verkippung
ich als: eine brechende feder
am elbbaum der steht und
die tanne am haus gegenüber
verwünscht die im garten die
jahre hochzählt ich: als teil eines
kuckucks bin all seine kopflose
qual in den stählernern tälern
am hang steil die rinde der nacht
hat die dunen aus denen ich wuchs
hart und hölzern gemacht ich:
wehe als: das gegenteil der kralle
von der nennen wir sie haltestelle ab
und luft ist nur um meinen sternruf
vor dem schnabel aufzufangen
ich: die neige und ich: falle als kontur.
Sternruf / als / das Gegenteil der Kralle
Sternruf / als / das Gegenteil der Kralle
-witterung / - dunkelung / -kehrung
da ist das Verweisen zurück, die dunen aus denen ich wuchs - die im garten die jahre hochzählt; da ist das ich als kaum noch etwas, als neige (als letzter Rest in einem Gefäss, als Gekipptes) als kontur. da ist vielleicht der Einstieg ins Gedicht als Ausgangsort zu lesen, haltestelle als Anfang, Geburtshaus, sowas wie Angaben einer Herkunft - elbbaum oder die tanne am haus - garten als Heim. und von dort aus der Gleitflug als brechende feder, noch zu brechende Feder oder im Begriff zu brechen, gebrochen zu werden.
als teil eines kuckucks, der sich unterschiebt, sprichwörtlich geworden als ausweichendes Wort, die Differenz seines Äußeren zur Stimmstärke seines Rufs. bin all seine kopflose qual, also unbedacht, manisch vielleicht, rasend, in den stählernen tälern, ob als Stahlbau oder -werk, aus härtestem Werkstoff, die Städte, die Leben. die rinde der nacht, Enthemmung womöglich, zu sich kommen im Schlaf, im Traum, die rinde der nacht / hat die dunen aus denen ich wuchs / hart und hölzern gemacht, durch die Verdunklung geschult, verhärtet.
keine Abwehr, das gegenteil der kralle, keine Macht oder kein Bedürfnis, die Krallen auszufahren, ist die luft [...] nur um meinen sternenruf / vor dem schnabel aufzufangen, wieder der Zeitverweis, Stern als Vergangenheitssymbol dem Schnabel gegenübergestellt, als Wachsendes, als Gewachsenes, als gegenwärtiges Sprechen, Stimme. sternruf könnte auch als Leitsymbol, Ausrichtung, Orientierung verstanden werden.
-jährung / - wehung / - neigung / - schüttung
im Gedicht vollzieht sich, was der Titel ankündigt: eine Kippbewegung. mit jedem Doppelpunkt: eine weitere Umkreisung des Ichs, eine Einkreisung. klangliches und motivisches Ineinander-greifen, dabei könnte der Doppelpunkt ein Verhältnis ausdrücken oder ein immer wieder anhebendes Annähern ans Ich, das sich allein in Umrissen andeutet (kontur), als Kaumnoch oder Fastschonnichtmehr (neige), ausgeliefert (gegenteil der kralle), aber ausgehärtet (die dunen aus denen ich wuchs), mit der Neigung zur Entgegnung, gewiss unhaltbar.
luft ist nur... heißt eben auch, Luft ist nicht mehr allein zum Atmen, zum Leben, im weitesten Sinn Freisein. das Gedicht liest sich wie eine kurze Lebensbeschreibung mit lyrischen Mitteln, vage gehalten trotz der konkreten Hinweise und Anhaltspunkte auf Herkunft, Lebensumstände und Lebensinhalt. lakonisch, sicherlich. auch teil eines kuckucks ließe sich als angedeutete Gruppendiagnose verstehen.
der Titel lädt ein, weitere Wortverbindungen herzustellen, - Verwehung oder Verneigung oder Verjährung, sofern man die Elemente aus dem Gedicht selbst heranzieht. eine weitere Assoziation wäre das Verb verschütten und seine Doppeldeutigkeit, womit vermutlich völlig unzulässig das Gedicht sich deuten ließe; Lyrik als etwas, das verschüttet wird, sei es, verschwenderisch oder aus Unvorsichtigkeit. Lyrik, in der etwas verschüttet wurde oder verschüttet liegt, ob es nun verschüttet bleibt oder aufgefunden wird. -kippung, also Schieflage.
die Korrespondenz zwischen Inhalt und Form ist etwas, das nicht gesondert hervorgehoben werden muss, weil es eher eine beiläufige, als vordergründige Eigenschaft des Gedichts ist und nicht selten zu verkrampften, wenn nicht gestelzten Ergebnissen führt, wird sie auf Kosten innerer Stringenz bemüht.
und das Hervorzuhebende an diesem Gedicht: es liest sich ohne Widerstände, ohne Fallstricke, abgerundet; wer's aber vordergründig liest, legt die Gewichtung in die letzte Zeile, - ja ja, Ich und sein Zerfall, seine Vielgestalt, postmodernes Gähnen; wer's aber wieder liest, wozu es anhält, dem ufert die Deutung aus.
-sprengung
zuletzt dachte ich noch an Hilbig und sein Gedicht die versprengung aus dem gleichnamigen Band, in dem nur die letzten beiden Zeilen Verwandtes aufweisen:
[...] und alle fronten überließen
mich ihren gegnern unerkannt.
ich dachte auch an Rinck, DER IMPFLING, darin:
[...] einmal injiziert, soll das system sich fortan
nur noch um sich selber kümmern. und was gegen vögel hilft,
das muss etwas vom vogel an sich haben. einen schnabel bspw.
Wolfgang Hilbig die versprengung, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 1986
Monika Rinck, zum fernbleiben der umarmung, kookbooks, Berlin, 2007
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