Notiz

Feldkircher Lyrikpreis 2014

jemand anderes dachte an ihn wie an nichts

Mit dem seit 2003 stattfindenden Feldkircher Lyrikpreis, international ausgeschrieben, wird deutschsprachige Lyrik ausgezeichnet. 2014 waren wiederum all jene Autorinnen und Autoren zur Bewerbung aufgerufen, welche sich literarisch mit einem Zitat auseinandersetzen wollten. Vorgabe war dieses Jahr eine Zeile der Preisträgergedichte 2013 von Tabea Xenia Magyar und Tristan Marquardt: jemand anderes dachte an ihn wie an nichts.

Dreihundert AutorInnen wagten sich an die schwierige Aufgabe und haben sich in unterschiedlicher Weise mit dieser Gedichtpassage auseinandergesetzt.

Erfreulicherweise können neben dem ersten Preis auch heuer ein zweiter und dritter Preis vergeben werden. Dafür möchte ich im Namen des Theaters am Saumarkt Landesrat für Kultur Mag. Harald Sonderegger und Dr. Winfried Nußbaummüller von der Kulturarbteilung des Landes Vorarlberg, weiters der Stadt Feldkirch, der Literatur Vorarlberg und der Edition Art Science (Herausgabe der Anthologie zum Feldkircher Lyrikpreis) herzlich danken!

Jury: Tabea Xenia Magyar, Julietta Fix, Martin Amanshauser und Marie-Rose Rodewald-Cerha.

Preisträger/innen des Feldkircher Lyrikpreises 2014

Kampmann, Dietl, Görlach von l n r

1. Preis Axel Görlach

2. Preis Anja Kampmann

3. Preis Ute Dietl

Jury Begründung:

Axel Görlachs Texte legen Gedächtnisspuren. Aus Ihnen wächst ein vielgestaltiger Eindruck, der den Leser durch das Motiv jemand anderes dachte an ihn wie nichts begleitet und ihn teilhaben lässt an elementar Erlebtem. Seine Gedichte sind nicht abstrakt, sind fließend mit konkreten Bezügen zur Stadt Istanbul. Man nimmt das Wissen um eine Stadt auf, szenische Bilder, die  mit den typischen Merkmalen dieser Stadt spielen und die sich doch in jeder anderen Stadt ähnlich ereignen könnten. Görlach schafft auf engem Raum ein Bild, das sich nicht in Klischees verliert und doch, oder vielleicht besser trotzdem, mit den typischen Merkmalen Istanbuls wie Katzen, Fischen, Wäscheleinen, Märkten, Stoffen, Teppichen interagiert. Touristische Wahrnehmung wird zur Innenansicht, Stadtimpressionen tragen wie Katzen ihr Skelett auf der Haut. Gedächtnisspuren fließen wie Schatten die Fassaden entlang. Görlachs Gedichte evozieren ein  Bild, das sich, nach Aristoteles, wie ein Siegelring in Wachs drückt und lassen ein in Anmut leuchtendes Dunkel zurück. Wir gratulieren Axel Görlach zum 1. Preis sehr herzlich. (Julietta Fix für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2014)

