Literarische Selbstgespräche

Von und mit Fritz Widhalm

Und jetzt mach ich fast was ich will, hab wenig Geld und bin fast glücklich.

Fritz Widhalm im Glücksschweinmuseum, © Astrid Nischkauer Gut, was erzähl ich eigentlich? Ich erzähle einfach, wie ich zur Kunst oder in die Szene gekommen bin. Ich bin ja sozusagen Unterschichtkind. Und da ist der Weg relativ vorgegeben: man wird erwachsen, lernt einen Beruf, heiratet, kriegt Kinder. Also die Kunst kommt da in dem Sinne nicht vor. Obwohl, ein bissl am Rande, also es gibt da so etwas wie Volkskunst. Und ich habe meinen ersten künstlerischen Auftritt... also ich war bei einer Volksmusik und –tanzgruppe... und hab mit zehn Jahren meinen ersten Auftritt als Sänger gehabt, noch mit sehr hoher Stimme. Und ich hab das eigentlich nur gemacht, weil man schulfrei gekriegt hat bei Auftritten. Also es war nicht so, dass mich Volksmusik wahnsinnig interessiert hat und auch der Tanz nicht, aber es war klar, man wird freigestellt, man hat seine Auftritte, man hat seine Proben und da ich nicht sehr gerne die Schule besucht habe, war das für mich natürlich ganz super. Und ich hab das ein paar Jahre gemacht, mit großem Erfolg, natürlich. Und da ich eine sehr hohe Stimme hatte und nicht im Chor singen hab können, weil ich immer ein bissl zu schnell war beim Singen, habe ich dann immer Soloauftritte gekriegt. Das war natürlich ganz toll, ich hab dann „Heitschibumbeidschi“ gesungen, mit Kerze am Kopf. Die Kerze ist in einem Glas gestanden... richtig toll hat das ausgeschaut, naja.

In der Schule kriegt man... also in der Volks-, Hauptschule am Land... kriegt man ja von Kunst und Politik eigentlich überhaupt nichts mit, das wird ziemlich ausgeblendet. Ich bin in den 50er Jahren geboren und bin Anfang der 60er Jahre in die Schule gekommen. Da war es eigentlich so, dass es klar war: Ein Kind aus proletarischer Familie braucht man nicht fördern, es wird Proletarier, wird einen Beruf lernen, oder Hilfsarbeiter, braucht man sich eigentlich nicht drum kümmern. Ich fürchte ja, dass es heute noch relativ ähnlich abläuft. Naja, vielleicht hat sich in der Stadt ein bissl was geändert, aber am Land, glaube ich, läuft das noch immer so ab. Wenn du aus einer proletarischen Familie kommst, macht dich niemand darauf aufmerksam, was es auf dieser Welt so alles gibt. Es ist einfach klar, du wirst da nie rauskommen.

