Literarische Selbstgespräche

Von und mit Linde Waber

Linde Waber

Alles es ist unerhört spannend!

In Japan war ein ganz wichtiges Erlebnis für mich diese geheimnisvollen Kanjis, diese geheimnisvollen Zeichen. Ich hab dann immer wieder erlebt, dass ich in einer Landschaft ein großes japanisches oder chinesisches Zeichen sah. Dass die in der Landschaft hängen, auf die Berge geschrieben wurden mit Farbe, und man kommt dann hin, sieht so eine Schrift und mir kommt das dann vor, wie eine Botschaft von einer anderen Welt. Und dann glaub ich immer, da steht jetzt genau die Erklärung für dein Leben: du musst das, und das, und das machen. Also der Sinn oder die Sinnfrage. Mir kommt das vor, wie eine verschlüsselte Botschaft, und das erklärt mir jetzt die Welt. Und deswegen kommt das auch heute nach wie vor in vielen, vielen Bildern vor, dass ich Schriften eingebaut hab. Wobei ich nicht genau sagen kann, welche Schriften ich dann herauszieh. Natürlich sind das ganz besonders die chinesischen und japanischen Schriften, die mich immer schon fasziniert haben. Es gibt aber auch genauso die arabischen Schriften. Und das ist etwas, das mich unglaublich fasziniert.

Und ab da kommt auch diese Liebe von mir, das ist auch in Japan der Anfang gewesen, die Liebe zur zeitgenössischen Literatur. Ich hab natürlich als Kind einmal viel gelesen und auch als Studentin noch. Aber es war halt immer so mehr oder weniger. Es hat mich halt schon interessiert, aber doch nicht in diesem Maße wie heute.

Dass für mich die Literatur zu einer ganz, ganz großen Liebe geworden ist, das hat auch in Japan begonnen. Ich war 1970 in Japan und hab dort die Liesl Ujvary kennengelernt. Und die Liesl und ich, wir haben beide versucht es zu verhindern, uns kennenzulernen, weil man fährt ja nicht nach Japan, um dort einen Österreicher oder Österreicherinnen kennenzulernen. Aber es wurde uns nicht erspart und wir haben uns dann kennengelernt und ich war sehr, sehr glücklich über dieses Kennenlernen. Und Liesl hat damals – ich glaub, es war auch ihr Anfang – angefangen zu schreiben und hat mir alles vorgelesen, was sie geschrieben hat. Und das hat mich schon sehr interessiert. Da hab ich sehr viel gelernt und bin da so schrittweise mitgegangen. Dann kam der Bodo Hell dazu und irgendwann hatte ich auch das Glück, die Friederike Mayröcker zu hören. Und natürlich, Mayröcker ist ein Mirakel, ein Wunder. Diese Stimme, es ist vielleicht doch diese Stimme, die etwas transportiert, wo man die Vergangenheit vergisst, die Zukunft vergisst und das bleibt im Jetzt stehen. Es ist eigentlich das, was so mehr oder weniger, glaube ich, im Buddhismus gelehrt wird. Das erlebe ich auch, das hab ich bei Mayröcker immer ganz besonders intensiv erlebt. Und ich glaube, da wird Energie bewegt, im Raum. Ich weiß es nicht, ich versteh natürlich das alles nicht. Aber ich glaub überhaupt dass, wenn man lernt auf Schwingungen und Gefühle zu achten, die Japaner sagen „kimochi“, dann gibt es da noch eine Welt, die sich demjenigen eröffnet, der dafür empfänglich ist. Scheinbar bin ich dafür empfänglich, und ich erlebe das dann sehr, sehr oft.

Jetzt ist natürlich das dann ganz, ganz naheliegend, wenn sich ein Mensch wie ich nicht nur mit der Malerei beschäftigt, aber natürlich auch sehr viel mit der Literatur, dass dann das Handgeschriebene ein Faszinosum ist, also das fasziniert. Und ich brauch da nur zu denken, dass ich sofort, wenn ich zum Beispiel an den Bodo Hell denke, oder auch natürlich an Mayröcker und, und, und, das lässt sich fortsetzen, oder auch an Jandl und, und, und, dann seh ich immer auch gleichzeitig ihre Schrift. Das Schriftbild ist etwas, was ja absolut mit dem Menschen, dieser Persönlichkeit, zusammengeht.