Anja Kampmanns Texte erreichen mit reduzierten Mitteln starke Momente. Mit wenigen Worten – Sommer, Ferne, ein einzelnes Riesenrad – gelingt es ihr, ein Gefühl für die Situation heraufzubeschwören. Über weite Strecken begegnen wir so einem Reichtum an Wie-Vergleichen, Metaphern, poetische Bildern und originellen Setzungen, wie jenem der „Muster, die ein Schwarm Saatkrähen / an den Himmel wirft“ oder den „Gondeln ... / Setzkästen mit getrockneten Faltern“. Manchmal treffen wir jedoch auch auf eine einfachere, direktere und deskriptivere Sprache, wie in dem bezeichnenden Vers: „So ist auch die Nacht / nämlich das Aufsteigen / einer ungefähren Sprache / Kondenswasser“. Immer wieder werden die so entstehenden Bilder durch Wiederholung und Überlagerung geschickt ineinandergeschoben, auch wenn man sich fragt, ob die Bilder vor allem wegen ihrer kraftvoller Wirkung, und weniger des inhaltlichem Gehalts wegen eingesetzt werden. Wie in der „ungefähren Sprache“ angedeutet, werden die poetischen Bilder in den Dienst des Unbenennbaren genommen, kreisen die Texte um eine Ahnung,  haften den Dingen Spuren von etwas Anderem an; etwa in „(für I.“, wo sich das Verschwinden in Form von „Schatten an den Ästen der Zweige“ ablagert und als „konstanter Abriss“ zurückbleibt. Überhaupt zieht sich ein Hauch von Melancholie durch die Texte, werden Erinnerung und Vergessen, Tag und Nacht, Nähe und Ferne durchbuchstabiert, und auch Andeutungen von Zwischenmenschlichem lassen sich finden. Aber obschon sogar der arme alte Herbst bemüht wird, sind die Gedichte nie erdrückend, tragen die Texte die ihnen eigene Romantik eben „Leichthin“. So sind auch die Ich-Du-Er etc. Beziehungen eingewobene Geschichten, die „nicht mehr“ und „nicht weniger / nur der Malstrich der Kreide“ der Gedichte sind, über denen „das Pfeifen / des Windes“ weht. Für die gelungene Balance zwischen poetisierender und unmittelbar beschreibender Sprache und den mithilfe von klug gesetzten syntaktischen Wiederholungen ineinandergreifenden Bildfeldern, sowie ihrer Fähigkeit, im Handumdrehen stark atmosphärisch aufgeladene Situationen herzustellen, denen dennoch eine wohltuende Leichtigkeit innewohnt, verleihen wir Anja Kampmann den 2. Feldkircher Lyrikpreis. Herzlichen Glückwunsch! (Tabea Xenia Magyar für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2014)

Ute Dietls Beitrag ist eine Herausforderung an die Leserin, setzt er doch Wörter in unkonventionelle Konstellationen, sodass sich ein Verständnis erst nach genauem Lesen erschließt. Das ist spannend. Zwei oder mehrere Handlungsebenen werden ineinander verspreizt, gewohnte Verbindungen halten nicht stand und lassen Klischees keinen Raum.Jedes Gedicht öffnet Türen, bietet eine Möglichkeit an neuen Bildern innerhalb eines Rahmens, der - wie in Gedicht 1 und 3 - am Ende durch die Wiederaufnahme anfänglicher Begriffe deutlich wird. Es geht um Situationen, Beziehungen, die so nicht sind sondern auch anders, und die durch das Auftreten von Vögeln: Kranich, Kuckuck, Wildgans, eine Verdichtung erfahren. Ihr  Symbolgehalt legt sich atmosphärisch über das Gedicht. Der Ruf des Kuckucks macht uns misstrauisch, der Kranich bringt Hoffnung. Das ist sehr schön und konsequent gemacht und hat die Jury überzeugt. Wir gratulieren Ute Dietl zum 3. Platz. (Marie-Rose Rodewald-Cerha für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2014)

Biografien, PreisträgerInnen:

Ute Dietl, 1963 geboren, lebt in Darmstadt. Studium der Psychologie und Ausbildung zur Psychotherapeutin. Seit 2010 Mitglied der Darmstädter Textwerkstatt, Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien.

Axel Görlach, 1966 in Kaufbeuren geboren, lebt als Autor und Sprachlehrer für ausländische Jugendliche in Nürnberg. Pädagogikstudium in Nürnberg, Studium der Philosophie und Neueren Deutschen Literaturgeschichte in Erlangen und Hagen, Studium des Deutschen als Zweitsprache und der Türkischen Sprache in Nürnberg und Istanbul. Veröffentlichungen in Anthologien (u. a. Lyrik der Gegenwart3, Feldkircher Lyrikpreis 2009; Risikoanalyse, Die besten Geschichten aus dem MDR-Literaturwettbewerb 2013), und Zeitschriften (u. a. Der Dreischneuß, Das Gedicht, Dulzinea, erostepost, Ostragehege, um[laut]). Wiener Werkstattpreis 2008, Preisträger beim Irseer Pegasus 2010, Finalist beim 4. Literaturwettbewerb Wartholz 2011, Teilnehmer bei der 1. Lesung zum Lyrikpreis München 2013. Zuletzt erschienen: leben gezeichnet. Gedichte (fza Verlag, Wien 2009);

