Ich weide Sterne auf trunkener Nacht

Gedichte

Autor:
Wahid Nader
Besprechung:
André Schinkel
 

Gedichte

Die Haut der Geliebten ist Marzipan, hier wie da - Gedichte zwischen Euphrat und Elbe von Wahid Nader

Der Glanz und die Sehnsucht sind immer an der Stelle zu Hause, wo man sich tatsächlich und bei gleichzeitiger Imagination all dessen, was man mit sich als Wurzel herumträgt, befindet. „Zwischen Euphrat und Elbe“ – gleich das erste Gedicht in Wahid Naders Debüt in deutscher Sprache nimmt das Hauptmotiv seiner lyrischen Erkundung auf. Schön ist es, im unseligen Gerangel der Kulturen und im medialen Ausschlachten jeder Nische, die die Unterschiede betont, dieses Gedichtbuch zu lesen. Wahid Nader, 1955 im syrischen Bmanneh geboren und seit Mitte der achtziger Jahre in Magdeburg beheimatet, zieht aus dem Umstand seiner Diaspora reizvolle Bilder, gewissermaßen vermischen sich auf einer steten Reise zwischen Orient und Okzident die Bezüge. Leipzig wird so zur Schwesterstadt von Damaskus, der geträumte Haram wird an den mitteldeutschen Flüssen errichtet; die Liebe in den kalten Landstrichen, meint man, auch sie hat etwas vom Basargeruch Vorderasiens; die Haut der Geliebten ist Marzipan, hier wie da.

Nader, der in Syrien mehrere Bücher veröffentlicht und sich u. a. als Übersetzer von Herta Müller einen Namen gemacht hat, ist so zum Mittler zwischen der rauhen Schönheit der Börde und der Sehnsucht nach dem Ankommen, sei es in der Heimat oder endlich bei sich selbst, geworden. „Ich weide Sterne auf trunkener Nacht“ – die Gedichte dieses Ingenieurs mit deutschem Doktorhut sind ausladend und karg zugleich, sie reden von der Lust und der Trauer wie dem Sichanverwandeln der Umgebung, in der man sich nun einmal findet. Das geschieht nicht ohne die Option, auf der Schaukel zwischen Ost und West immer wieder der Welt zu gehören, ganz gleich, ob man seinen Olivenbaum in der Nähe von Homs setzt oder unterhalb des Magdeburger Doms. Im Übrigen sind selten solch schöne und zärtliche Gedichte über die allzu oft verkannte Landschaft zwischen Elbe und Harz geschrieben worden: „Nachts vor dem Rathaus / steht die Magd / vom Wappenstein auf. / Scheherezade, meine Liebste.“ Oder: „An der Kreuzung am Mägdesprung / mit meiner Zunge auf deiner / sagst du / Habibi.“  

In den Karawansereien an Bode und Ohre wird man das mit einiger Genugtuung vernehmen. Sei es im syrischen Küstengebirge unterhalb des Heimatbergs von Wahid Nader, dem Matta, oder in Deutschland – im Verbund mit den Bildern des Wahl-Weimaraners Mehdi Majd-Amin, der aus dem Iran stammt, ist dem Buch ein weitläufiges Interesse zu wünschen. Mit ihm ist Nader, in Sichtweite zu Adel Karasholi, als wichtige west-östliche Dichterstimme sichtbar geworden.


Wahid Nader: Ich weide Sterne auf trunkener Nacht. Mit Bildern von Mehdi Majd-Amin. Verlag Hans Schiler, Berlin 2010.