Ja, dass ich natürlich heute die Schrift in einer anderen Art und Weise verwende, das hat sich langsam so ergeben. Zuerst waren es eben diese Kanjis in Japan, diese wirklich verschlüsselte Welt. Das war der Anfang, und die hab ich dann auch überall eingebaut in meine Farbholzschnitte. Da sind dann jede Menge Kanjis drinnen, die mir einfach gefallen haben. Und einige davon hab ich auch immer ganz bewusst verwendet. So kommt in meinen Tageszeichnungen auch heute noch ein Zeichen vor, das ist das Zeichen für „chû“, Mitte, und das verwende ich ganz bewusst. Es bedeutet bei mir, dass ich in mir ruhe, dass ich ganz bei mir bin, und dass ich glücklich bin. Und das steht drinnen, das hab ich verschlüsselt, in Tageszeichnungen, und wenn ich die heute anschau – das weiß natürlich niemand anderer – dann seh ich dieses Zeichen und weiß, an dem Tag war ich glücklich, da ging es mir gut. Das ist eine totale Verschlüsselung. Dann gibt es noch ein anderes Zeichen, das ich übernommen habe, auch für mich verschlüsselt – ja, vielleicht werden sich einmal Kunsthistoriker mit diesen Sachen beschäftigen, aber da tut mir kein Bein mehr weh, da ist mir das ganz wurscht – ich hab dieses Sonnenzeichen, dieses japanische, übernommen, das ja auch in „Nihon“ drinnen ist. „ni“ ist ja die Sonne, und das ist auch wieder das Zeichen für Sonne und für Glück, kommt auch x-mal in meinen Tageszeichnungen vor, kommt sehr, sehr viel in meinen Farbholzschnitten vor. Und meine Farbholzschnitte, die dann 1974 circa entstanden sind, die sind voll, voll, voll, voll mit solchen Zeichen, mit japanischen. Und ich hab dann immer wieder erlebt, dass Japaner bei der Tür herein kamen, Freunde, und in meinen Holzschnitten angefangen haben zu lesen. Ich hab da Inhalte drinnen, von denen ich ja gar nicht gewusst habe, dass sie da drinnen stehen für jemanden, der diese Sprache versteht. Ich hab sie ja nur nach ästhetischen Gründen ausgewählt. Einige davon sind für mich wirklich ein Zeichen, haben auch eine Bedeutung, aber nur wenige. Die anderen nehme ich aus ästhetischen Gründen dann einfach dazu. Und ein Japaner liest mir da ein Gedicht vor, das drinnen steht. Also es ist unerhört spannend!

Und diese Schrift, ich meine natürlich wenn man Deutsch schreibt, da kommt wieder die Handschrift dazu. Wenn ein Mensch dann eine ausgeschriebene Handschrift hat, verwendet der ja auch Kürzeln. Ich meine, da fällt mir grad wieder ein, gerade Mayröcker ist ja bekannt für ihre Kürzeln. Ich mein den I den sie schreibt, statt „eins“ und, und, und. Und wenn man zu ihr hineinkommt, in dieses Schreibgehäuse, da sieht man ja ihre Zetteln. Erstens einmal, die verschiedensten Filzstifte, diese Zeichen, die sie immer verwendet, diese Zeichensprache, diese Männchen, die sie für alles verwendet. Sie hat ja eine ganz eigene Schrift entwickelt, gerade Mayröcker, und Bodo Hell und so weiter. Man könnte diese Serie fortsetzen. Da war auch sehr, sehr spannend die Hil de Gard, die eine wunderbare Zeichensprache entwickelt hat. Sie hat ganze Bildzeitungen damit gemacht. Ja, faszinierend. Schrift ist wirklich faszinierend. Und man staunt ja auch, wenn man das erste Mal die Schrift von jemandem sieht. Man denkt sich dann natürlich schon seinen Teil dazu. Mich hat es auch so irrsinnig gewundert, wie ich vom Ernst Jandl Schriften gesehen hab, der ja ein ganz ordentlich schreibender Mensch war. Das ist so geordnet, das ist ja auch sehr interessant.

Ich nehm das natürlich sehr, sehr häufig auch in meine Atelierzeichnungen hinein. Wenn ich irgendwo hinkomme, und da jetzt irgendeinen Schreibtisch oder was zeichne, fällt mir natürlich gleich auch auf, was für schriftliche Dinge da herumliegen. Das gehört ja irgendwie so automatisch zum Bild. Oder vielleicht sogar zum ersten Bild, dass ich hineinkomme, in ein Atelier, und mich umschau. Und da fällt mir sicherlich ziemlich schnell auch nicht nur die Ordnung auf – Ordnung und Unordnung sind für mich eigentlich ein Begriff -  da fällt mir auch sehr schnell auf, was für Zetteln oder was für schriftliche Dinge herumliegen. Es sind ja Schachteln beschrieben, Bilder haben Unterschriften, auf Staffeleien ist oft was geschrieben, auf den Wänden ist oft was geschrieben. Es gibt ja überall diesen Ausdruck, und das sind ja so Sachen, die nebenher passieren. Also keiner, der in einem Atelier arbeitet, macht das jetzt so ganz bewusst, sondern das ergibt sich so.

