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Kritik

"Dennoch ist es ganz schön"

Hamburg

"Ohne Neigung, ohne Haß
Allein, von allen Geistern verlassen [...]"

Dieses Zitat beschreibt am besten den Standpunkt, von dem aus Uwe Hübner seine Gedichte geschrieben hat. Oder besser / nein, eigentlich möchte der Autor diese Haltung erreichen, es blitzt nur ab und an aus einer Seitenstraße: Enttäuschung, Trauer, Wut, Verbitterung, Verwunderung auf.

Das lässt die Texte zu Charakteren werden, Lebewesen, die sich durch die moderne Nachwendegroßstadt schlagen, in erster Linie in Dresden.

Oft mit sich selbst im Dialog, oder mit Lessing, Kant, Karthago, Weltbürger.

Wobei die Sicht eine extrem männliche ist: das häufige Sinnieren übers Poppen oder das eben beschriebene Heranziehen von Klassikern, ebenso der Blick in die Geschichte, die große Geschichte. Und dann noch der Osten!

Wer sich von all dem nicht vergraulen lässt, wird allerdings fündig.

Den Vogel im Dachsims, alternde Freunde, alleinstehende Frauen, sich selbst, einen Ameisenstaat und die ewige Suche nach einem erträglichen Ort.

Auf sprachlicher Ebene teufelt es gewaltig. Beschreibt nicht, sondern packt zu.

"Teufel, Teufel, in zwei Wochen ist Neujahr
wieder zwölf Monate vorbei -
nichts mehr zu tun, was nicht bereits getan.
[...]
warum gehts so auf die Nerven, wenn fünfzehn Uhr dreißig
das Fenster schon schwarz ist. Und gestern abend
im Bett: wer zuerst einschläft, ohne zu schnarchen
ging noch um was anderes? Die Schöpfung
meint Mark Aurel, legte den Menschen für vierzig Jahre aus
die Bandscheiben sind dann verschlissen wie die Hoden, so so
Dunkelheit fällt direkt auf den verbreiterten Scheitel
abgeschrammt der Schutz.
Gut. Nicht zu ändern. Dennoch ist es ganz schön. [...]"

Fragen tauchen auf.
Haben wir Frauen es doch besser?
Geht es um Sinnsuche?
Wer will das wissen?
Was ist schön? Ist das aber plausibel?

Und so reise ich gern mit den Gedankengängen des Autors, durchs Tragwerk des freundlichen Dienstags, die abgefahrenen Züge zählend, den Blick des an Trisomie erkrankten Jungen folgend. Raus aus dem Haus!

Zum Beispiel nach Linden. "Bullen Haß" an die gegenüberliegende Häuserwand geschrieben. Sagt eigentlich nichts aus, finde ich. Eine alte Frau sitzt am Nachbartisch und hört über Ohrstöpsel Musik. Es dauert lange, bis ich merke, dass im Laden doch schon laut Musik ist und dass das eigentlich nicht gut gehen kann. Aber so sind die Texte. Sie wundern sich auch zuweilen und ändern mitten drin ihren Ton.

Ärgere mich gerade über den klebrigen Tisch, an dem ich schreibe. Die Bedienung hat den Tee verkleckert. Bier wär noch schlimmer gewesen.

Der Autor würde hier bestimmt nie herkommen. Obwohl er das dringend bräuchte. Hier könnte er ablästern! Ein Szene-Café im Westen. Was sich "Glüxkind" nennt. Kind mit umgedrehten K. Allein das. Aber: ich komm hier sonst auch nie her. Warte bloß auf meinen Sohn, der nebenan im Kino sitzt. Der junge Kellner versucht soeben ein Bier mit einem Messer aufzumachen (!) Das sind hier ganz idealistische Leute.

Mehr oder weniger Verkleidete gehen draußen vorbei. (Dieser Satz ist ein Schelm.) Ist es schon Fasching? Habe ich was verpasst? Sich verkleiden: Genau das macht der Autor nicht. Er ist er selbst, seine Texte sind er selbst, kein Unterschied zwischen Jäger und Gejagten / Autor und Texten / Autor und Thema, behaupte ich. Das und kann weg. Richtig.  Die Texte haben etwas von Tagebuchaufzeichnungen eines ins Leben geworfenen, das Leben suchenden und vom Leben verfolgten. Glück?

Die tun alle auf sozial. Aber die Preise passen nicht dazu. An der Wand hängen arme Kinder. Die Frisur der Köchin ist ausgedacht. Die Augen unkenntlich. Das Du ernstgemeint. Die Enttäuschung, dass ich nur einen Tee hatte.

In dem mit "Bullen Haß" betitelten Altbau - saniert, evtl. aber nur von außen - sehe ich jetzt ein älteres Paar im Wintergarten sitzen, rauchen und nach einer Musik wippen. Sie sind nur halbangezogen und haben die Gardinen nicht vorgezogen. Das Fenster ist ungeputzt, wirkt durchlässig. Sie unterhalten sich lebhaft, rücken mal näher zusammen, mal auseinander, sind authentischer als das Publikum unten im Lokal. Sind wie Figuren, über die Hübner schreibt und die in Erinnerung bleiben, weil sie so echt sind.

"... du wirst vielleicht nie
der dunkelhaarigen blassen schmalen Zeitungsredakteurin
richtig sagen können, wie gut du das alles findest
ihre Beiträge und ihre verrauchten Zähne. ..."

oder

"welch ein Jammertal, welch ein Jammertal, flüsterte
eine junge Verkäuferin bei Hertie
eingekeilt zwischen 30 000 Paar Handschuhen
den Blick ins Unendliche gerichtet"

Von guten Geistern verlassen? Ja, Uwe Hübner ist wahrlich kein Optimist, aber er ist herrlich selbstironisch dabei.

 

Uwe Hübner · Ralph Lindner (Hg.) · Jan Kuhlbrodt (Hg.) · Jayne-Ann Igel (Hg.)
Jäger Gejagte
Reihe Neue Lyrik – Band 6 Kulturstiftung des Freistaates Sachsen
poetenladen
2013 · 104 Seiten · 16,80 Euro
ISBN:
978-3-940691-49-1

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