte runde Zahl im Dezimalsystem zum Anlass nehmen, einen Mitmenschen zu ehren (auch wenn daraus manchmal eine Pflichtübung wird). Gleichzeitig ergibt sich dabei die Probe, wie lebendig der Betreffende noch wirkt oder nachwirkt.
Schon Georg Trakls Todesdatum erweckt ein verstärktes Interesse, da es nicht aus Zufall mit dem Schicksalsjahr 1914 verknüpft ist. Allerdings - „Über seinem Grab erhebt sich heute eine Pyramide von kommentierender Literatur“ - das sagte Trakls Biograph Otto Basil im Jahr 1965 (!). Die Pyramide ist seitdem nicht kleiner geworden. Zudem gibt es die neue Biographie von Rüdiger Görner (Wien, Zsolnay, 2014) und die Neuauflage von Hans Weichselbaums Biographie aus dem Jahr 1994 (Salzburg, Otto Müller, 2014). Norbert Hummelt hat übrigens schon im Sommer einen lesenswerten Aufsatz über Trakl in der NZZ (21.7.14) verfasst, weitere Würdigungen werden sicher folgen.
Die Stiftung Lyrik Kabinett München ist einen anderen Weg gegangen und hat fünfzig zeitgenössische Dichter zu kreativer Reaktion auf Trakl-Texte eingeladen. Der glücklich gewählte Untertitel „Fünfzig Blicke in einen Opal“, der sich an den originalen Titel dreier Trakl-Gedichte anlehnt („Drei Blicke in einen Opal“, hier nicht enthalten), leitet sofort die Erwartung in einem bestimmten Sinn: nicht nur werden die fünfzig Blicke aus allen möglichen Richtungen kommen, auch das angeschaute Objekt wird sich, halb-transparent und in ungewissen Farbnuancen changierend wie der Opal, der genauen Festlegung entziehen. Also ein durchaus angemessener Umgang mit dem Dichter.
In seinem Geleitwort gibt Hans Weichselbaum, der Leiter der Salzburger Forschungs- und Gedenkstätte in Trakls Geburtshaus, einen kompakten Abriss der Wirkungsgeschichte und erläutert die Absicht des Bandes wie folgt:
Man kann also schon von einer Tradition der poetischen Rezeption sprechen, an die der vorliegende Band anschließt. Der Ansatz ist hier jedoch ein anderer: Fünfzig Lyriker und Lyrikerinnen haben sich auf ein bestimmtes Gedicht Trakls näher eingelassen und sich mit dessen Gedanken und Sprache auf ihre jeweils besondere Weise auseinandergesetzt.
Es stehen sich in regelmäßigem Wechsel jeweils ein Trakl-Gedicht, auch einmal ein Stück Prosa oder eine Briefstelle (alle zur besseren Orientierung in der Schrifttype abgesetzt) und der antwortende Text gegenüber. Zwei Nachworte der Herausgeber Mirko Bonné und Tom Schulz sowie eine ausführliche Zeittafel schließen den Band ab. Nicht zufällig werden wohl die Farben des Umschlags gewählt sein: mit Blau und Schwarz die beiden am häufigsten vorkommenden bei Trakl. (Jemand hat einmal nachgezählt: Schwarz 102-mal, Blau 91-mal.)
Wie spannend ist nun der Umgang heutiger Dichter mit ihrem Kollegen von damals? Natürlich lassen sich die Ergebnisse nicht im Einzelnen beschreiben, und sie sollen auch hier nicht kritisiert werden (Auflistung aller beteiligten Autoren s.u.). Die stilistische, inhaltliche und auch emotionale Spannbreite jedenfalls ist erwartungsgemäß groß. In der Mehrzahl antworten Gedichte auf Gedichte, manche davon titelgleich oder mit parodistisch ans Original angelehntem Titel. Es gibt Passagen lyrischer Prosa und einige konkrete Untersuchungen zu Trakl. Lobenswert, wie hier selbstverständlich auch genau arbeitende essayistische Texte unter die kreativen Antworten auf Literatur gehören!
Für die Lyriker muss die Einladung zu diesem Band ein willkommener Anstoß gewesen sein, denn nicht nur bekennen viele sich zu früher Faszination durch Trakl, sie stellen auch allerhand an im Gefolge der Originalgedichte:
Da geistern Trakls Wörter, Farben, Bilder unmerklich durch den neuen Text oder es werden ganze Zeilen einmontiert, mit oder ohne Kennzeichnung. Ron Winkler lässt ein Trakl-Gedicht schrumpfen bis auf ein Knochengerüst, Nora Bossong setzt dem berühmten „Verfall“ mit ausgesucht profanen Dingen (Sperrmüll, Glascontainer, Kerosingewürze) ein Anti-Pathos entgegen. Bei Kathrin Schmidt tönt das Gedicht „Die Ratten“ verballhornt und nur phonetisch ähnlich wie durch einen defekten Schwerhörigen-Trichter gesprochen:
vom originalen Im Hof scheint weiß der herbstliche Mond / Vom Dachrand fallen phantastische Schatten. hört man noch Bin Stoff, weint's leis. Verderblicher Sohn. / Kommt Fahlbrand, wallen sarkastisch Debatten.
In vergleichbarer Weise dreht Jan Skudlarek Trakls Zeilen durch den Wolf: aus
Die Sonne scheint einsam am Nachmittag z.B. entsteht dabei Die Sanne schneit neisam an Machnittag. Hans Thill trennt die zwölf Zeilen des Gedichts „Klage“ voneinander und schiebt nach Tropen-Art eigene Strophen dazwischen. Carolin Callies' Gedicht namens „Delirium“ holt sich ein einziges Wort von Trakls „Delirien“ herüber und deliriert dann ganz eigenständig vor sich hin... Dies sind nur einige Transformations- und Aneignungs-Beispiele aus der reichen Palette.
Auch in der erkennbaren Haltung Trakl gegenüber gibt es zahlreiche Schattierungen: versuchte einfühlende Nähe, sogar mit Anrede, kollegialer Respekt, gelinde Opposition; es herrscht also keineswegs nur Anbetung. In ironischer Distanz beginnt Günter Herburger seinen Gegen- „Psalm“: Der Herr Trakl/stand auf einer Felsennase und sang. Und Martin Piekars genau auf dem Grundriss des Originals angelegte Kontrafaktur (Heiterer Frühling wird da zu Weiterer Frühling) reimt lässig-selbstbewusst:
Wie Schlaferholung wirkt der Winter mir,
Doch frühjahrs hat man längst nicht ausgedöst
Hell Grünes blüht und anderes verwest.
Ich weiß: bald hab ichs wieder hinter mir.
Platte Nachahmung findet sich nirgends; vielmehr setzen die Lyriker auch öfter neben Trakls Rätselhaftigkeit ihre Gegen-Hermetik, der genauer nachzuspüren Zeit und Konzentration erforderte. Wessen Verständnis hier aussteigt, der mag sich trösten mit Ludwig Wittgensteins Aussage über Trakls Gedichte:
Ich verstehe sie nicht, aber ihr Ton beglückt mich.
Auch wenn die Texte oft mehr über die Gäste dieses Symposions aussagen als über Trakl – er bleibt doch das Zentrum. So ist dieser Band eine gehaltvolle Gabe zu dem eher dunklen Gedenktag für Georg Trakl. Und die Probe auf die lebendige Nachwirkung des zum Klassiker gewordenen Dichters ist positiv ausgefallen: er begeistert, provoziert und verstört noch immer.
Wer nun neben einem interessanten Rundblick auf Zeitgenossen lieber eine mittlere Menge Trakl in Portionen zu sich nehmen möchte, ist mit diesem Buch ebenfalls gut bedient. Trakl pur, das ganze dichterische Werk in total immersion am Stück, das ist nicht leicht verdaulich. Es summt einem dann im Hirn von seinen immer neu kombinierten Bildmotiven und Farben, ein Gedicht verdrängt das andere; es ist, als ob man nacheinander alle Werke eines Malers abschritte, der sein Leben lang im Grunde immer wieder das gleiche Bild malte. Und man mag eine Zeitlang keine Pluralformen und Genitive mehr hören...
Ein paar Fragen melden sich noch am Rande: Wodurch ist die überraschend ungebrochene Hinwendung zu Trakl möglich? Wäre sie ebenso auch bei Rilke, George, Hofmannsthal denkbar? Vielleicht ist ein Grund, dass Trakls Hoher Ton und edle Aura (zuweilen fast an Hölderlin anklingend) ihr Gegengewicht in den düsteren Gefilden von Verfall, Nacht und schwarzer Verwesung hat. Auch die Wirren und Leiden seines kurzen, exzentrischen Lebens mögen eine Rolle spielen. Gibt es einen literarischen Bonus für jung und tragisch geendete Dichter? Macht es sie unangreifbar? Gibt es möglicherweise auch Verwesungs-Kitsch?
Lassen wir, in der ruhigen Überzeugung, dass Trakls Werk anwesend bleiben wird, zum Schluss den frechen Friedrich Torberg zu Wort kommen. In seinen Versen „Angewandte Lyrik von Klopstock bis Blubo“ von 1932 reimt er über Hofmannsthal:
Und Dichter wachsen auf und lesen vieles,
und sind wie Lamm und Pfau, und sehr umragt
von der Bemühtheit ihres eignen Stiles.
Und dennoch sagt der viel, der „Trakl“ sagt.
Das Buch enthält Beiträge von:
Andreas Altmann, Christoph W. Bauer, Marcel Beyer, Nico Bleutge, Marica Bodrozic, Nora Bossong, Carolin Callies, Heinrich Detering, Michael Donhauser, Elke Erb, Sylvia Geist, Nora Gomringer, Durs Grünbein, Dorothea Grünzweig, Ulla Hahn, Günter Herburger, Nancy Hünger, Norbert Hummelt, Karin Kiwus, Ulrich Koch, Angela Krauß, Ursula Krechel, Nadja Küchenmeister, Johannes Kühn, Björn Kuhligk, Michael Lentz, Marie T. Martin, Friederike Mayröcker, Brigitte Oleschinski, Christoph Peters, Martin Piekar, Steffen Popp, Marion Poschmann, Kerstin Preiwuß, Arne Rautenberg, Monika Rinck, Jan Volker Röhnert, Hendrik Rost, Silke Scheuermann, Sabine Schiffner, Evelyn Schlag, Kathrin Schmidt, Katharina Schultens, Farhad Showghi, Jan Skudlarek, Ulf Stolterfoht, Hans Thill, Jan Wagner, Ron Winkler, Uljana Wolf.
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