Kritik

Auf der Suche nach dem verschwundenen Stier

Hamburg

Zwei Dinge passieren fast jedem Rezensenten der Romane von Wolf Haas um den outlaw-Detektiv Simon Brenner: erstens Lob der erzählperspektivischen Raffinesse, zweitens Kumpelton: „der Brenner“, als kenne man den Protagonisten persönlich und müsse den Erzähljargon nachahmen.

Doch warum eine Pfütze sehen und nicht lustvoll hineintreten?

Denn auch im achten Brenner-Roman des 54jährigen Österreichers Haas wird die Erzählperspektive, Qual etlicher Literaturwissenschaftler im Grundstudium, zum puren Vergnügen. Die als Figur so undurchsichtige wie unauthorisiert drauflos schwätzende Erzählerinstanz bafelt sich diesmal eine Geschichte zusammen, die aufgrund ihrer Faktizität kaum noch glaubhaft ist – und doch dank reinster Erzählkunst glaubhaft wird.

Jetzt also: Simon Brenner goes James Bond.

Das sieht so aus: Wer schon an den Delikten eines lokalen Bauunternehmers oder einer kleineren Institution wie einem klerikal geführten Internat schwer zu beißen hatte, ist mit internationalem Geschehen erst recht überstrapaziert. Dass einem solchen Antihelden hard boiled mitgespielt wird, ist keineswegs seiner unbedingten eigenen Moralvorstellung gegen alle Widerstände oder couragierter Nachforschung zuzuschreiben, sondern seinem Hineinstolpern ins Milieu. Der Pensionär Brenner ist eher zögerlich und folgt auch nur skeptisch seinen eigenen kleinen Triebbefriedigungen. Nix Weltrettung. Und doch, allwissend um das allzu Menschliche des Protagonisten, redet der Erzähler den Brenner erneut in Falle und Fall, indem er ihn, gerade frauenlos, auf einer Internetkontaktbörse nach heiratswilligen Russinnen stöbern lässt:

„Geschrieben hat er natürlich keiner. Er war ja nicht blöd […] bevor du zweimal schaust, bist du irgendwo hineingeraten, Verwicklungen und alles […] Liest man immer wieder, dass die zuerst recht nett sind […] da verliebst du dich schon rein brieflich, und dann soll es zum ersten Treffen kommen, und im letzten Moment tauchen sie nicht auf, weil kein Geld für die Reise. Jetzt ich schick dir das Geld für die Reise […] Hört man immer wieder, dass so ein armer Depp umsonst auf die Dame gewartet hat […]. Ein paar Tage ist er mit seinem Verstand gut ausgekommen, aber dann ist ihm doch langweilig geworden. Jetzt ist er die Fotos noch einmal durchgegangen, aber nicht mehr mit privatem Blick, sondern mit dem polizeilichen, quasi Fahndungscomputer … Natürlich musst du wahnsinnig aufpassen, dass dir nicht die Sympathie in die Quere kommt.“

Und dann, „ob du es glaubst oder nicht“, ist der Brenner schon wieder mitten drin: verheiratet mit einer Russin, auf der Suche nach einer aus Nischni Nowgorod gen Europa verschwundenen Frau,  bedroht vom Kopf eines Mädchenhändlerrings, mit einem äußerst doppelbödig an Frauen interessierten Ex-Jesuiten befasst und auf einer Ural, im Beiwagen zwei Millionen Dollar Lösegeld, durch die Mongolei unterwegs, um seine Lebensabschnittsgefährtin Herta aus Entführerhänden freizukaufen. Wo der frühe Bond nach ewig langer Fahrt auf wüster Straßenroute vom Motorrad gestiegen wäre und noch right in time die Geliebte an die starke Brust gedrückt hätte, sinkt Brenner selbst in die Arme der Freizukaufenden: „im Grunde war es … mehr eine Verletztenbergung. Mehr ein den mit der Ural fast verwachsenen Brenner Herunteroperieren. 'Du kommst zu spät', hat die Herta zur Begrüßung gesagt.“

Kurzum: Halb zieht sie ihn, halb sinkt er hin. Der Phlegmatiker Brenner stolpert den Frauen hinterher, die an sein männliches Ethos appellieren, in und durch diesen Fall: eben „Brennerova“. Das slawische Suffix fürs Weibliche indiziert bereits im Titel, wer hier an den Fäden der Geschichtchen zieht.

Typisch Haas, dass der eigentliche Kriminalfall, die (vermutete) Entführung einer russischen Frau in den Westen, dabei zur Bagatelle verkümmert. Um die stringente Falllösung schwätzt sich der Erzähler herum, und auch sein Detektiv bringt nicht die nötige Disziplin auf. Die Spur einiger Tattoos, die zunächst bei der Fallaufklärung weiterzuhelfen scheinen (und sogar letztlich mitten hineinführen), verendet wie auf einem Nebengleis. So werden einer Mordaufklärung gerade mal zwei Nebensätze, aber keinerlei kriminologische Beachtung und Konsequenz innerhalb des Erzählgefüges beigemessen. Der Täter ist so offen sichtbar und gleichzeitig unsichtbar wie der auf seiner Brust als Aussparung eintätowierte Stier. Das Eigentliche passiert dazwischen, mittendrin, und fällt doch unten durch, weil nur im Vorbeigehen erfasst oder im Traum erblickt: Daher verhilft die Spur, hier des eintätowierten Stiers, nicht zu jener zündenden Inspiration, wie sie andere literarische Detektivgestalten à la Adamsberg (Fred Vargas) oder gar ältere, Krimis lesende Damen erleben. – Wie soll man es auch deuten, wenn der entführten Freundin der verschwundene Stier im Traum erscheint? Europa und Zeus?

Diese Art Aussparung, Sprung, gedankliche Zerstückelung, kurz: die Ellipse als Haas' vordergründiges wie hintersinniges sprachliches Stilmittel, spielt also auch in diesem neuen Roman wieder die Hauptrolle. Auf mehreren Ebenen. Denn wieder verzichtet Haas nicht auf von ihren Besitzern getrennte Gliedmaßen: Da wären in der Chirurgie vier abgehackte Hände um Haaresbreite falsch zugeordnet und dem jeweils anderen Besitzer angenäht worden; nur die auf den Armen eintätowierten Spruchzeilen in unterschiedlichen Sprachen haben's verhindert. Beinahe hätte die ganze Geschichte anders ausgesehen – als wäre das Leben eine lose Textur aus Zufälligkeiten, als würden mögliche Lesarten einem Irrlicht in mythischen Allusionen gleichen.

Kein Wunder, dass der Brenner überfordert durch dieses Universum tapert, mit einer skeptischen Vorsicht, ob er noch ordentlich am Leben nippen soll. Und doch nehmen ihn am Ende, ganz wie zu Anfang, die unheilvollen Fangnetze des ewigen Lebens aus Immergleichem und allzu Menschlichem ein, in Form einer hübschen Frau, natürlich: „... und er hätte es auch garantiert nicht getan, wenn ihn in diesem Moment nicht ein unbeschreiblich guter Geruch eingehüllt hätte, Nirwana nichts dagegen.“ Könnte also gut sein, dass der nächste Roman um die Passionsfigur Brenner erneut mit dem Satz beginnt: „Jetzt ist schon wieder was passiert.“

Wolf Haas
Brennerova
Hoffmann und Campe
2014 · 240 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-455-40499-9

Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge