Familiengeschichten
Es gibt bei Kriminalromanen – wie bei anderen Genres auch – die Tendenz, immer wieder mehr zu machen als andere (Überbietungszwang nennt man das), und sich dabei selbstverständlich der modernsten Themen zu bedienen, die durchs Dorf getrieben werden. Die guten alten Mörder, die noch mit Messer und Gabel essen und mit echtem Material morden, scheinen auszusterben.
Mindestens muss ein besonders raffinierter Halunke hinter einem beliebigen Verbrechen stehen, und außerdem muss der noch – halb genialisch, deshalb wohl auch böse – mit den neuesten Technologien umzugehen verstehen. Und das bedeutet, er muss der perfekte Hacker sein, ein Superhirn, dem niemand wirklich auf die Spur kommt, bis er dann wegen seiner Überheblichkeit zu Fall kommt. Soll schon vorgekommen sein.
Programmiertalent und echter Durchblick, das hat bereits der selige Friedrich Kittler als Prämisse eines selbstbewussten und vor allem unabhängigen Menschen in der Welt von heute beschrieben. Wer nicht mindestens die gängigste Programmiersprache beherrscht, ist ein EDV-Analphabet und wird in die Masse der Abhängigen und Fremdgesteuerten absinken.
Einem Diktum, dem wir wohl heute allzu gern zustimmen, angesichts der Big Data-Diskussionen..
Für den Krimi heißt das allerdings nichts anderes, als dass den Verbrechern neben Messer, Bombe und Revolver nunmehr auch ein Rechner zu Gebote steht. Und den Schaden, den er damit anrichten kann, ist enorm. Wer würde daran zweifeln?
Zoë Beck jedenfalls nicht. Denn eine solche Cyber-Attacke steht am Beginn ihres kleinen Londoner Krimis, der auch noch und vor allem in jenem Stadtteil spielt, dem die Clash einen wunderbar anachronistischen Song gewidmet haben. Niemand, der nicht darauf zu sprechen käme. Beck genauso.
In dem ehemaligen Problemviertel (welches Problem? die anderen sind das Problem, würde ein einschlägig positionierter Einheimischer vielleicht sagen) hat mittlerweile das begonnen, was man auch in Deutschland Gentrifizierung nennt und als Verdrängung der Einheimischen harsch kritisiert.
In einem der schicken Neubauten bricht ein Feuer aus, alle Türen sind verschlossen, dem Notsysteme funktionieren nicht, die Chefin des Büros, in dem sich gerade unsere künftige Heldin Em – nein, Vine, nicht Peel – mit ihrer neuen Freundin und Kollegin trifft. Die gerät in Panik und springt aus einem der bald zerschlagenen Fenster, was aus dieser Höhe keine gute Idee ist.
Eine Hacker-Attacke, wie sich herausstellt, und Em wird verdächtigt, die Urheberin der Attacke zu sein. Kurze Zeit später kommt ihr Bruder bei einem Brand ihrer beider Wohnung um, während Em auf der Straße eine Zigarette raucht. Das macht sie naheliegender Weise erst recht verdächtig.
Sie selbst hat allerdings einen jungen Mann im Visier, einen Hacker, der sie seit einiger Zeit verfolgt, nachdem eine kurze Fast-Liaison sich schnell wieder zerschlagen hat. Beim One-Night-Stand von Beziehung zu reden ist wohl doch keine gute Idee.
Als der junge Mann jedoch kurze Zeit später tot aus der Themse gefischt wird, bleibt Em nur noch die Flucht. Und die Notwendigkeit, herauszufinden, wer hinter all diesen Attacken steckt, die offensichtlich eigentlich ihr gelten. Denn sie ist das einzige verbindende Glied zwischen den Todesfällen. Und wenn so etwas auch die Polizei merkt, steht es nicht gut um einen.
Und sie merkt es.
Ab da ist die erfolgreiche Eventmanagerin, die aus einer bekannten Londoner Bankerfamilie stammt, auf der Flucht. Und auf der Suche nach dem wahren Verursacher.
Was schnell dazu führt, dass hinter der Hackerattacke und den anderen Vorfällen in der Tat nur ein Motiv steckt, sie umzubringen, und nur ein Grund, Geld.
Dass das nur eine Teilursache ist, soll erst einmal dahingestellt bleiben. Allerdings führt die Frage nach dem, dem es nutzt, immerhin weit genug. Die Situation eskaliert – zwischendurch ist Em auch noch Heldin. Und am Ende steht eine furchtbare Wahrheit – würde vielleicht ein Klappentext sagen.
Und genau bei solchen furchtbaren Wahrheiten muss man aufpassen. Vor allem vor allzu großen Peinlichkeiten. In die droht Becks Roman nach und nach zu geraten. Denn auf die Cyberattacke und die Morde folgt ein Motiv nach dem anderen.
So deckt Em eine ziemlich fiese Immobilien- und Wirtschaftssache aus: Eine Immobilienfirma hat sich Baugenehmigungen erschlichen, und das auch noch für Luxuswohnungen, die auf kontaminierten und verseuchten Flächen gebaut werden. (Fast schon gerecht, dass die Reichen, die das Viertel kaputt machen, wenigstens selbst am Dreck krepieren, auf dem sie sich vorgenommen zu haben zu leben, könnte man fast übersetzen).
In diese fiese Sache verwickelt ist der Onkel Ems, der aber eigentlich solche Geschäfte als Banker gar nicht machen darf. Und noch ein Freund der Familie hängt gleichfalls drin. Die gehen natürlich zu Grunde, weil mit der weiteren Handlung und Ems Suche alles raus kommt. Ein investigativer Cyber-Journalist hilft ihr dabei, alles ans Licht zu bringen.
Und damit auch damit noch nicht Schluss ist, wird die Biografie des Onkels bis in die Urzeiten der deutschen Terrorszene zurückverfolgt (aha), was dann das Bankhaus überhaupt erst in den Untergang stößt.
Aber auch damit nicht genug: Noch muss das Verschwinden der Mutter Ems aufgeklärt werden, und das wird es auch: Sie lebt also nicht mehr und das Ganze ist dann furchtbar, Tragödie, dunkles Familiengeheimnis, das Opfer eines nahen Angehörigen. Was dann schließlich alles erklärt.
Damit haben wir ein bisschen Cyberkriminalität, Sucht nach Reichtum, gewissenlose Immobilienhaie, die auch noch die armen Brixtoner aus ihren Häusern und aus ihrem Viertel vertreiben, sich nicht um die Umwelt scheren und schließlich auch noch in der Verwandtschaft herummorden.
Wenn das nicht ein bisschen viel auf einmal ist, dann weiß ich es nicht. Es mag ja sein, dass lange Krimis ihre Leser finden. Wenn die Krimis aber Länge nur dadurch schaffen, dass sie noch ein Thema mitnehmen, wenns es denn schon drei, vier sind, dann geht das irgendwann zu Lasten der Ökonomie eines solchen Buches. Und das ist auch hier der Fall.
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