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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

„Lesen Sie laut! Nehmen Sie das Gedicht in den Mund.“

Die Sinnlichkeit von Sprache entdecken: Ulla Hahns gesammelte Gedichte aus vier Jahrzehnten
Hamburg

Vor wenigen Tagen in der Berliner Literaturwerkstatt: Ulla Hahn zu Gast mit ihrem neuen Band gesammelter Gedichte, soeben erschienen bei der Deutschen Verlagsanstalt. Ein imposantes Buch mit 880 Seiten, das neben Hahns bisher erschienenen zehn Lyrikbänden auch neuere Texte enthält, allesamt Haikus. Auf die Fragen der sie interviewenden Literaturkritikerin Barbara Wahlster antwortete Frau Hahn in bekannter Manier. „Sie wollen jetzt offensichtlich von mir hören, was die Dichterin damit sagen will. Ich werde das nicht für Sie interpretieren.“

Die im Rheinland aufgewachsene Ulla Hahn feierte mit ihren Romanen „Das verborgene Wort“ (2001) und mit „Aufbruch“ (2009) zahlreiche Erfolge, erhielt unter anderem den Deutschen Buchpreis. Zudem tat sie sich als Essayistin, Kritikerin, Herausgeberin von Lyrikanthologien sowie als Herausgeberin der Werke der verschollenen, jüdischen Dichterin Gertrud Kolmar hervor. Ihre Karriere begann die 1946 geborene jedoch als Lyrikerin. 1981 erschien ihr erster und schon im Titel programmatischer Gedichtband „Herz über Kopf“. Marcel Reich-Ranicki lobte die „Musikalität ihrer Verse“, den „Charme und den Wohlklang dieser oft saloppen Oden und der bisweilen aggressiven Elegien“. Hahns Gedichtband wurde mit bis heute über sechzigtausend verkauften Exemplaren ein Bestseller. Lyrikbegeisterte werden wissen, dass solche hohe Verkaufszahlen in diesem Genre relativ selten vorkommen. 

Dass Ulla Hahns Gedichte nicht nur publikumswirksam sind, sondern es sogar als Stoff in die Schulbücher geschafft haben, liegt sicher nicht nur an Reich-Ranickis lobenden Worten. Ulla Hahn provoziert gern. Vor allem mit einer recht altmodischen Sache, mit Formbewusstsein. Wohl kaum eine Dichterin hat sich mit ihrer „Formenrenaissance auf leisen Sohlen“ (Dorothea von Törne) vehement dem jeweils angesagten Zeitgeist widersetzt. Anfang der achtziger Jahre ärgerte sie ihre Schriftstellerkollegen mit klassischen Volksliedstrophen, schrieb beharrlich Sonette und Lieder. Ihre Gedichte sind stets empfindungsreich und persönlich, mit sensiblem Rhythmusgefühl und melancholischer Ironie. „Gelassen schau ich diesen Himmel an. // Natur. Natürlich fallen mir Vergleiche ein. // Ein Alpenveilchentöpfen könnt es sein // was hochhinaus am Horizont erglüht. // Es ist mir trotzdem kalt. Die Wiesen weiß // verweist. Die Sonne schwach. Aufs Autodach // fiel Schnee und auf die Felder fallen // strenge Metaphern ohne Reim herein. // Die Krähen schrein (...)“

Anhand des Sammelbandes erhält der Leser nun einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Themenbereiche, mit denen sich Ulla Hahn immer wieder beschäftigt hat, wie der Vergänglichkeit, historischen Ereignissen, sowie aktuellen gesellschaftlichen Themen. Einen Großteil ihrer Arbeit hat sie allerdings der Liebeslyrik gewidmet. Nicht zu vergessen jene Texte, in denen sie die Poesie selbst in den Vordergrund rückt, wie in dem Gedicht „Ars poetica“ aus ihrem ersten Lyrikband, in dem Hahn ihren traditionalistischen Ansatz begründet. Ein Gedicht, das bei Erscheinen für Aufsehen sorgte. „Danke ich brauch keine neuen Formen ich stehe auf // festen Versesfüßen.“

Bei der Lesung in der Literaturwerkstatt sprach die Autorin von Orpheus, dem Sänger und David, dem Redner. Beide sollten in einem gelungenen Gedicht zu gleichen Teilen zu Wort kommen. Ein „Hunger nach Sinn“ verbunden mit einer einzigartigen Melodie, das zeichne gute Gedichte aus. Und dann müsse man nur noch eines: laut lesen. „Nehmen Sie das Gedicht in den Mund. Öffnen Sie ihm Augen und Ohren, Verstand und Gefühl. Erfahren Sie die Sinnlichkeit des Sprechens, der Sprache; lassen Sie sich mit dem Klangkörper Gedicht auch selbst körperlich ein.“

Ulla Hahn
Gesammelte Gedichte
DVA
2013 · 880 Seiten · 26,99 Euro
ISBN:
978-3-421-04220-0

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