Eskapaden

Gedichte

Autor:
Mary Jo Bang
Besprechung:
Kristoffer Cornils
 

Gedichte

EXKLUSIV auf FIXPOETRY: Lyrik - jede Woche eine Kritik. Wenig Angriffsflächen trotz Eskapaden - Mary Jo Bangs Gedichtwelten

Selbst, wenn es einige Zeit gedauert hat: Comics werden mittlerweile als eigenständige Kunstform akzeptiert. Der als popkulturelles Massenphänomen gehandelten Gattung wird immer mehr Interesse entgegengebracht. Die bildende Kunst ging dem schon vor langer Zeit voran, und heutzutage nimmt auch die literarische Befassung mit den fiktiven Welten, den Figurenkabinetten und Arche- und Stereotypen des Comics immer mehr Form an, eine Wechselwirkung entsteht zusehends. Die US-amerikanische Lyrikerin Mary Jo Bang könnte man demnach getrost in die Riege der Schriftstellerinnen und Schriftsteller einschubladen, die sich in fremde Gefilde wagen. Das wäre nicht unbedingt richtig. Selbst, wenn das Cover der bei luxbooks erschienen Sammlung „Eskapaden“ ein deutliches Zitat der Ikonographie des Genres ist, inklusive 10c-Preisplakette, gefesselter Frau, Schurken-Helden-Dualismus – Bangs Lyrik ist zu avanciert, als dass man es als interdisziplinäres oder -mediales Experiment durchwinken könnte.

Zumal die absurden, stellenweise surreal anmutenden Gedichte sich nicht auf einen Bereich beschränken. Hoch- und Trivialkultur tauchen nicht als Oppositionen auf, als Gegenpole, die miteinander in Verhandlung treten – sie werden schlicht ignoriert. Superman tritt auf, er steht direkt neben Hamlet; Mickey Mouse findet Erwähnung dort, wo Cher "clad as Cleopatra" ("gekleidet wie Kleopatra") die Bühne besteigt. Bang hat spät angefangen, zu publizieren, und ihre Texte zeugen davon, dass sie vieles bereits hinter sich gelassen hat, sie verzichtet auf Experimente. Kein Ringen um eine poetologische Standortbestimmung, die Texte verlegen sich eher auf die Parodie:  "The role of elegy is / To put a death mask on tragedy" ("Die Rolle der Elegie ist, / Der Tragödie eine Sterbemaske aufzusetzen") beginnt das letzte Gedicht von „Eskapaden“ und relativiert die eigene Behauptung mit dem Abschlussvers "One hears repeatedly, the role of elegy is." („Man hört des Öfteren, die Rolle der Elegie sei."). Dogmatismus, das verkommt zum Übel, jedoch zu einem, das nicht angeprangert, sondern gegen das Licht gehalten wird: „“The eyes that see the emphatic »Hey, / Teacher, leave those kids alone.« / The crowd shouts the lyics back to the band.“ („[…] Augen, die das eindrückliche »Hey, / Teacher, leave those kids alone« sehen. / Die Menge schreit den Text zur Band zurück.“ – übermäßig deutlicher muss die Absurdität eines zum Allgemeinplatz verkommenen Songtexts nicht gemacht werden, und trotzdem wird nicht in dasselbe Fettnäpfchen getreten.

Schließlich befinden wir uns in einer Welt, über die am laufenden Band Tatsachen ausgesprochen werden, die uns aber, wenn wir sie begreifen wollen, durch die Finger rinnt. Simpler Ausdruck geht mit semantischer Undurchdringlichkeit ein Vexierspiel ein. Vor allem die Gedichte des 2001 erschienenen Bands „Louise In Love“ sind exemplarisch: Narrative Strukturen, sogar dramatisch anmutende Figurenrede wird immer wieder konterkariert. Denn selbst wenn man Bang auf Biegen und Brechen die Adaption von Comic-Klischees attestieren wollen würde: Sie lässt ihr eigentliches Material nie aus den Augen. Überraschende sprachliche Wendungen sind da nur die Spitze des Eisberges, vor allem die drastischen Verkürzungen und Auslassungen, mehrdeutige Wortspiele und grammatikalisch schwer differenzierbare  Formulierungen geben sich die Hand in die Klinke. Das macht die Texte Bangs schier unübersetzbar. Wie ein Wortspiel wie „The Still Knife Still Suspended“ adäquat ins Deutsche umtopfen? „Schwert, immer noch schwebend“ kommt dem sicherlich nicht bei, aber Barbara Thimm kann an dieser Stelle kaum ein Vorwurf gemacht werden. Sie bleibt eng am Original, trifft Entscheidungen, die mal einleuchtend, mal zweifelhaft sind, im Großen und Ganzen aber überzeugen.
 
Eine weitere Form von Translationsleistung geht jedoch noch weit über den lyrischen Horizont des Bandes heraus: Die Illustrationen des Grafikkünstlers und Zeichners Matt Kindt greifen die bestimmenden Elemente, Klischees und den Witz der weitreichenden Tradition des Comics auf und montieren sie zu Bildern, die die Absurdität von Bangs Welten ebenso einfangen wie deren Morbidität. Zwischen dem Wahnwitz, den skurrilen Drehungen und dem feinsinnigen Humor klaffen immer wieder Abgründe auf, Zeilen wie „What isn’t dead, is dying.“ („Was nicht tot ist, stirbt.“) sitzen wie ein Faustschlag. Jedenfalls für den Moment, denn irgendwie befindet man sich ja immer noch in fiktiven Reichen, irgendwie kann uns ein solcher Aphorismus in so einem Kontext nicht zu einer wirklich verwertbaren Aussage gereichen. Das ist vielleicht ein Manko an „Eskapaden“: So gern man sich auf die unprätentiöse Verschränkung vermeintlicher Polaritäten einlässt, mit wie viel Freude man sich auf die Dimensionen einlässt, die sich durch die Gedichte eröffnen, sie bleiben vor allem eins: „Eskapaden“, bieten wenig Angriffsfläche. Das muss nicht zwangsläufig schlecht sein, lässt Bangs Lyrik über die Länge der Sammlung aber etwas gleichförmig scheinen.
 

Originalbeitrag

Mary Jo Bang: Eskapaden. Gedichte. Übersetzt von Barbara Thimm, mit Illustrationen von Matt Kindt. Luxbooks, Wiesbaden 2011