Notiz

ZUM DIESJÄHRIGEN BLOOMSDAY

Der irischste Mensch, den ich kenne, ist ohne Zweifel Harry Rowohlt. Er ist sogar offizieller Botschafter des irischen Whisky und entspricht sonst sämtlichen anderen Klischees über die Iren (wenn er will). Ich vermute, er ist viel irischer als die meisten Iren. Deshalb denke ich heute, am irischsten Feiertag der Welt, an ihn, an Harry Rowohlt.

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, daß die Iren selbst sehr irisch seien. Der einzige Ire, den ich je kannte, war übrigens ein Großneffe von James Joyce, der in Bamberg lebte und mit Gottes Hilfe immer noch lebt. Ulysses gehörte nicht zu seinen Lieblingsbüchern.

Das glaube ich übrigens auch über andere Iren. Sie können in Dublin freundlicherweise Führungen veranstalten, Häuser betafeln, auch den Bloomsday mit Joyce-Touristen feiern, aber Ulysses lieben und lesen?.. Das weiß ich nicht ... Ich stelle mir vor, daß die Iren den in seiner Art auch großartigen Seán Ó Cathasaigh, eigentlich John Casey (1880 – 1964), eher lesen würden. Er, der im Grunde genommen auch nicht als Ire (sondern als Protestant britischer Abstammung) geboren wurde, beschreibt zum Beispiel, wie die irischen Arbeiterjungs sich während des Defilees der Schottischen Garde in Dublin über die winzigen Schwänze der Schotten lustig machen, die unter den Röcken sichtbar werden, wenn der Wind stärker weht. Die Unterwäsche gehörte nicht zur Uniform der imperialen Schottischen Garde. Ist natürlich viel lustiger als der konvertierte ungarische Jude, der mit einer Niere in der Hand durch Dublin irrt.

Oder wird ein Ire lieber John Synges (1871 – 1909) Stücke sehen, am liebsten The Playboy of the Western World, in dem ein armer Schlucker zu einer allseits bewunderten Berühmtheit wird, weil er seinen Vater angeblich erschlagen hat? Das ist, nehme ich an, viel irischer.

Der Erfinder Irlands ist bekanntlich William Butler Yeats (1865 - 1939), selber von der anderen Insel stammend und nicht katholisch. Würden die Iren von heute seine großen mystischen Gedichte lesen, Sailing to Byzantium, zum Beispiel? Sie haben kein erfundenes Irland, sie haben ja ein ersungenes!

Wahrscheinlich musste James Joyce eben deshalb Irland verlassen (was William Butler Yeats nie gebraucht hatte). Joyce war anfangs zu irisch, und konnte sich in anderer Weise nicht unirisch machen (was ein Dichter ja braucht). Er trank, er sang, er schrieb Dubliners – die drei irischsten Beschäftigungen auf der Welt, und das führte zu nichts Großem.

Im Exil spaltete er sich in zwei Figuren auf – den erwähnten Konvertiten Leopold Bloom, dem er sein vollkommen erfundenes „Jüdischsein“ schenkte, und den verzweifelten Dichter Steven Dedalus. Wie kann ein Normalire das eigentlich mögen?

Aber zurück zu Harry Rowohlt.

Mehr als ein Jahr lang bereisten wir zusammen mit ihm deutsche Lande – Harry las aus meinem Roman „Die russische Fracht“, ich sang dazu russische Ganovenballaden (was hätte ich sonst tun sollen, einfach so da sitzen?). Über diese Balladen sagte der Oberire Harry, daß sie sehr den irischen Balladen ähneln: Er liebt sie, sie liebt einen anderen, und hundertfünfzig Strophen später sind sie alle tot – er, sie, der Nebenbuhler, sämtliche Mütter und Väter der Personen, der Kapitän des Fischfangbootes, an Bord dessen alles passiert, und wahrscheinlich auch das Publikum. So begriff ich, daß auch die Russen Iren sind.

Also, an diesem unirischsten Feiertag der Welt grüße ich den irischsten Uniren (Harry Rowohlt) und den unirischsten Iren (James Joyce). Und auch alles, was dazwischen liegt (oder noch steht) – ungarische Juden, Dubliner Dichter, tote Matrosen, Mädchen und Kapitäne und russische Ganoven, auch tot.

Macht es euch bequem und feiert den Bloomsday! Schönere, innigere Feiertage, irisch oder unirisch, haben wir sowieso kaum!

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