Als ich so 13, 14 war, habe ich mich dann angefangen für Pop- und Rockmusik zu interessieren, das war so die erste Kunst, die mich überhaupt interessiert hat. Das war für mich natürlich ein toller Einstieg. Also, von der Underground-Rockmusik Ende der 60er Jahre war der Weg zur PopArt, Andy Warhol etcetera, der war... vorgezeichnet, sozusagen. Und dann über PopArt, wenn du da mal reingeschnuppert hattest, mit PopArt ist ja die Collage wieder groß geworden in der Kunst, super, da hat man dann angefangen zu graben und ist bald draufgekommen, Collage, das war schon mal und schwupps... schon steckte ich mitten im Dadaismus und den Avantgarden Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich hab dann sehr früh, eigentlich schon mit 15 oder 16 Jahren über Dada zu sammeln angefangen. Das ist dann weiter gegangen mit dem Surrealismus, den Lettristen, der Situationistischen Internationale und dem ganzen Umfeld. Zur Beat Generation kam ich auch ziemlich rasch durch die Musik, mein großer Liebling war Burroughs... ja, die Cut-Up Technik, die er mit Brion Gysin, glaub ich, entwickelt hat. Ich hab damals noch nicht selbst geschrieben, es war für mich einfach fantastisch zu sehen, zu hören... zu erfahren, dass es mehr gibt... mehr als man in der Schule zu sehen, zu hören kriegt. Man erfährt einfach nicht viel in der Schule. Goethe und Schiller, das hatte mit mir als Jugendlicher wenig zu tun, war eher mühselig, ich hatte das Gefühl: Das will ich nicht, das brauch ich nicht. Aber mit William S. Burroughs war es anders: Das hatte mit mir zu tun, mit meinem Leben. Ja, und man konnte das auch selbst probieren, Cut-Up, Collage, da ist Platz und... Luft, da kann man auch als Proletarier genügend frische Luft atmen. Ich hab nach der Pflichtschule Elektriker gelernt, was nicht sehr auf- und anregend ist. Aber diese Kunst konnte man fassen, ohne dass man jetzt groß Matura haben musste, man brauchte sich nur dafür zu interessieren und sich die Sachen besorgen. Das war natürlich nicht ganz einfach am Land, ich komme ja wirklich aus der tiefsten Provinz, da hat es weder Buchhandlung noch sonst was gegeben, ich habe mir das dann immer in der Stadt besorgen müssen, da musste man dann eben hinfahren. Mein Lehrherr wollte mir einmal wegen meinen langen Haaren und wegen anderer Auffälligkeiten kündigen, aber ich bin aufs Arbeitsgericht und er musste mich wieder einstellen. Also meine Lehre habe ich fertig gemacht und dann hab ich sofort gekündigt. Von zuhause bin ich bereits mit 16 ausgezogen, noch innerhalb der Lehre, weil mein Lehrherr eine Zweigstelle bei St.Pölten eröffnete, wo ich dann meine Lehre fertig machte. Ich hatte ein kleines Zimmerchen am Rand von St. Pölten, das ja dazumal auch noch tiefste Provinz war, nicht vergleichbar mit heute, also da war nichts. Aber es war zumindest einmal weg vom Dorf, sozusagen. Das war ein Fortschritt und so nach und nach habe ich mich dann einfach Wien angenähert.

Zwischendurch hab ich eine Band gegründet, Glamrock, David Bowie, T-Rex etcetera. Wir haben versucht diese ganzen Hits, Songs, die wir gekannt haben, nachzuspielen. Wir hatten aber kaum Instrumente, weil wir uns die nicht leisten konnten. Wir haben die Songs mit einer akustischen Gitarre und einem selbstgebauten Schlagzeug nachgestellt, ja, und der Sänger konnte nicht wirklich Englisch. Es war alles sehr witzig. Wir wollten natürlich richtige Glamrock-Diven sein und sind geschminkt und mit allem Drum und Dran aufgetreten, am Land, das hat nicht sehr zu unserer Beliebtheit beigetragen, das ist eher auf Ablehnung gestoßen, aber es war eine gute Schule. Man hat danach gewusst, wenn man sich diese Dinge in den Kopf setzt, dann kann man sie überall machen, es passiert nichts. Also man kann schon einmal ein blaues Auge abbekommen, das kann schon passieren, am Land, aber das überlebt man, also das ist wurscht, man kann das machen. Und man wird dadurch auch irgendwie stur. Man versucht dann einfach die Dinge, die einen interessieren, durchzuziehen, ganz gleich, ob das jemandem gefällt oder nicht.

