Nicolas Born zum Achtzigsten
RUNDLING AN ERDE, Schreyahn an Damnatz
1
Dass man jetzt übers Wasser gehen kann mühelos
über die Elbe
von Schnackenburg nach Lütkenwisch, nicht nur mit Blicken
wusstest du das?
Hin und her pendeln die Fähren von Hitzacker nach Bitter, nach Darchau rüber
und wenn man will, zurück
Qualmwasser, Schafe mit Ewigkeitsblick auf den Deichen
diesseits und jenseits
wusstest du das?
In Dannenberg kann man deine Stimme hören, abgespeichert
auf einer Handteller großen, silbrigen Scheibe
es gibt keine Kassetten mehr
aber Mick Jagger rockt noch, Helmut Schmidt raucht noch
wusstest du das?
Es ist alles noch an seinem Platz vielleicht nicht endgültig
die „unausgeschlafene Autolandschaft“, die verkaterte Stadt,
Nachrichten von fernen Kriegen, Fotos vom Sonnensturm,
manchmal Flimmern auf den Screens, die Erschossenen, Hungernden huschen vorbei, alles gestochen scharf
das sind jetzt so die Bilder
wusstest du das?
und doch ist alles verwischt
der Bauernhimmel, Schlieren im Blau,
unter 50 Kühen machts hier keiner,
jedes Dorf ein eroberter Raum, die Wolkendichte kann man googeln (wusstest du das?)
man kann sein Gesicht jetzt ins hinterste Zimmer versenden
per Internet (alle machen das ich mach das auch)
die Menschen hornlos und ohne Fell, du kennst sie
du kennst uns du kennst dich selbst
jeder fährt gern Auto, besonders hier, bitte baut uns eine Autobahn
danke für das Endlager, Herr Ministerpräsident
aber
Gorleben wurde besetzt, wusstest du das?
und geräumt, mit Baustopp verhängt,
und erneut genehmigt wusstest du das?
während
die zwei größten Reaktorexplosionen
seit der Atombombe auf Hiroshima
das ukrainische Brot die japanischen Fische verseuchten
1986
2011
und verseuchen werden bis auf den heutigen Tag, den wir einatmen
und darüber hinaus
wusstest du das?
die Welt nur noch an Riemen aufgehängt, an Fäden
du wusstest das
„- Selbstgespräche mit allem hier -“
mit den wichtigen Dingen,
der Katze, dem Fluss, den alles überragenden Eichen
(und ich: im Gespräch mit dir)
2
das kannst du nur hier machen:
Schreiben im Kutschersitz, das Heft auf den Knien,
ungekämmt
die Füße im Grün,
zwischen den Zehen Halme
umhegt vom Rundling,
diesen zum Stern
aufgefächerten Häusern
im Kreis um eine Mitte versammelt
wenn du dich auf den Boden legst
ist dir der Himmel näher blaue Stalltür
wie viele Tiere siehst du
jemand hackt Holz, schön unregelmäßig
Stoßseufzer von Kühen
zum Frühstück rauschen Traktoren vorbei
und die Katze schlendert über den Hof, die mich umgarnt,
wer bist du, Katze?
morgens und abends die zwitschernde Orgel
Amseln im Zungenflug
Kraniche, flatternde Girlanden
Gänse, kursiv ins Blau geworfen,
bewegliche Lettern
wer kann das alles entziffern?
Ameisenstraße in der Küche, Landregen, die Katze niest
also heute Blick frei
was fällt dir als Erstes ein
Nichts
großes Nichts
auf dem Friedhof in Damnatz Kissen aus Gras,
ist noch Platz
in greifbarer Nähe der Strom, gegenüber das Ufer
mögen die die geliebt werden
unter der leichten, über der schweren Erde
mögen die, die wir lieben, mögest du
ruhig einschlafen und wieder erwachen
unter einem friedlichen Himmel, manchmal nass
der uns anschaut
heute und darüber hinaus
mögen die die geliebt werden
unter der leichten, über der schweren Erde
mögen die, die wir lieben, mögest du
ruhig einschlafen und wieder erwachen
unter einem friedlichen Himmel, manchmal nass
der uns anschaut
heute und darüber hinaus
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Kommentare
Born-Gedicht
Liebe Ruth, schön, über ein paar Ecken wieder einmal von Dir zu lesen - nach Deiner Zeit auf dem Künstlerhof Schreyahn - herzlich: Axel