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Gedichte
EXKLUSIV auf FIXPOETRY: Lyrik - jede Woche eine Kritik. Volle Packung, Schulstoff gleich - Gedichte von Thomas Kunst
Es könnte sein, dass da ein Roman entsteht, auf der Metaebene. Irgendwo auf den Rückseiten der Wolkenkratzer, zwischen den Zeilen markiert von Feuerleitern und Straßenkreuzungen. Ein Roman, der sich zusammensetzt aus Gedichten, die in den letzten 25 Jahren nach und nach und in den verschiedensten Verlagen veröffentlicht wurden.
Kunst ist einer unserer Produktivsten und man kommt gar nicht in die Situation, sich sorgen machen zu müssen, weil eine Publikationspause nun so lang schon anhält. Er ist präsent, in aller Munde könnte man sagen. Geboren wurde er 1965 in Stralsund und lebt seit den Achtzigern in Leipzig, wo er in den Türmen der Deutschen Nationalbibliothek schuftet, wenn er nicht gerade mit Stipendium in Rom oder Venedig ist. Aber so oft kommt es ja leider auch nicht vor.
„Der nie enden wollende Abschied vom Sonett“ könnte man den Lebens- und Schreibroman des Thomas Kunst nennen. Nach dem reinen Sonettenband "Estemago" legt er nun den mit Sonetten zumindest durchsetzten Band „Legende vom Abholen vor“. Hier nimmt er die angekündigte Abkehr von dieser Form eindrucksvoll zurück. Schon das erste, nennen wir es „kämpferische“, Kapitel „Schulstoff für gleich“ bedient sich ihr durchgängig, und gipfelt in einer Sonetthaften Aufzählung von Namen, denen sich der Autor verbunden fühlt. Das muss man vermuten, da die Namensliste nicht kommentiert wird. Der eine oder andere erwähnte Name wird einem zumindest als Anklang bei der Lektüre des Buches wieder begegnen. Ganz sicher Bove, Vian, Blanchot und Cortazar. Kunst kommt vom Sonett nicht los, und so muss er es wohl auf die Spitze treiben, und, soviel scheint derzeit wohl sicher, er wird es tun.
Im folgenden bewegen sich die Gedichte mit einer gradezu traumwandlerischen Sicherheit durch Literarische Weltlandschaften, durch einen Raum von Marseille bis Nordamerika, machen Urlaub, bauen Häuser, indem sie sie entkernen. „Die Straßen Amerikas kannten sich doch/ Fast alle noch von früher...“ (s. 51) heißt es. Und jeder Gedichtanfang stellt diese Literarizität her, macht klar, in welcher Welt wir uns befinden. In einer Welt der dauernden Endlichkeit auch von Liebesbeziehung. Denn der Band endet immer wieder wie die Kapitel eines guten Romans, bei sich selbst. Bei einer gewissen Einsamkeit des Helden, einer Verlassenheit des Ich, einer Geworfenheit... Und daraus speist sich auch seine Melancholie, jeder Beginn ist mit Ende gleichsam aufgeladen. Volle Packung.
Originalbeitrag
Thomas Kunst: Die Legende vom Abholen. Gedichte. Edition Rugerup, Hörby (Schweden) 2011.