Es war dann für mich natürlich ganz toll 1976 nach Wien zu kommen. Ich habe zwar am Anfang nichts zum Wohnen gehabt, aber es waren die 70er Jahre, da waren einfach überall WGs und so, das war nicht wirklich kompliziert, ich hab schnell etwas gefunden. Das Tolle war: es hat eine Szene gegeben. Also für Leute wie mich war Platz. Die Szene in Wien, das war damals hauptsächlich beim Naschmarkt, da waren die ersten Szene- und Freakbeisln, in denen es auch kleine Bühnen gab, wo man sich produzieren, ja, wo man sich zeigen konnte. Mit oder ohne künstlerischem Konzept. Das war wie eine große Spielwiese. 1976 ist auch die Arena-Besetzung gewesen. Ich hab später in der Arena gewohnt, nicht in der alten, sondern in der neuen Arena. Da kriegt man dann sozusagen Umgang mit der Kunstszene. Man organisiert Konzerte, Punk war angesagt, da war alles relativ easy... und chaotisch. Die Leute waren froh, wenn sie irgendwo was machen konnten, die haben meist gratis gespielt. Ja, man hat auch selber herumprobiert und Bands gegründet. Das war aber nicht so, dass man ein Wahnsinnskonzept hatte, man hat sich einfach ein paar Leute gesucht und hat sich auf die Bühne gestellt, ohne viel zu proben. Ich hatte auch mal die Idee, Punk mit futuristischer Geräuschkunst, Luigi Russolo und so, zu verbinden. Das alles war eigentlich sehr aufregend und schön. Ja, und es hat immer ein paar gegeben, die ebenfalls begeistert waren.

Für mich ist das damals gar nicht so sehr unter dem Aspekt „große Kunst machen“ gelaufen. Es war einfach der Versuch, die Welt irgendwie besser zu verstehen, was läuft... und wie was läuft... irgendwie eine Ahnung davon kriegen. Ich hab damals noch nicht geschrieben, ich hab Musik gemacht und ein bissl Comics für die Arena-Stadtzeitung. Also ich hab mich nicht so sehr als Künstler begriffen, ich hab einfach in der Szene gelebt ohne mich besonders darum zu kümmern, wie der nächste Tag ausschauen wird. Man hat den Tag gelebt und... dann war der Tag vorbei.

Zum Schreiben bin ich erst gekommen, als ich mit Ilse Kilic zusammengezogen bin. Ilse hatte mit Literatur Erfahrung, sie ist eine Zeit lang Mitherausgeberin der Zeitschrift „Pflasterstein“ gewesen. Durch Ilse bin ich auf die Idee gekommen, es selbst mit dem Schreiben zu versuchen. Ich hab begonnen, mehr oder weniger konsequent, mit Formen der sogenannten experimentellen Literatur zu „spielen“. Wir waren bald so ein kleiner Kreis, der sich dann oft getroffen hat und bei Bier und Wein darüber geplaudert hat, was man so alles machen könnte. Ja, und dann haben wir einfach gemacht. Also vieles davon war gut, hat gut funktioniert, und manches war einfach nur Quatsch, aber auch ... eine Möglichkeit. Diese ersten Versuche, wenn ich sie mir heute so anschaue, waren jetzt nichts überragend Neues oder Originelles, aber wir machten unsere eigenen Literaturzeitschriften und hatten dadurch einen direkten Weg, sie zu veröffentlichen, sie zu teilen, das war schon super. Man hat Reaktionen gekriegt und der Kreis ist größer geworden. Ja, man hat sich über seine Verwirrtheiten und Unfähigkeiten unterhalten können, ohne dass man das Gefühl hatte, da wird man fertig gemacht. Das war wichtig. Ich denke, man lernt ja viel mit der Zeit und durch das ständige Probieren werden die Ergebnisse immer besser und irgendwann hat man ein bissl den Dreh heraus, man traut sich auch mehr und kann dann irgendwann sagen: ich schreibe.

Also am Anfang war man stolz, wenn man in der Woche ein Gedicht geschrieben und vielleicht noch eine Zeichnung gemacht hat, ja, und man war wirklich happy, wenn man das dann in der eigenen oder einer befreundeten Zeitschrift gedruckt gesehen hat. Man versuchte nicht groß bei einem Verlag unterzukommen, sondern man schaute, was kann man selber machen. Wie es beim Punk üblich war, wo man sein eigenes Label gründete und seine Musik auf Kassetten verteilte. In den 80er Jahren gabs überall Kassettenlabels, von Amerika bis Japan, die haben dann auch Sachen aus Österreich mit vertrieben, ja, und umgekehrt. Also das waren kleine Stückzahlen, aber man hatte schon das Gefühl, man ist jetzt wirklich in dieser Welt angekommen und man kann da eigentlich durchaus etwas machen.