Anja Kampmann, 1983 in Hamburg geboren, lebt in Leipzig. 2010 Stipendiatin des „International Writing Programm“ der Universität Iowa, seit 2011 Tätigkeit u.a. für den Deutschlandfunk und die NZZ. Teilnehmerin des Literaturfestivals Karachi 2011 und des Poesiefestivals Minsk 2013. Preisträgerin des MDR Literaturpreises 2013, Stipendiatin der Kulturstiftung Sachsen 2014, sowie Anerkennungspreis der Literaturbiennale Wuppertal 2014, Wald-Stipendium der Österreichischen Bundesforste 2014. Sie schreibt Lyrik und Prosa. Mitbegründerin der Veranstaltungsreihe „Tektonik“ für Lyrik und Neue Musik des Vereins forma Leipzig. Zuletzt: „Jsem – ich werde ihr erzählen“ in: Risikoanalyse, die besten Geschichten aus dem MDR Literaturwettbwerb, Poetenladen Verlag, 2013.

Jury

Tabea Xenia Magyar, Julietta Fix, Martin Amanshauser und Marie-Rose Rodewald-Cerha als Jurymitglieder hatten die Aufgabe, aus der Vielzahl der eingesendeten Gedichte in einer ersten Runde jeweils eine Auswahl von zehn Einsendungen zu treffen, wobei es auch einige Doppelnennungen gab. In einer nächsten Runde wurde eine enge Auswahl von acht Nennungen getroffen und in der letzten Runde aus dieser engen Auswahl die PreisträgerInnen in einem Punkteverfahren ermittelt.

Tabea Xenia Magyar, geboren 1988 in Zürich, wo sie Philosophie, Romanistik und Politikwissenschaft studierte. Seit  2012 studiert sie Tanz und Choreographie am Hochschulübergreifenden Zentrum für Tanz in Berlin. Sie arbeitet als Performerin, Choreographin und Lyrikerin, u.a. als Mitglied des Berliner Lyrikkollektivs G13. Letzte Publikationen: 40% paradies. gedichte des lyrikkollektivs G13 (luxbooks 2012). 2012 Autorin bei Bewegungsschreiber, einem Projekt, das Dichtung und Tanz zusammenbringt. Bücher: G13. das war absicht (SuKulTuR 2013); Zeitschriften: no man’s land 7; Bella Triste 36; Kassette: Gedichte (Mouca 2014); Anthologien: 40% paradies. gedichte des lyrikkollektivs G13 (luxbooks 2012). Preisträgerin des Feldkircher Lyrikpreises 2013 (zusammen mit Tristan Marquart).

Martin Amanshauser, geboren 1968 in Salzburg; lebt in Wien und Berlin; Autor, Übersetzer, Journalist (“Profil”, “Falter”, “Der Standard”, „Die Presse“, „Die Zeit“, „Die Welt“); Studium (Geschichte bzw. Portugiesisch/Spanisch/Afrikanistik) an der Uni Wien. Dissertation „Taifas und Condados, Die mittelalterliche Stadt im Westen der Iberischen Halbinsel“, 2001; diverse Literaturpreise und Stipendien. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: Falsch Reisen (100 Geschichten, 2014).

Julietta Fix, geboren 1957 in Würzburg. Lebt in Hamburg. Herausgeberin des Online Magazins Fixpoetry.com

Marie-Rose Rodewald-Cerha, geboren in Radolfzell. Lebt in Feldkirch. Journalistische und Lektorinnentätigkeit. Jahrelange pädagogische Arbeit an verschiedenen Schulen. Seit 5 Jahren Englischlehrerin an der Waldorfschule Schaan. Seit 23 Jahren an der Programmierung im Theater am Saumarkt beteiligt, Vorstandsmitglied desselben.

 

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