Ja, mit den Tageszeichnungen, ich glaub da hab ich einmal im Jahr 1983 angefangen. Ich hab immer sehr gern Tagebuch geschrieben. Ich brauch überhaupt immer die Möglichkeit, etwas aufschreiben zu können. Wenn ich mir was merken will, dann ist das auch so, dass ich mir in meinem Kopf das geschrieben vorstelle. Und natürlich hab ich dann meine Kürzeln, das ist ganz klar. Aber auch wenn ich in meinem Leben eine Entscheidung treffen muss, dann setz ich mich hin zu einem Blatt Papier, oder vielleicht manchmal auch zu einer Leinwand, und überleg mit Pinsel oder Stift oder irgendeinem Schreibinstrument in der Hand. Es geht dann tatsächlich durch die Hand auf das Papier. Das ist dann einerseits ein geschriebenes Wort, oder aber sind es meine Zeichnungen, meine Malereien.

Wobei ich in letzter Zeit draufgekommen bin – das ist eine Erkenntnis der letzten Jahre – dass ich wirklich wahnsinnig schnell zeichnen kann. So wie andere mitschreiben, kann ich mitzeichnen. Und das mach ich auch manchmal, dass ich dann wo hingeh – auch erst in der letzten Zeit – und bei einem Theaterstück mitzeichne, ganz, ganz schnell mitzeichne, wie ein anderer fotografiert, also ich zeichne halt mit. Draufgekommen bin ich, dass ich so schnell zeichnen kann, das ist wirklich so ein Hinfetzen der Dinge, wie ich die Ziegen beim Bodo Hell gezeichnet hab, die sich natürlich ununterbrochen bewegt haben. Und man schaut halt hin und fixiert sie, und gleichzeitig zeichnet man. Bei mir ist es so, dass ich dann sehr oft das Vis-à-vis anschaue, das ich zeichnen möchte, und mit der Hand aber auf dem Papier bin. Ich war auch im Sommer in den „Geschichten aus dem Wienerwald“ vom Heinz Karl Gruber und hab im Dunkeln, ich hab überhaupt nichts gesehen, und hab gezeichnet. Das heißt, es ist ja das Innere, das zeichnet. Es ist natürlich gut, wenn man ein Papier drunter hat und nicht nur in die Luft zeichnet. Aber in irgendeiner Form ist das ja doch diese direkte Verbindung vom Erleben – Sehen. Bei mir ist das ganz wichtig, dass ich es sehe, mit den Augen sehe, dann kann ich es in irgendeiner Form hinschreiben.

Und in den Tageszeichnungen kommt jetzt natürlich dazu, dass ich nicht nur das, was ich erlebe, sondern auch Zetteln, die ich von irgendwoher bekomm, einbaue. Natürlich, dieses Glück, Zetteln von der Mayröcker zu bekommen, hab ich auch nicht jeden Tag. Manchmal schickt sie mir „Ein Sackerl Poesie von Fritzi für Linde“. Und dann hab ich das Glück, diese wunderschönen Zetteln in der Hand zu halten. Manchmal ist es aber auch sehr, sehr schwierig zu entziffern, was wirklich draufsteht. Das ist ja gar nicht leicht entzifferbar, und sehr oft denk ich mir dann auch noch ganz was anderes dazu, und das wird dann halt hineincolagiert. Ich arbeite natürlich überhaupt Schriften auch von anderen sehr gern hinein. Aber ich arbeite auch manchmal meine eigenen Schriften hinein. Die Tageszeichnungen, die mache ich in erster Linie für mich. Ich meine, das mache ich überhaupt mit meiner Kunst. Ich habe mir, das sag ich auch sehr oft, meinen Spieltrieb wirklich durchgezogen. Und wenn ich da so sitz und Tageszeichnungen mache, oder auch meine Sandbilder im Sommer – wo ich kiloweise Sand irgendwohin aufschütte und dann mit einem Bindemittel festhalte und dann wieder hinein kratze – ich hab mir meinen Spieltrieb durchgezogen und das macht einfach Spaß. Ich mach das wirklich sehr, sehr gerne. Für mich bleibt dann auch die Zeit stehen, wenn ich diese Dinge mache.