Dadaismus etcetera war für mich immer auch sehr eng verknüpft mit meinem Linkssein. Ich war zwar auch ein Fan vom italienischen Futurismus, der ja politisch sehr fragwürdig war, naja, auch Marinetti, in seiner ganzen nationalistischen und männlichen Blödheit, hat damals durchaus Wichtiges angeleiert, als er mehr oder weniger die gesamte Syntax außer Kraft setzte. Also, er war ja zum Glück nicht der einzige, Hugo Ball, Tristan Tzara, Raoul Hausmann, Chlebnikov, Stepanowa etcetera... das war etwas, das mich damals total gefesselt und begeistert hat. Das war für mich wirklich ein toller Zugang zur Literatur... und zum Leben.

Gut. Ich wurde bereits in einer Zeit groß, wo diese ganzen Strömungen durch Bücher wieder zugänglich waren. Man merkte natürlich, dass viel was da an experimenteller Literatur in den 50er Jahren stattfand wie die Wiener Gruppe, dass das gar nicht so neu war. Aber egal, es war wichtig, weil es einfach diese Revolte, die durch Faschismus und Krieg zerstört worden war, wieder sichtbar gemacht und dadurch wieder das Interesse daran geweckt hat. Ich mag manche Leute der Wiener Gruppe sehr gern und lese sie noch immer mit Begeisterung. Also meine Lieblinge sind da H.C. Artmann und Gerhard Rühm. Artmann einfach, weil er fähig war, Alles und Nichts in Poesie zu verwandeln, und Rühm, weil er die nötige Arroganz besaß, den Dingen Größe zu geben. Er konnte einfach behaupten, die Wiener Gruppe habe die Montage erfunden, wow, und es war irgendwie okay, es hat ja wieder jemand kommen müssen und laut und deutlich sagen: Wir waren das, wir haben das gemacht... und es ist verdammt wichtig so und... richtig so. Gerhard Rühm war der Tristan Tzara der Wiener Gruppe.

Meine Lieblingsbuchhandlung in Wien war der Bücher Herzog in der Babenbergerpassage... den gibts schon lange nicht mehr... also das war eigentlich die erste Buchhandlung in Wien, wo ich das Gefühl gehabt habe, da fühle ich mich zu Hause. Da hat man damals auch viele österreichische Sachen gekriegt, wie Freibord, Herbstpresse, Frischfleisch & Löwenmaul, Kopfnoten und wie sie alle geheißen haben. Ja, und man hat gesehen, es ist einiges möglich... Zeitungen und kleine Büchlein herzustellen. Wir sind dann mit unseren Zeitungen durch die Szenelokale gezogen und haben sie für ein paar Schilling angeboten und wenn man genug zusammen gehabt hat, hat man sich getroffen und es wieder ausgegeben... für Bier und Spaghetti, ja, und ein bissl was zurückgelegt für die nächste Zeitung, eventuell.

