Literarische Selbstgespräche

Von und mit Alain Jadot

Alain Jadot © Astrid Nischkauer

also ich bin auch Hypersetzer

 

was ist die Frage?
-  meine Antwort ist: ja.
also ok, ich bin ein Textualtriebtäter.
ich habe abgeschrieben.
mein Buch gehört mir!
und ja, ich würde sagen: rettet den Konjunktiv.
Genitiv für alle!
nie wieder Semikolon, entweder ganze Kolon oder gar nichts!
wir sind das Vorwort!
wir sind das Vorwort!
wir sind das Vorwort!
und als letzter Aphorismus würde ich sagen: Schriftsteller aller Länder, schreibt euch!

also ich bin auch Hypersetzer

Hypersetzung ist natürlich ein Neologismus, eine Wortneuschöpfung. Hypersetzung das ist um es richtig abzugrenzen von Übersetzung, die genau sein muss, aber Hypersetzung ist eine globale Vision von einem Text, das heißt mit Musik und Rhythmus und auch Sinn, haha. Denn auch wenn das ein Unsinnstext ist – Unsinn ist nicht die Abwesenheit von Sinn, wie man weiß, sondern was Lustiges. Das ist der siebente Sinn, eigentlich, den man hat. Bei Charles Bernstein - Pierre Ambre, französisch hypersetzt - gibt es z.B. Texte, die prädestiniert sind für sowas [in: Charles Bernstein: Recalculating]:

TWO STONES WITH ONE BIRD
Re-
demption
comes
&
redemp-
tion
goes
but
trans-
ience
is
here
for-
ever.

Da kann man an so einen Text rangehen mit dem Sinn, oder Klang, oder alles, Rhythmus auch. Da hab ich also z.B. vier Hypersetzungen gemacht [alle bisher unveröffentlicht]. Ich nehme die dritte:

DE DEUX COUPS UNE PIERRE
Le
pardon
vient
de
part
&
don
mais
le
con-
traire
est
in-
fini.

Eine Sinnübertragung wäre:

Ré-
demption
va
&
rédemp-
tion
vient
mais
l’éphé-
mère
est
per-
pé-
tuel.

Hypersetzung, warum Hypersetzung? – Weil ich einen Text, einen lyrischen Text als Partitur betrachte; wie eine Partitur von Chopin, sagen wir. Diese Partitur ändert sich nicht, aber man kann sie mit dem Klavier spielen, oder mit der Violine oder mit einem anderen Instrument... und jedes Mal hat die gleiche Partitur einen anderen Klang, eine andere Wirkung. Und selbst zwei Pianisten spielen anders, je nach innerer Verfassung und Individualität. Jede Interpretation ist eine neue Partitur, sozusagen. Und wenn ich so eine Hypersetzung mache, oder wenn ich das vorhabe, will ich das auch, dass nicht nur der Sinn übersetzt wird, sondern auch Klang und Rhythmus. Also ich hypersetze meistens mit der gleichen Anzahl von Silben um den gleichen Atem zu haben. Und das gibt natürlich den Rhythmus. Und auch bei den Klängen, um die Klänge zu erreichen. Ich bin sicher, dass der Klang auch eine Farbe für den Verstand gibt. Und da versuche ich z.B. sogenannte akustische Übersetzungen zu machen, um den gleichen Klang zu haben. Natürlich ist der Sinn dann teilweise sehr fremd dadurch. Also ein Text von Elfriede Czurda war Der Klang der Dinge: „Oben sind Dinge“ usw. drei Seiten lang so. Und ich war in einem Atelier, wo die Studenten sehr lange brauchten, um diesen Titel zu übersetzen und überlegten: „Le son des choses“, „le son de choses“ wie bei „leçon de choses“?  – bref, und ich dachte, ah, wir kommen nicht weiter, ich versuchte es nach dem Klang und: „Der Klang der Dinge“ ist „Le clan des dingues“ geworden – „Der Clan der Verrückten“. Und „Oben sind Dinge“ - „Aubaine sont les dingues“ – „Eine Wonne sind die Verrückten“ und ab da war alles möglich natürlich. Es hat die Hypersetzung total geöffnet.

