Exil in Ostende
„Stefan Zweig im Sommer 1936. Er blickt durch die großen Fenster auf das Meer und denkt mit einer Mischung aus Rührung, Scheu und Freude an die Gemeinschaft der Fliehenden, zu der er sich gleich wieder hinzugesellen wird. Sein Leben war bis vor wenigen Jahren ein einziger, viel bewunderter, viel beneideter Aufstieg. Jetzt hat er Angst, er fühlt sich gebunden durch Hunderte Verpflichtungen, Hunderte unsichtbare Fesseln. Es gibt keine Lösung, gibt keinen Halt. Aber es gibt diesen Sommer, in dem sich alles noch einmal wenden soll.“
Nein, das ist kein Kitschroman, in dem mit diesen etwas steifen Worten eine Atmosphäre nicht erzählt, sondern erklärt wird. Es ist auch keine Biografie, keine biografische Erzählung. Es ist ein oft sehr oberflächlicher Bericht über ein Jahr, in dem sich vieles entscheidet. In Deutschland sind seit drei Jahren die Nazis an der Macht und bereiten die Olympischen Spiele vor, viele Schriftsteller sind geflohen und sorgen sich um ihre Zukunft. Kommunisten, aber auch die von den Nazis gleich mit verbrannten und verfemten „Asphaltliteraten“, die „Entarteten“, die Pazifisten. Und da ihnen Deutschland als Absatzgebiet versperrt ist, haben viele von ihnen keine Verdienstmöglichkeit mehr, Österreich und die Schweiz reichen als Markt nicht aus. Natürlich gibt es deutschsprachige Exilverlage, Querido, Allert de Lange. Aber sie sind hart umkämpft, und die Aussichten sind düster.
In dieser Situation treffen in Ostende, einem belgischen Ferienort, einige der bekanntesten Exilautoren zusammen, Stefan Zweig, Joseph Roth, der „scheinbar immer frohe Hermann Kesten, der Prediger Egon Erwin Kisch, der Bär Willi Münzenberg, die Champagnerkönigin Irmgard Keun, der große Schwimmer Ernst Toller, der Stratege Arthur Koestler, Freunde, Feinde, von einer Laune der Weltpolitik in diesem Juli hierher an den Strand geworfene Geschichtenerzähler. Erzähler gegen den Untergang.“
Eine spannende Zeit, und spannende Konstellationen. Joseph Roth, der Alkoholiker, der im Ostjudentum wurzelnde Erzähler, der hier auf die im besten Sinn naive Irmgard Keun trifft, und sofort verlieben sie sich. Stefan Zweig, der von seiner Frau getrennt und mit seiner Sekretärin zusammenlebt. Die Kommunisten, die sich überlegen, wie man in Spanien eingreifen kann, wie man Konterbande nach Deutschland einschmuggeln kann, um auch dort den Widerstand zu fördern.
Vor allem „erzählt“ das Buch die fragile Beziehung zwischen Roth und Zweig, die Geldsorgen, kleinen Eifersüchteleien und die Sorgen um die richtige Sprache, den richtigen Aufbau der Bücher. Zwar unterstützt der wohlhabende Zweig den verarmten Roth, gleichzeitig aber sagt er auch dessen Verlegern, wie schlecht seine Bücher geworden sind.
Es ist eine seltsame, chaotische Zeit, in der vieles durcheinander geraten ist. Lebensgefahr durch die Nazis mit Feierlaune und Weltuntergangsstimmung wechselt, Lust zum Widerstand mit todessehnsüchtiger Resignation. Dummerweise ist Weidermann nicht in der Lage, das auch richtig zu erzählen. Zwar gelingen ihm manche Kurzporträts ,aber insgesamt ist sein Buch voller Wiederholungen. Es ist unlebendig, ungenau und stilistisch schwankend zwischen Pathos, Kitsch und Bericht, versetzt mit überlangen Zitaten aus Briefen. Man hält eigentlich nur des Themas wegen durch. So liest man auf der ersten Seite den Satz „Vielleicht weiß Joseph Roth ja Rat.“ Das ist vielleicht noch unfreiwillig komisch. Dann schreibt Weidermann über Ostende, dass hier „das Unglück 1914 begonnen hatte“ - dabei hat das Unglück am deutschen Kaiserhof oder in Sarajevo begonnen, aber nicht in Ostende: In Ostende hat Zweig 1914 die Nachrichten vom Krieg gehört. Einmal schreibt er vom Jahr 1914, im nächsten Satz steht: „Zweiundzwanzig Jahre sind vergangen seit jenem Sommer.“ Ein völlig unnötiger Satz. Oder: „Zu dem Kreis gehört auch jener 1905 in Budapest geborene Journalist Arthur Koestler.“ Wie umständlich. Einmal heißt es, dass Zweig vom Meer „in höchster Not den letzten Zug in die Heimat nahm. Wilde Abreise, hinab ins Flachland“, als wenn es am Meer gebirgig wäre. Nein, das ist eine Anspielung auf Hans Castorp, die aber stilistisch nicht passt. Einmal schreibt er über Zweigs erste Frau: „Deswegen sah sie über diese Liebelei hinweg. Aber ihr Mann nicht.“ Es war ja auch keine Liebelei für ihn. Und so weiter, und so weiter. Es ist bei all diesen Ungeschicklichkeiten eine rechte Qual, das Buch zu lesen, wenn auch manche Passagen in aller Kürze aufleuchten, wenn es ihm gelingt, ein paar Personen mit wenigen Strichen treffsicher zu charakterisieren, wenn man z.B. Münzenberg beim Organisieren zuhört, wie er Schlag auf Schlag Anweisungen gibt, die sein Untergebener Otto Katz notieren und weitergeben muss. Aber das sind nur wenige. Was Illies mit seinem Buch über das Jahr 1913 gelungen ist, locker und ironisch und voller Informationen zu schreiben, daran ist Weidermann gescheitert.
Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben