Von und mit Ilse Kilic
…für die menschliche Fähigkeit des Mitfühlens ist Kunst etwas ganz Wichtiges.
Ilse Kilic im Glücksschweinmuseum, © Astrid Nischkauer Was ich mich jetzt oft frage, in Bezug auf mein Schreiben, ist sozusagen die gesellschaftliche, gesellschaftspolitische Verortung. Einerseits gibt es den Wunsch der Kunst als Widerspruch zu gesellschaftlichen Verhältnissen. Andererseits wäre mir das als Aufgabe zu eng gefasst, obwohl das sicher auch immer drin ist. Aber es kann nicht jedes Gedicht ein Widerspruchsgedicht quasi sein. Jetzt denke ich schon auch irgendwie darüber nach, was für Funktionen ich für mich jetzt auch noch wahrnehme am Schreiben selber, oder wie ich mich da sozusagen selber sehe. Ich meine, das mit dem Widersprechen zu den Verhältnissen ist mir schon ganz wichtig. Und ich würde auch sagen, dass es in vielen Texten vorkommt, auch wenn es jetzt nicht immer so vordergründig steht: „Nein, ich bin jetzt gegen das, oder für das!“, das muss ja nicht so sein. Es muss nicht auf diese Art ausgedrückt sein. Aber ich glaube schon, und ich glaube, in vielen Texten kommt das auch vor: die Vorstellung, eine andere Welt ist möglich. Also diese Idee, dass wir diesen Gedanken auch offen halten, oder auch noch präsent halten, dass das nicht die einzige und auch nicht die beste aller Realitäten ist, sondern dass eine andere denkbar, möglich und auch notwendig ist. Also ich glaube, das kommt schon ganz oft vor. Sei es jetzt, dass meine Romanfiguren – sofern man das überhaupt Roman nennen kann, also im klassischen Sinn sicher nicht, aber egal – also dass sich meine Figuren zum Beispiel fürs Grundgehalt einsetzen. Oder dass die auch auf Demonstrationen gehen. Oder dass sie selber auch diese Ideen tragen, für die ich stehe.
Das ist eine Variante, wie das, glaube ich, Platz finden kann. Es ist aber auch so, dass ich andere Funktionen von Kunst auch irgendwie gelernt habe zu sehen. Und da gehört vielleicht auch dazu, dass das sowas ist, wie eine Einübung in Empathie, gewissermaßen. Also Empathie, Mitgefühl, auch Offenherzigkeit, Warmherzigkeit. Oder auch zu sehen: es gibt noch andere Menschen, die anders empfinden, als ich. Und die ich auch wahrnehmen kann, in ihrer Problematik, aber auch in ihrer Denkweise, in ihrer Lebensform und so. Und mit ihnen ja auch mitfühlen kann. Also ich glaube, für die menschliche Fähigkeit des Mitfühlens ist Kunst etwas ganz Wichtiges. Also Kunst in jeder Form und eben auch Literatur. Vielleicht auch für eine Art von Aufmerksamkeit – sich selber gegenüber, aber auch der Umwelt und den Mitmenschen gegenüber – glaube ich, ist Kunst fast unentbehrlich. Oder ist es halt, glaube ich, sehr wichtig, die Sinne offen zu halten. Das ist vielleicht auch eine Funktion, die mir wichtig geworden ist.
Natürlich auch, sozusagen, dass man, indem man schreibt, aber auch liest, oder Musik hört, oder wie auch immer sich mit Kunst befasst, dass das auch eine Erweiterung des Erkenntnisraumes ist. Also schon ein bisschen klassisch auch: Kunst als Fortbildung. Jetzt aber nicht nur unbedingt Fortbildung in einem Bildungskanon. Sondern eben auch Fortbildung im Wahrnehmen anderer Denkmöglichkeiten. Ja, hier muss man kritisch anmerken, dass der Zugang zur Kunst, sei es als Kunstschaffende, sei es aber auch als Kunstrezipierende, dass, sagen wir so, dass es schon ein restriktiver Zugang ist. Jetzt abseits von dem absoluten Kanon und Bestsellern und so, würde ich sagen, es ist sehr schwer, scheint mir, für sich einen Zugang zur Kunst zu finden. Also das ist richtig eine Arbeit, die man auf sich nehmen muss, glaube ich, auch als Leser oder Leserin, zu suchen, was passt jetzt zu der Lebenssituation, in der ich bin, was will ich lesen, was will ich hören, was bringt mir was, in dieser meiner Lebenssituation.
Wobei eine Funktion von Literatur vielleicht auch der Trost ist, den man finden kann. Oder den man auch braucht, manchmal. Oder den vielleicht jeder Mensch manchmal braucht.
Ich habe bei mir die Erfahrung gemacht, dass ich ein Buch zum Beispiel zehn Jahre später noch einmal gelesen habe, und es ganz anders wahrgenommen habe. Also es gibt diesen Weg, wo man auch suchen muss: Was passt jetzt gerade? Was lässt sich aufspüren, worauf stoße ich mit der Nase? Natürlich sind viel auch Zufälle, auf was man aufmerksam wird, oder: aufmerksam gemacht wird. Da finde ich es auch wieder schade, dass die sogenannten Bestseller einen großen Raum einnehmen und wahrscheinlich einen allzu großen. Sodass es eigentlich immer schwerer wird, für die Nicht-Bestseller oder auch für die ganz normalen Werke, einen Platz zu finden, wo sie gefunden werden können.
Ja, das mit dem Trost. Also ich glaube, das eine ist halt, dass man gesellschaftliche Verhältnisse beeinsprucht. Aber das andere ist natürlich auch, dass es sozusagen solche Grundsatzfragen des Lebens gibt, mit denen sich Kunst befasst. Und Literatur sehe ich als Teil der Kunst. Mit denen sich also auch Literatur befasst. Grundfragen, damit meine ich jetzt zum Beispiel Endlichkeit des Lebens. Aber natürlich, da kommen wir eben immer, oder ich komm da immer auch, in den politischen Kontext rein: unter welchen Bedingungen? Oder leben, unter welchen Bedingungen? Gemeinschaft, unter welchen Bedingungen? Wie mit anderen Menschen umgehen? Akzeptanz, wie ist das möglich, oder wie stelle ich mir das vor?
Aber natürlich, das mit der Endlichkeit, glaube ich, ist ein großes Thema. Ist auch für mich ein größeres Thema geworden, hat sicher auch mit dem Alter zu tun. Auch mit Krankheitserfahrungen. Aber ist auch für mich als Thema sicher größer geworden, weil es ja auch irgendwie fast unvorstellbar ist. Und ich glaube, vielleicht sind unvorstellbare Sachen auch Thema der Literatur. Also sie sozusagen ein bissl – ja, vorstellbar zu machen, wäre schon wieder zu viel gesagt – aber sie doch ein bissl sozusagen einzukreisen, ich sage einmal einzukreisen. Verschiedene Blitzlichter darauf zu werfen und damit auch einfach verschiedene Aspekte zu zeigen, vielleicht auch eine Möglichkeit zu schaffen, einen Weg für Verständnis, und dass sich Fragen vielleicht stellen lassen. Also das glaube ich schon, dass Unvorstellbares, Unaussprechliches und solche Dinge auch ein Thema sind für die Literatur.
Oft war es nach Lesungen so, dass mich Leute dann gefragt haben, oder es kam halt zu Gesprächen und dann war diese Frage nach der Verständlichkeit, also: „Kennt man sich da überhaupt noch aus?“ Und dann war ich in der Situation, erklären zu müssen, warum ich so unverständliche Sachen schreibe. Und das war natürlich irgendwie schwierig für mich, weil eigentlich habe ich es gar nicht so unverständlich gefunden. Aber mir war natürlich klar, dass man sozusagen auch lesen lernt. Und ich habe lesen und auch wahrnehmen von Texten gelernt. Und das lernt man eben, indem man es tut. Und dadurch versteht man dann auch die Texte ganz anders. Das ist halt auch so, wenn ich oft schwimmen gehe, dann schwimme ich eben anders, oder erlebe ich auch das Schwimmen anders. Es gibt eben einfach eine Auseinandersetzung mit Dingen, die dadurch entsteht, dass man es macht. Und es war für mich ganz schwierig dann zu erklären, warum, erstens, ich das eh verstehe und auch nicht unverständlich schreiben möchte. Also ich schreibe nicht so, damit es halt unverständlich ist, das ist überhaupt nicht meine Absicht. Aber gerade diese oft schwer zu fassenden, oder unvorstellbaren, oder auch so vielschichtigen Themen, die rufen eben oft – oder mir scheint so – nicht nach großen Worten, sondern oft eher nach kleinen Worten und nach mehrdeutigen Worten, nach dem Nachdenken selbst, das in den Worten liegt. Weil die Realität ist ja auch nicht so eindeutig, wie wir es oft gern glauben wollen.
Oder es war auch so, wie ich noch jung war, war es so ein Thema auch in der Frauenbewegung, dass man gesagt hat: „Naja gut, das ist jetzt feministische Literatur, und woran merkt man das?“ Und da war für mich dann so die Frage auch nach dem Zusammenbringen von Kunst und Leben. Also es reicht nicht, wenn ich jetzt sage, ich bin Feministin und – oder reicht es? – wenn ich sage, ich bin Feministin und deswegen schreibe ich feministische Literatur? Ist es das schon? Oder gibt es was anderes, was in meiner Literatur sozusagen vorkommt, was auch die politisch feministische Haltung, die ich natürlich habe, vertritt. Sieht man die? Kann man die sehen, kann man die in den Texten erkennen, angreifen, herausdestillieren? Das ist dann die Frage der Literaturwissenschaft, ob man es kann. Ich weiß es selber eigentlich nicht. Ich möchte es schon, aber ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass ich sehr hellhörig bin bei Texten, also was die Rolle von Männern und Frauen betrifft, die sie einnehmen, speziell in erzählender Literatur. Ich möchte nicht, dass in einem Text so Mann-Frau-Klischees auftreten. Da bin ich sicher sehr hellhörig geworden, auch bei mir selber, wenn ich schreibe. Aber was jetzt darüber hinausgeht? Ist es zweifelsfrei zu erkennen? Ist zweifelsfrei erkennen überhaupt möglich? Das betrifft hier generell die Präsenz des Politischen in den Texten.
Ich meine, über diese ganze Frage des Politischen, da gehört natürlich auch OuLiPo dazu, da gehört eben Widerstand gegen die Regel dazu. Also das ist ja dieses Zitat von Queneau: „Wer spielt kennt den Widerstand der Regel, aber auch den Widerstand gegen die Regel.“ Und das war schon auch was, was mich interessiert hat, wie die Sprache sozusagen ein Regelwerk ist, an das wir uns halten, ohne dass wir es uns bewusst machen. Und wie können wir dieses Regelwerk so verändern, dass jetzt die Sprache doch Sprache bleibt – also natürlich kann ich auch die Syntax auflösen und so, aber um das ging es mir eigentlich nicht – sondern wie kann ich das Regelwerk so verändern, dass es auch als Regelwerk sichtbar wird, einerseits. Und dass ich Regeln hinzufüge, die auch meine eigene Wahrnehmung verändern. Also wie ich das Buch geschrieben habe, ohne E und U, da war es dann plötzlich wirklich so, dass ich durch die Benennung der Gegenstände auch andere Gegenstände gesehen habe. Ich habe mir dann wirklich überlegt: „Aha, also Alkohol kann ich trinken, Bier könnte ich nicht trinken, weil es ja ein langes „ie“ hat und Wein auch nicht, natürlich, aber Schnaps schon.
Und ich habe dann so richtig gesehen, dass das auch was mit der Wahrnehmung macht. Es macht was mit der Wahrnehmung, wenn ich sie in ein anderes Sprachmodell, in eine andere Sprache, zwinge, sage ich jetzt einmal. Und wenn ich nur Worte ohne E und U suche, dann finde ich eben eher den Tisch als das Bett, eher die Last als die Lust, eher Faszination als Kummer. Also genau so, wenn ich jetzt Reime suche, dann fallen mir plötzlich Reimworte auf, oder Anagrammworte. Also das ändert was mit mir. Es ändert was an mir als Autorin, in dem Fall, aber eben auch als wahrnehmende Person. Das fand ich irgendwie sehr spannend. Und natürlich auch die Frage vom sprachlichen Regelwerk an sich. Also dass wir ja auch in diesem Regelwerk denken, also unser Denken vollzieht sich nach diesem Regelwerk.
Ich habe jetzt so ein Buch gelesen, der Autor heißt Hofstädter, und das ist dieser berühmte von Goedel, Escher, Bach. Und der schreibt eben über denken und wahrnehmen in Analogien. Und das fand ich sehr interessant, weil er eben da auch Sprachen vergleicht. Wie anders die Analogien und auch die Metaphernbildung anhand von Analogien in anderen Sprachen passieren. Und es bedeutet aber was, wenn – ein ganz banales Beispiel – wenn es das Wort „Gemütlichkeit“ eben im Deutschen gibt, aber zum Beispiel im Englischen nicht, dann bedeutet das auch was. Es ist eben dann dort keine Gemütlichkeit, in diesem Sinn. Es ist dann ein anderes Wort, aber Gemütlichkeit gibt es dann dort nicht. Und dann finde ich das auch spannend in Bezug auf Übersetzbarkeit natürlich von Texten. Oder gibt es Übersetzung? Aber ich finde es auch spannend in Bezug auf zwischenmenschliches Verstehen. Weil wenn diese Sprache zu stark abweicht, ist natürlich auch das Verstehen sozusagen schwieriger, oder es bedarf fast einer Übersetzungsarbeit. Und dort will ich jetzt nicht hin, dass sozusagen dann Privatsprache entsteht. Das kann auch sehr spannend sein, aber ist jetzt nicht mein Thema, dass sozusagen jeder Mensch im Prinzip natürlich sowas wie eine ganz eigene Sprache hat, das glaube ich schon. Aber ich möchte nicht dorthin kommen, dass es gar nicht mehr rüber kommen kann zu anderen Menschen, das möchte ich nicht, aber vielleicht ist dieses komplette Nicht-Verstehen sowieso unmöglich. Also gehe ich eher davon aus, dass es sowas wie Mitteilung gibt, oder Mitteilungsmöglichkeit innerhalb und außerhalb der Literatur.
Was für mich als Schriftstellerin auch wichtig ist, ist schon dieses Spannungsfeld zwischen, ich nenne es einmal Karriere, und das Gegenteil davon, da finde ich jetzt gar kein Wort, es wäre halt, dass man gar nicht publizieren kann, dass man eigentlich diesen Schritt nicht schafft, mit seinen Texten an die Öffentlichkeit zu gehen, das wäre sozusagen das andere Ende. Wobei beides für mich eigentlich negativ besetzt ist. Also ich möchte weder eine Karriere machen, ich möchte nicht eine von den Bestsellerautorinnen sein, wo dann meine Bücher die anderen verdrängen. Ich möchte schon, dass es eine Ausgewogenheit gibt. Ich möchte, dass für alle Bücher Platz auf dieser Welt ist. Also für alle Bücher und alle Werke, die Menschen machen. Und dass sie auch gesehen werden können. Und ich möchte nicht, dass meine dann zu denen gehören, die alle anderen wegdrängen, weil sie halt im Prinzip zu viel Platz brauchen. Also auch das ist für mich schon eine Frage von Ausgewogenheit und von dem Platz, den man für sich beansprucht. Ich glaube, es würde der Literatur gut tun, wenn nicht jeder das gleiche liest. Ich finde es aber auch schade, dass es Werke gibt, die gar kein Publikum finden. Da möchte ich auch nicht sein, dass ich gar nichts publizieren kann und dass ich halt sozusagen nur für die Schublade schreibe oder zeichne. Das würde ich auch nicht wollen, also es geht für mich schon darum, selber einen Platz zu finden, wo ich gesehen werde. Wo ich weder die anderen gleich verdränge, weil ich so überpräsent bin und mich breit mache, also werkmäßig, und trotzdem will ich präsent sein und meinen Teil beitragen, zu diesem großen Spektrum, was Literatur ist. Und so glaube ich, soll das auch nebeneinander stehen und nebeneinander stehen können.
Ich war jetzt in der Alten Schmiede zum Thema „Was ist gute Literatur?“, war da das Diskussionsthema. Und da habe ich auch so überlegt, also „gute Literatur“, gibt es ja nur, den Begriff, weil es auch den Begriff „schlechte Literatur“ gibt. Es kann aber manchmal sein, dass eine sogenannte „schlechte Literatur“ durchaus auch gut ist. Nämlich gut in dem Sinn, wie derjenige, der sie liest, damit umgehen kann, oder Dinge aufgreifen kann. Also ich möchte mit Wertungen eher vorsichtig umgehen.
Ja, mir ist das insofern auch wichtig, weil es wird oft für selbstverständlich angenommen, dass man halt die Karriere eigentlich eh machen will. Und dass eh jeder und jede große Auflagen haben will. Und dass es dann eh jedem wurscht ist, ob die anderen auch noch Platz finden daneben, sei es jetzt im Buchladen, aber auch in Rezensionen, oder einfach in der Wahrnehmung der Leute. Und mir ist das aber nicht wurscht. Und es geht mir eigentlich auch nicht darum, dass ich noch ein bissl mehr Auflage habe. Also das muss nicht sein. Ich finde, es wäre besser, sozusagen, es gäbe weniger Bücher mit Millionenauflagen, und dafür Millionen Bücher mit kleinen Auflagen. Wäre mir lieber. Ich meine, ich werde eh nie eine Millionenauflage haben, das ist auch in Ordnung, also ich gehöre zu denen, mit den kleinen Auflagen. Und es ist nicht so, weil das wird auch oft so angenommen, als wäre man halt nur ein bissl neidisch und hätte es in Wirklichkeit eh gern. Ich glaube, das stimmt für mich nicht, ich hätte es nicht gern. Ich möchte genug Geld zum Leben haben, das ist auch klar. Also das soll auch jeder haben, ob er jetzt gute, schlechte, oder gar keine Literatur schreibt oder liest. Das ist auch in Ordnung. Und ich möchte nicht zittern müssen, was ja jetzt oft so ist. Also ich möchte nicht zittern müssen: „Geht es sich aus? Kann ich mir das noch leisten? Kann ich ins Wirtshaus essen gehen?“ Oder so, das habe ich schon manchmal belastend empfunden. Aber das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. Also in diesem Zusammenhang zum Beispiel weise ich auf die Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens hin.
Aber ich finde es ganz wichtig, dass diese hierarchische Ordnung auch der vielbegehrten Bestseller und der weniger begehrten Kleinstauflagen, dass diese Hierarchie nicht zwangsläufig gegeben ist. Und dass man eigentlich aus meiner Sicht gut daran täte, sie nicht aufrecht zu erhalten. Und da erinnere ich mich immer daran, dass letztlich auch diese großen Auflagen natürlich auch etwas damit zu tun haben, dass es ja so ist, dass wenn man größere Auflagen macht, das einzelne Buch billiger wird. Weil das ist sozusagen einfach eine Eigenheit des Buchdrucks. Wenn ich fünfhundert Stück mache, ist der Preis insgesamt natürlich billiger als bei 1000 Stück, aber 500 Stück kosten mehr als die Hälfte. Das heißt je höher die Auflage rauf geht, umso billiger wird das Einzelexemplar. Das ist sicher etwas, was zu größeren Auflagen geführt hat, die dann natürlich auch gehypt werden und wie die ganze Maschine halt läuft. Ich glaube aber auch, dass die Schnelllebigkeit, die sich jetzt in der Literatur, aber auch in anderen Kunstsparten oder anderen Lebenssparten, entwickelt hat – also es geht einfach ganz rasend schnell: jemand wird raus gefischt aus dem Pool der Schreibenden, wird nach oben geschleudert, darf dort ein bissl bleiben, hat dann vielleicht ein, zwei sogenannte Bestseller, oder zumindest Gutseller, und dann ändert sich das wieder und das Rad dreht sich weiter und der oder die nächste ist dran. Also ich habe das Gefühl, dass das mit rasender Geschwindigkeit geht. Vielleicht kommt es mir nur so vor, als ob es schneller würde, auch die ganzen Vermarktungsmechanismen auch schneller werden und mehr verlangen. Vielleicht scheint es mir nur so, aber mir scheint es auf jeden Fall so, ja. Aber nicht nur in der Literatur, wie gesagt.
Ja, soviel zu dem, wie ich sozusagen zur Karriere stehe. Also Erfolg ist auch so ein Begriff, Erfolg und Misserfolg zu haben. Das sind auch so Begriffe, wo ich mir denke: „Naja, was ist aber jetzt eigentlich Erfolg?“ Also ist es Erfolg, sozusagen überleben zu können? Ich zitiere jetzt sinngemäß die Ilse Aichinger – also aus meiner Erinnerung zitiere ich das – die gesagt hat, es ist Erfolg, das Leben auszuhalten mit einer gewissen Heiterkeit, ich glaube, sie verwendet das Wort Heiterkeit. Also das finde ich zum Beispiel eine schöne Definition von Erfolg. Auch bei einem Gedicht von meiner Kollegin Magdalena Knapp-Menzel kommt das sinngemäß vor: also das Leben aushalten und dabei noch heiter sein zu können, oder fröhlich sein zu können, dass das eine Art von Erfolg ist. Das möchte ich, also trotz aller Widrigkeiten auszuhalten und nicht bitter zu werden, oder traurig.
Aber Erfolg heißt ja eigentlich auch was anderes, in der landläufigen Definition heißt es eigentlich, dass es eben erfolgreiche Menschen gibt, die eine Sache beherrschen und eben weniger erfolgreiche, die das nicht tun. Oder die viel Geld verdienen, oder die das nicht tun. Und da wird es für mich schon viel schwieriger, weil am Geld kann man den Erfolg schwer messen. Vielleicht kann man ihn daran messen, ob man das Gefühl hat, man hat das geschrieben, was man schreiben möchte, oder man schreibt das, was man schreiben möchte. Das wäre auch eine schöne Definition. Am Geld und an der Auflagenhöhe, oder an der Anzahl der Lesungen, also das wäre halt die Marktpräsenz usw., das wäre für mich nicht der geeignete Maßstab für Erfolg.
Zum Teil denke ich mir manchmal, dass Erfolg sogar was ist, also Erfolg im marktwirtschaftlichen Sinn, was dem Text nicht immer gut tut. Ich habe mir eine Zeit lang vorgenommen, dass ich keine Bestseller mehr lese. Weil ich mir gedacht habe, meine Aufmerksamkeitsressourcen möchte ich lieber den Büchern schenken, die keine Bestseller sind. Oder die nicht sowieso schon so viel Aufmerksamkeit haben. Bin dann aber auch nicht konsequent gewesen und gelegentlich habe ich sicher einen Bestseller gelesen. Jetzt sicher nicht sehr oft, aber doch immer wieder. Weil mich einfach aus irgendeinem Grund das Buch halt interessiert hat.
Jetzt war ich dort, bei dem, dass es Erfolg sein kann, das geschrieben zu haben, oder zu schreiben, was man schreiben möchte. Da ist man natürlich wieder dort: kann man schreiben, was man schreiben will? Man ist ja nie abgeschlossen, von dem System. Und natürlich gibt es viele Einflussnahmen, die vielleicht gar nicht immer auffallen. Das Wollen selber sozusagen unterliegt nicht nur der eigenen Kontrolle, ja. Ich habe jetzt ein Buch darüber gelesen, von wie vielen Lebewesen der Mensch eigentlich besiedelt ist. Also diese Bakterien und Miniorganismen, die an uns, wenn ich es richtig erinnere, durchaus mehrere Kilo Material ergeben. Und dass, wenn uns jetzt wer vom Weltall anschauen würde, der würde sich vielleicht denken, wir sind so eine Schwarm-Intelligenz. Also ein bissl Mensch, ein bissl Bakterien, ein bissl irgendwelche komischen Mikroorganismen, Würmerlein, die irgendwie in den Haaren herumkrebsen und irgendwelche Hautschuppen abtransportieren, indem sie sie essen. Und da hab ich mir gedacht, naja, es ist eigentlich schon komisch. Und in dem Zusammenhang, in dem Buch, war halt auch beschrieben wegen der Darmflora, dort leben ja auch ganz viele so Bakterien, und da haben sie halt versucht, wie weit man Menschen, die depressiv sind, wie