Eine Hypersetzung ist schwieriger zu machen, als eine lineare Übersetzung, weil sobald man einen Klang, ein Phonem, in einer Zeile ändert, ändert sich der ganze Sinn, weil dieser Klang, dieses Phonem, kann ein Adverb, ein Adjektiv, ein Nomen oder was anderes sein, aber das Ganze muss trotzdem am Ende auch einen Sinn haben. Und man muss das ein bisschen forcieren, damit es einen Sinn ergibt, weil man weiß, das Original hat einen Sinn, also das Ergebnis muss auch einen Sinn haben.

Der Vorteil von Hypersetzung oder akustischer Übersetzung ist, dass man unbekannte Sprachen übersetzen kann. Also ich hab auch Rumänisch, Griechisch, Finnisch, Arabisch übersetzt, also hypersetzt, akustisch. Und das ist ein schönes Hochgefühl für einen Hypersetzer, weil er sich da total frei fühlt. Man kann alles sagen, was man will, ohne vom Autor beeinflusst zu werden. Und ich meine die Hypersetzer, oder selbst die Übersetzer, die haben auch was zu sagen, nicht nur die Autoren. Ohne die Übersetzer, Hypersetzer, wären die meisten Autoren unbekannt. Ja. Also Shakespeare nur für die Engländer. Und nur die Hypersetzer machen diese Leute bekannt, sie sind wichtiger als Shakespeare, oder Goethe, Viktor Hugo, oder... egal. So sehe ich das.

Und ich betrachte die Sprache, auch die Muttersprache, die sogenannte Muttersprache, als die erste Fremdsprache, die man lernt. Denn die einzige Sprache die man von Natur aus, von der Geburt an, beherrscht, ist die Körpersprache. In allen Ländern. Es gibt kein Baby, wo die Mutter „Was sagst du?“ fragt. Alle verstehen. Ja, wenn das Baby brüllt, dann meint es „Scheiße“ oder „ich hab Durst“ oder „Hunger“, „Weh“ – ok, braucht man nicht zu übersetzen. Damit das Kind aber manipuliert wird, kriegt es eine Muttersprache. Wo es wiederholen muss. Und so kriegt es Regeln, wie man sich ausdrückt.

Aber das ist sehr lustig, ich habe zum Beispiel zwei Kinder, und da ich die Koseworte auf Deutsch nicht kannte, oder die Kinderlieder und so weiter, habe ich von Vorne herein mit meinen Kindern Französisch gesprochen, meine Frau Deutsch. Und die Kinder haben nicht mal gemerkt, das sind zwei Sprachen. Die haben einfach mit mir so geredet, wie sie es von mir hörten. Und ja, es fängt an so mit vier, fünf, wo die merken, ja für das gleiche Wort gibt es zwei Wörter, für diesen Idiot da muss man „table“ sagen und für sie da „Tisch“… „La table“ – „der Tisch“, da gibt es eine Geschlechtsumwandlung, aber das ist Schicksal.

So, und mein Sohn sprach zum Beispiel mit mir, fing einen Satz auf Französisch an, so am Tisch, drehte den Kopf, führte das Gespräch weiter mit meiner Frau und schaltete um auf Deutsch. Ohne mit den Lippen zu zwinkern. Und wenn ich ein Märchen da erzählt habe, die wussten ganz genau, also die Ente macht „quak, quak“ auf Deutsch, aber die gleiche Geschichte auf Französisch, die macht „coin-coin“, also das ist ganz klar, also mit Nasal. Die deutschen Tiere haben keinen Nasal, also „ia“, französisch: „hi-han“. Und selbst eine Glocke macht: „ding dong“, auf französisch ist es „ding din don“, nasal. „tatütata“ – „pin-pon pin-pon“ Also, man muss sich fragen – wer versteht falsch hier? Oder das ist noch krasser mit Hähnen natürlich: „kikeriki“ und „cocorico“. Wie verstehen sich die Tiere im Grenzgebiet? Sind die zweisprachig? Oder? Oder? – Ich denke ja, so wie die Kinder im Grenzbereich, sie sind auch zweisprachig, oder dreisprachig – Schweiz, Luxemburg… und das kriegen die Kinder mit, ohne einen Schaden davon zu haben. Die Mehrsprachigkeit macht nur Leute schwach, die schon sehr schwach sind von Anfang an. Aber ich glaube, jeder ist fähig mehrere Sprachen von Geburt an zu lernen.