Ja und irgendwann haben Ilse und ich beschlossen, wir machen einen eigenen Verlag, weil wir uns irgendwie gedacht haben, wir wollen jetzt nicht nur unsere Literatur veröffentlichen, sondern Literatur, wo wir glaubten, dass sie etwas zu sagen hat... Literatur, die irgendwie unsere Art zu denken und zu leben repräsentiert. Wir haben uns dann ein bissl beraten lassen, also da waren für uns wichtige Leute wie Werner Herbst mit seiner Herbstpresse, Gerhard Jaschke mit Freibord, die Kopfnoten, da war die Waltraud Haas dabei... und der Gerald Grassl, glaub ich zumindest. Ja, und die haben uns dann auch so nach und nach, vielleicht nicht gleich, aber doch, darauf hingewiesen, wie es möglich ist, ein bissl Geld zu bekommen... Subventionen, Projektförderungen zu kriegen. Wir haben am Anfang alles selbst gemacht, selbst gebunden, kopiert und die Covers waren handgemalt. 1989, glaube ich, sind wir dann das erste Mal in eine Druckerei gegangen. Wir hatten ja keine Ahnung von Kalkulation, Buchhaltung und dem ganzen Kram und haben dann über die Jahre gleich einmal einiges an teilweise durchaus sauer verdientem Geld hineingesteckt. Aber inzwischen läuft das eigentlich ganz gut. Früher haben wir hauptsächlich Einzelpublikationen gemacht, jetzt machen wir mehr Sammelbände zu verschiedenen Themen. Das ist aber nicht, weil wir das besser finden, sondern... irgendwann hat man einen Kreis von Autorinnen, Autoren und es ist einfach nicht mehr möglich, alle irgendwie unterzubringen. Und wir haben nicht genau gewusst, wie gehen wir damit um, dass man eigentlich immer Leute vertrösten muss. Man kennt das ja selber auch, wenn man schreibt, dass es ungut ist, wenn man dann jahrelang warten muss bis zur Veröffentlichung. Naja, da haben wir uns dann ganz praktisch gedacht... Sammelbände, da kann man mehr Leute integrieren und ihre Sichtweisen und Schreibweisen genauer kennenlernen.

Ich persönlich hab ja relativ viel Glück gehabt und es ist ja im Grunde genommen Glück. Ich hab mein erstes Buch relativ schnell, nachdem ich zu schreiben begonnen hab, machen können. Es erschien bei einem Schweizer Verlag, einem ganz kleinen, der hat Copyleft geheißen. Ich hab die Leute damals über Mail Art kennengelernt. Mail Art war, würde ich mal sagen, beeinflusst von Fluxus. Es hat alles über den Postweg funktioniert. Man hat Collagen gemacht, weiter geschickt zu anderen Mail ArtistInnen, das hat dann Runden gezogen, zum Teil wurde von anderen daran weitergearbeitet, ja, und irgendwer hat das dann gesammelt... es gab Ausstellungen, Kataloge, Zeitungen, Mappen, Büchlein... so hat man irrsinnig viele ArtistInnen kennengelernt und Möglichkeiten gehabt, irgendwo auf der Welt in Erscheinung zu treten. In der DDR war damals auch relativ viel los... da hat man einfach hundert Originale hingeschickt, das war zwar etwas mühselig, und die haben das dann zur Zeitschrift gebunden. Das war schon immer aufregend, man hat dann plötzlich das Gefühl gehabt, man hat auch in der DDR mitzureden. War natürlich alles auch auf eine gewisse Art Illusion, so viel hat man auch hier, wenn man Bücher macht, nicht mitzureden. Aber man versucht es zumindest. Ich denke mir Literatur, ob das jetzt experimentelle ist, oder schlicht Erzählung, ganz gleich... es ist ja immer irgendwie der Versuch, Verantwortung zu übernehmen, mit- oder dagegen zu arbeiten, diese Gesellschaft solidarisch zu formen. Man ist ja eigentlich total weit weg von Selbst- und Mitbestimmung. Ich meine man kann alle paar Jahre mal wählen gehen, aber da ist ja nicht wirklich viel Auswahl, würde ich sagen. Naja, man kann ein Buch machen, man kann einen Text schreiben, man kann ein Lied komponieren etcetera... man kann zumindest ein Angebot des Mitredens, des Mitdenkens machen und sich versuchen zu positionieren. Ich denke mir, das ist wichtig. In den 70er Jahren haben wir uns ja gedacht, wir ändern die Welt... jetzt... aber es hat natürlich, wie man sieht, kaum, naja, ein bissl Früchte wird es schon getragen haben, aber nicht die, die wir uns eigentlich erwartet haben. Wir haben ja noch nicht einmal das bedingungslose Grundeinkommen. Die Armen werden ärmer und die Reichen reicher, das ist alles nicht so toll. Also es ist ja zurzeit die politische Situation eher sehr problematisch.