Die Tageszeichnungen sind vielleicht doch das Persönlichste, weil das, was ich erlebe, kommt hinein, das, was ich sehe, kommt hinein. Jeder Tag hat ja eine bestimmte Spannung, eine bestimmte Aussage, und das spiegelt sich dann nachher drinnen. Das ist ja nicht große Kunst, das hat mit großer Kunst sehr wenig zu tun, aber es zeigt das, was um mich herum ist. Es zeigt natürlich den Menschenkreis, der mich umgibt, es zeigt das, was ich grad erlebe – ich bin ja dauernd auf Achse, ich bin viel unterwegs, ich reise, ich reise einmal nach Paris, einmal nach Kapstadt, einmal nach Japan, einmal nach China – und das kommt dann alles hinein.

Linde Waber, Tageszeichnung 23.Juni 1995, © VBK

Ich seh jetzt gerade, die eine Tageszeichnung, wenn ich die anschau, da ist nicht nur diese tolle Postkarte da mit Ernst Jandl und dem Mops – jeder kennt das Gedicht dazu. Dann ist da handschriftlich „Linde Waber“ von der Fritzi und zwar 93 und „für E. Weihnachten“ – da ist der „E“ sicher der Ernst Jandl. Dann noch ein Zetterl von der Fritzi, kaum zu entziffern, und oben steht „Wien S 1995“ – „S“ bedeutet Sievering, das heißt, dass ich in Sievering geschlafen habe. Und wenn ich das dann anschau, ich kenn mich vielleicht noch ein bisserl aus, aber nach meinem Tod werden die Kunsthistoriker sehr viel Mühe haben, das zu entziffern. Und sehr, sehr viel Mühe haben draufzukommen, welche Menschen da um mich herum waren. Ich hoffe, dass sie nicht nur Alpträume von mir haben!

Linde Waber, Tageszeichnung 8.Juli 1996, © VBK

„Und trinken“ ach, das ist so herrlich: „Und trinken leichtbüffelige Milch“, also das ist natürlich Mayröcker. Und das hab ich dann so eingearbeitet, dass es wirklich ausschaut, wie ein Fenster. Und oben ist ein anderes Fenster. Und, naja, da hab ich sicher mit den verschiedensten Farben herumexperimentiert, drübergewischt und drumgewischt

Linde Waber, Tageszeichnung 4.August 1996, © VBK

Und da ist wieder eine Karte, auch wieder Mayröcker, das ist in diesem Buch, das jetzt rausgekommen ist [„Gleich möchte ich mich auf deinem Bild niederlassen“, Tageszeichnungen und Texte 1983 bis 2014, Friederike Mayröcker und Linde Waber, Mandelbaumverlag], und da hab ich ein Packerl draus gemacht. Ich hab das verschnürt und drumherum gezeichnet, als ob das ein Paket ist, und als oberstes liegt diese Postkarte. Und da hab ich mich sicher auch damit herumgespielt.

 

Naja, das ist halt das Schöne an der Kunst, dass man experimentieren kann. Und ich hab natürlich schon dieses ganz große Glück, dass ich ein leicht arbeitender Künstler bin. Ich kenn ja viele Kollegen, die sehr große Schwierigkeiten haben, etwas auf Papier zu bringen, oder auf die Leinwand zu bringen. Ich hab da überhaupt keine Schwierigkeiten. Wann immer ich Zeit hab, oder auch keine Zeit hab, und mich hinsetz, und was in der Hand hab zum Zeichnen, geht’s schon los. Ich bin ein leicht arbeitender Mensch. Für mich ist zeichnen und malen irgendwie so, wie essen und schlafen für andere Leute. Das gehört bei mir zum Leben dazu. Und das geht so automatisch – fünf Minuten Zeit, und ich kann sofort hineinspringen und zeichnen. Und die Tageszeichnungen entstehen ja auch so. Manchmal komm ich heim, mitten in der Nacht, ein Uhr, zwei Uhr, und denk mir „huch: Tageszeichnung!“ Dann setz ich mich schnell hin, und in fünf Minuten ist was auf dem Papier. Ein dicker Pinsel, eine Tusche und drei Striche und es ist ja schon was da. Und es schaut  auch gut aus. Oder wenn’s nicht gut ausschaut, ist es halt auch eine Tageszeichnung. Es muss ja nicht immer eine tolle Sache sein. Oder man schreibt drei Worte hin. Das Schöne ist ja auch, dass man zum Beispiel mit dicken Pinseln und Tusche Zeichen setzen kann, Worte setzen, die unglaublich vielverheißend ausschauen, nicht wirklich einen Sinn haben, aber braucht’s immer einen Sinn? Es ist etwas drinnen, und das, was da drinnen ist, ist ja nie wirklich erklärbar. Ich sag immer – und das gilt glaube ich für jede Kunst – ein Mysterium, ein Geheimnis bleibt immer da. Das ist doch das Schöne, das Geheimnis in der Kunst. 

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