Hypersetzung – akustische? Ja, also, da hat man wirklich die Freiheit zu übersetzen, was man will. Man kann für einen Text sogar mehrere Hypersetzungen machen, „à la carte“ sozusagen, also politisch, oder erotisch, oder sonstwas... Das ist wirklich eine sehr schöne Übung. Da braucht man nur das Material, so wie es ausgesprochen wird, um dann die Klangfarbe einfach zu umschreiben. Aber das dauert natürlich viel länger als normale Übersetzung, traditionelle. Macht auch mehr Spaß am Ende.

Ja und dann gibt es die prophylaktische Hypersetzung, die sind auch sehr interessant. Die kommen meistens, wenn man jemanden in eine andere Sprache gebracht hat und das Buch ist fertig, oder die Arbeit ist fertig, aber man ist in seine Welt reingekommen und dann kann man nicht mehr bremsen, am Ende. Das passiert mir fast jedes Mal, wenn der Autor mir gefällt. Bei Autoren die ich nicht so sehr mag – alors, es reicht wenn ich meinen Job mache, so. Aber die Besten kriegen eine prophylaktische Hypersetzung. Also ein Text „in der Art von“, aber in einer Fremdsprache, sodass er es noch nie gemacht hat. Also mit seinen Themen, mit seinen Macken, oder Stil, Stilblüten und so. Und als Vervollständigung mache ich ein provisorisches Original zu dieser prophylaktischen Hypersetzung. Denn ich bin wirklich offen und wenn der Autor, es passiert manchmal…

Also mit Jandl, der hatte mir versprochen neue Texte zu schicken, hat er nie gemacht, aber mein Verleger drängte, es war für eine Revue, der drängte: „ja, ich brauche mehr Texte als diese zwei da“ – und da habe ich prophylaktische Hypersetzungen gemacht. Und falls er fragt „das Original?“ habe ich ein provisorisches Original gemacht, was ich gerne geändert hätte, wenn Jandl mir Texte geschickt hätte. Ich bin bereit natürlich Korrekturen zu machen, selbst andere Texte zu nehmen, also von ihm, da kann ich Kompromisse machen. Aber das ist nicht passiert, also hab ich diese prophylaktische Hypersetzung und das provisorische Original geliefert. Und es ist publiziert worden – nicht sagen! Weil... – obwohl, jetzt ist er ja gestorben, das ist verjährt.

Das ist, was ich eine bitextuelle Hypersetzung nenne. Es gibt auch homotextuelle Hypersetzung, da sind die in der gleichen Sprache, also mit Synonymen, meistens. Da hab ich zum Beispiel Chansons, also Popchansons, einfach umgeschrieben. Also gleicher Sinn natürlich, aber
mit Synonymen, und das klingt sehr lustig. Also das ist eine sehr gute Übung um den Muskel Hirn zu trainieren. Wenn man den Muskel Hirn nicht trainiert – der schrumpft und vertrocknet – und nur mit solchem Blödsinn schafft man es, ihn auf Trab zu halten.

so.
ähm.
ja.
ich bin jetzt ein bisschen sprachlos.
ich kann stundenlang reden, aber ich brauche ein Stichwort…
– wir  danken Ihnen, für dieses Selbstgespräch!

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