Oft stellt sich für mich die Frage, was will ich eigentlich noch mit meiner Literatur, wo habe ich überhaupt noch einen Ansatz, einzugreifen? Aber man muss sich irgendwie ständig, wenn man Kunst macht... oder sonstwas... man muss sich einfach das Gefühl geben: Es ist noch möglich, etwas zum Besseren zu ändern. Naja, im Großen und Ganzen bin ich zuversichtlich, aber man kann schon des öfteren daran verzweifeln, dass sich da eigentlich so wenig bis gar nichts tut. Im Gegenteil, ich würde sagen, manche Sachen haben sich auch wieder rückwärts entwickelt. In den 70er, 80er Jahren, da hat es doch vermehrt Interesse gegeben an so kleinen Strukturen, also da war es eigentlich noch relativ „easy“, diese Dinge auch zu verteilen und einen Prozess von Diskussion in Gang zu setzen. Jetzt hat man oft das Gefühl, man arbeitet wirklich total im Abseits. Man hat zwar jetzt das Internet und man erreicht auf eine gewisse Art viele Leute, aber da passiert dann so viel, dass man es eigentlich selbst überhaupt nicht mehr auf die Reihe bekommt. Also ich bin ein sehr großer Freund vom Internet, da ich sehr viel Musik sammle und so. Und man da, wenn man sucht, genug Gleichgesinnte findet und dadurch an Sachen rankommt, an die man sonst nie rangekommen wäre. Bei Literatur, würde ich sagen, gibts das auch, aber weniger, weil man da ja eigentlich im Grunde genommen an viele Sachen doch ... naja, andererseits, also wenn ichs mir recht überlege, ich denke jetzt an so Sachen wie August Stramm, wo dann alle 10 Jahre mal wieder was kommt und dann sehr lange wieder überhaupt nichts erhältlich ist, oder...  ich glaube von „Zuginsfeld“ von Otto Nebel kriegt man zurzeit auch keine Ausgabe. Also es gibt im Internet Archive, wo man es sich ausdrucken kann. Ich glaube das Gutenbergmuseum in Mainz bietet zum Teil diese Texte zum freien Download oder gegen minimale Bezahlung an. Nur da tu ich mir dann oft ein bissl schwer, weil ich will dann irgendwie ein gebundenes Buch haben und nicht eine Sammlung von losen Seiten, aber gut... ich werde heuer 60, da hat man das Zeugs dann eh irgendwann gelesen. Aber ich bin natürlich auch an zeitgenössischer Literatur sehr interessiert, nicht nur an diesen alten Sachen... das war für mich aber der Anfang, mich überhaupt für Kunst und Leben zu interessieren.