weit man das über eine Normalisierung der Darmflora positiv beeinflussen kann. Fand ich irgendwie witzig, ich weiß nicht, ob es geklappt hat und so Studien sind ja immer auch ein bissl komisch. Aber ich fand es witzig, die Idee, und es ist ja auch so, dass der Stoffwechsel des Menschen im Prinzip zusammen hängt. Wenn jemand traurig ist, heißt das eben was für den ganzen Organismus. Und eben auch für die eifrig drin verdauenden oder eben stoffwechselnden Bakterien. Ich möchte jetzt aber schon die Idee, dass es mich gibt und dass ich sozusagen einen Willen und eine Entscheidungskraft habe, über das, was ich mache, möchte ich schon aufrechterhalten, das ist klar. Aber so, wenn ich mir so vorstelle, dass da halt kleine Eiweißorganismen andere Eiweißorganismen an- und ausschalten oder Proteine, wie es eben beim genetischen Code ist, andere ein- und ausschalten, elektrische Impulse mein Denken bestimmen, dann wird das schon auch irgendwie ein bissl durchlässig: wie stelle ich mir die Kontrolle vor? Oder wer bin ich eigentlich, die Ilse? Und was denkt da alles mit? Oder hab ich mir die Bakterien, die in mir leben, eh schon so abgerichtet, dass sie halt gute Gedichte schreiben? Also solche Fragen habe ich mir dann schon gestellt. Fand ich auch irgendwie witzig, diese Vorstellungen, oder sagen wir so, interessant fand ich es.
Wir Menschen haben ja oft doch so die Idee einer großen Kontrolle über das, was wir machen, denken, fühlen und so. Und in Wirklichkeit ist natürlich die Kontrolle schon sehr begrenzt. Also manche Dinge entziehen sich einfach, die können wir nicht bestimmen. Wir sind nicht ganz Herrin der eigenen Impulse. Eben ich weiß gar nicht, der Freud hat ja gesagt, es gibt drei narzisstische Kränkungen des Menschen. Die eine ist, dass die Sonne sich nicht um die Erde dreht. Das ist mir jetzt persönlich eher wurscht. Aber die Kränkung, dass wir halt nicht das Zentrum des Universums sind, ist damit gemeint. Und die andere ist eben, dass das Ich nicht Herrin im eigenen Haus ist. Das verstehe ich schon eher, weil das geht so ein bissl in die Kontrollfrage rein. Wer kontrolliert, wenn wir es nicht sind? Und wie ergibt sich überhaupt so eine Idee von Kontrolle. Ja, die dritte narzisstische Kränkung habe ich vergessen, die der Freud gesagt hat. Naja, egal. Aber es gibt sie. Weißt Du sie? Also Sonne dreht sich nicht um die Erde, Ich ist nicht Herr im eigenen Haus, oder Herrin, sage ich halt. Naja, vielleicht das mit dem Tod könnte natürlich auch eine Art narzisstische Kränkung sein, aber ich glaube, dass der Freud was anderes gesagt hat. Aber ich weiß es nimmer.
Das mit dem Tod ist natürlich auch grundsätzlich, glaube ich, – also jetzt abgesehen davon, dass es eigentlich unvorstellbar ist zu sterben – ist es auch natürlich eine große und angsteinflößende Kränkung, das nicht bestimmen zu können, weder Zeitpunkt, noch Art usw. und überhaupt, sozusagen ohne es zu wollen, die Erde verlassen zu müssen. Wobei ja in vielen Geschichten die Unsterblichen auch unglücklich sind. Also das passt dann auch wieder nicht, wenn sie ewig leben. Dann haben sie zwar keine Angst vor dem Tod, das wäre ein großes Plus. Aber von den Vampiren angefangen über die Unsterblichen – bei Gullivers Reisen kommen sie vor, das habe ich jetzt gerade gelesen – haben sie eigentlich immer eine Todessehnsucht. Sie sind nicht glücklich und sagen: Hurra, jetzt lebe ich ewig. Also so ist es nicht. Ja.
Ok, ich glaube, das wars.
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