Was ich heute bedauere, dass... auch in diesem ganzen experimentellen Umfeld...dass man heute eigentlich oft auch das Gefühl hat, dass sich Leute dieser Formen zwar bedienen, aber eigentlich nichts mehr wirklich damit verknüpfen. Es ist irgendwie das Leben ein bissl verloren gegangen in der Kunst. Also es ist manches, was man heute so liest, auch relativ leer. Man bedient sich zwar ganz geschickt der vorhandenen Formenvielfalt, aber es fehlt der Mensch dahinter, der irgendwas damit darstellen will, einfach etwas will. Wobei ich glaube, man darf sich nicht mehr die Illusion machen, dass diese Formen heute noch genügen, um irgendetwas zu sagen. Das ist so wie bei der abstrakten Kunst, die hat man heute überall herumhängen... in jedem Ministerium, jeder Bank etcetera.... sieht manchmal toll aus, oder nicht... aber sonst. Da muss irgendwas kommen, das wieder spricht sozusagen: Ich stehe für das, ich will das und das und das... mit meiner Kunst. Ich denke, das geht heute oft so schnell, Leute werden nach oben gerissen, sie haben überhaupt keine Zeit mehr, sich zu entwickeln... es wird verkauft, ja, es muss verkauft werden. Es gibt dann keine Zeit zum Nachdenken mehr. Also die sind dann wahnsinnig enttäuscht, wenn sie wieder rauskatapultiert werden... sich nicht mehr so gut verkaufen. Aber dass das ja nicht das Grundlegende ist, warum man diese Dinge überhaupt macht... gut verkaufen, hat ja nichts mit Kunst zu tun. Klar, es ist notwendig, dass man Geld auftreibt in unserer Gesellschaft, das ist schon ganz klar. Und jede und jeder wünscht sich im Grunde genommen, dass er sich seine Zigaretten und sein Bier kaufen kann, eine schöne Wohnung hat und ab und zu ins Kino oder sonstwohin gehen kann. Aber ich finde es total verrückt, wenn Kunst dann in Kategorien gehandelt wird, in Wertkategorien, die total abgehoben sind. Es ist einfach ein Wahnsinn, wenn man dann liest, dass jetzt für Schiele-Bilder so und so viel bezahlt wird. Da geht es ja nicht darum, dass der Künstler, die Künstlerin irgendwie fein leben können, da verdienen Leute daran, die nichts mehr verdienen müssen... ja, die eigentlich nichts mehr verdienen wollen sollten, wenn sie mal gründlich über Demokratie oder Solidarität nachdenken würden.

Eigentlich hab ich in meiner Jugend als bildender Künstler angefangen. Das ist am Anfang ganz gut gelaufen. Da war es noch nicht so verpönt, Autodidakt zu sein. Natürlich hast du „Anschieber“ gebraucht. Ich habe damals eine Beziehung zu einem Innenarchitekten gehabt, das war noch in Linz... ich hab kurz mal in Linz gelebt. Der Innenarchitekt war sozusagen wohlhabend und hat selbst Kunst gesammelt. Der hat dann eine Galeristin gekannt, und die hat dann einen Journalisten gekannt, und der hat dann auch wieder jemand Wichtigen gekannt, ja, und dann war die erste Ausstellung und alles lief wunderbar. Nur sind das ganz komische Kreise, wo du dich da bewegst, die nehmen dir jede Aufmüpfigkeit und verwenden sie gewinnbringend für ihr liberales Fortschrittsdenken. Ich war damals sehr jung und habe mir bald gedacht: bitte, mit diesen Menschen will ich nichts zu tun haben. Ja, da hab ich mir gedacht, nein, da male ich nichts mehr. Ich hab dann in Wien nochmal angefangen mit dem Malen... also jetzt male ich ja fast nur mehr Schweine für unser Museum... also ich hab damals eine Ausstellung organisiert in Wien, von KünstlerInnen aus Brno und Umgebung, das war knapp nach der Öffnung, Anfang der 90er Jahre, ich weiß nicht mehr genau, da sind einige Sammler gekommen und die haben denen das irrsinnig billig abgekauft... die haben die ganze Ausstellung aufgekauft. Ein Sammler hat sich die Bilder dann bei mir in der Wohnung abgeholt und Bilder von mir gesehen und für seine Privatsammlung gekauft. Naja, der hatte eine Privatsammlung und war hauptberuflich Sammler für einen Immobilienkonzern. Er hat dann immer wieder gekauft, hauptsächlich Männerakte, es war nett, ich hab die Bilder abgeliefert und dann sind wir zum Bankomaten und Essen gegangen. Doch irgendwann wollte er mehr aus mir machen und er hatte die Idee, dass ich mit dem Schreiben aufhöre, weil mich das zu sehr vom Malen ablenkt, naja, dann hab ichs bleiben lassen. Seither verdiene ich mit der Malerei wenig, aber was solls... jetzt mach ich fast was ich will, hab wenig Geld und bin fast glücklich. Ich glaube, das reicht.

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