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Gedichte
EXKLUSIV AUF FIXPOETRY: Lyrik - Jede Woche Kritik. Ausdeutung der Kampfzone – „Poesiealbum neu / Konsum & Kommerz“, herausgegeben und ausgewählt von Ralph Grüneberger
Daß ich mich nicht nur aus Geldmangel entschlossen habe, ein paar Kilometer außerhalb der Bonner Innenstadt zu logieren, kommt mir besonders in der Vorweihnachtszeit - wie jedes Jahr, in dem zwischen Karstadt, Kaufhof und Glühweinbude auf ein Weiteres die ökonomistische Kampfzone bis zur Hysterie ausgeweitet wird – stets wie ein Segen vor. Noch segensreicher wird es dann, wenn einem darüber hinaus auch noch eine Lyrikanthologie ins Haus geflattert kommt, - gediegen gestaltet, dabei aber nicht viel größer und umfangreicher als ein Programmheft, die meinem Unbehagen ob der zombiesken Produktbesessenheit und deren Endspielen des Geldes solidarisch zur Seite steht.
„Konsum & Kommerz“ ist die zwölfte Publikation aus der Lyrikreihe „Poesiealbum neu“ der Leipziger Edition „kunst & dichtung“; und bei all den sibyllinischen Themenkomplexen, die die Literaturzeitschriften so ausschreiben, und in denen sich dann alles oder nichts wiederfindet, fühle ich mich von der aktuellen politisch-brisanten Dimension, die der Hefttitel verspricht, sofort angesprochen und meine Erwartungshaltung wird tatsächlich in keiner Weise enttäuscht. Denn der Lyriker und Herausgeber Ralph Grüneberger hat auf zweiunddreißig Seiten eine illustre Runde von dreiunddreißig Dichtern und Dichterinnen überaus feinsinnig versammelt, die aus unterschiedlichen Perspektiven, ohne daß es einen Ausreißer nach unten gibt, ihrer Kapitalismuskritik Ausdruck verleihen. Da findet man Gedichte der beiden Büchnerpreisträger Volker Braun und F.C. Delius genauso, wie in der Rubrik Fundstücke Texte von Kurt Tucholsky und – Überraschung - dem Gelegenheitslyriker Karl May. Zwischen Einkaufcenter (Christel Guhde) und Ausbeutung (Mirela Ivanova), Arbeitsamt (Jochen Griebe) und Schaufensterpuppen (Julietta Fix) probt die Lektüre den lyrischen Umgang mit der Ohnmacht innerhalb des gekippten Wertesystems einer Gesellschaft „aus gekauften Käufern und von prostituierten Prostituierenden“, die sich in den globalisierten Marktverhältnissen eingerichtet hat, wie Peter Sloterdijk es einmal treffend formulierte.
In die richtige Stimmung versetzt einen da bereits die Umschlagabbildung „Auf der Rolltreppe“, ein Gemälde des Leipziger Künstlers Joachim Scholz (1934-2004). Eine übersättigte, lemurenhaft dreinschauende Tracht Kaufhauskundschaft auf dem Weg die Rolltreppe hinab, welcher meisterlich die Ambivalenz ins Gesicht geschrieben (gemalt) steht, ob sie nun schon ihre Beute gemacht haben oder selbst eben gerade zu dieser geworden sind.
// Am Morgen schon / ist das Hochbild vom Menschen / zu einer Lachnummer geworden // heißt es adäquat im Auftaktgedicht „Die Lage der Dinge“ von Peter Bornhöft auf Seite 3. Die Kunst einer Lyrik, bei der einem zwar das Lachen im Halse stecken bleibt, aber die dann dennoch ungemein tröstlich wirkt, vollbringt das längere Gedicht „Laub“ von Jochen Griebe, eine bohemienhafte Entlarvung der Agentur für Arbeit als absurdes Theater, wenn die Opferrolle zwischen Sachbearbeiterin und „Kunden“ (der wieder fit gemacht werden soll fürs staatlich verordnete Konsumentendasein) sich umkehrt, und den Arbeitslosen aus Mitleid mit der Sachbearbeiterin, nachdem er sie sich schöngesoffen hat, zur Harke greifen läßt: Drei Stunden Laubharken für den 1,99er / SOAVE und einen 88 Cent Viererpack / KRONFÜRST BOONEKAMP 44 % Vol / geht ganz in Ordnung / wenn man bedenkt / für wen und was die Anderen so arbeiten / und dass alle Bäume / irgendwann kahl sein werden. (S. 10) Beachtlich auch das Gedicht „In Mitteleuropa“ von Jan Wagner, seinem Gedichtband „Probebohrung im Himmel“ aus dem Jahr 2001 entnommen, das sich zehn Jahre später als Stimmungsbild gleichbleibend unverbraucht zeigt (…bis vielleicht auf die „Telefonzellen“ am Schluß des Gedichts): // die ganze stadt ein riesiges ensemble / das die instrumente vergaß – das ist schon viel / zu viel für manchen um es zu ertragen // wir, die wir geschäftig sind / tief in uns selbst – wir merken nicht / wie sich die welt um uns allmählich leert / (S. 8). Jan Wagner fängt hier die kurze Fermate der noch kaum enervierten Kommerzianten innerhalb der leise zusammenbrechenden Geschäftswelt ein, die fast jener der frischgespritzten Junkies beim noch unbemerkten, aber nahenden Ausbleiben der Dealer gleichkommt. Man richtet sich ein in der katastrophalen Endlosschleife der Konsumwelt, nekromantisch am zurückweichenden Meer vor dem Tsunami, am Schweigen der Vögel vor dem Erdbeben: die tage indessen gehen gemächlich vorüber / als wären sie auf einem schaufensterbummel /
Überhaupt gewinnt das „Poesiealbumneu“ auch dadurch, daß es nicht unbedingt auf Erstveröffentlichungen beharrt. Viele der Texte sind längst erschienenen Lyrikbänden entnommen und steigern damit noch eher das Interesse am Schaffen der hier publizierten Autoren und Autorinnen. Daß Grüneberger nicht unveröffentlichte Gedichte als Terminsache mit Datum des Poststempels produzieren läßt, merkt man der Qualität und Inspiriertheit der Anthologie an; hier gibt es keine Verlegenheits- oder Schnellschüsse. Der verlegerische Überbau, in dieser Weise der Wegwerflyrik vorbeugend, kommentiert somit konsequent die eigene Themensetzung. „Konsum & Kommerz“ ist so vielschichtig und intelligent zusammengestellt, dazu finanziell erschwinglich und am politischen Puls der Zeit, daß es sich übrigens hervorragend zur Schullektüre eignen würde. Dabei ist es aber hoffentlich nur Zufall und nicht schon Symptom der fortschreitenden Verkommerzialisierung der Generationen, daß der jüngste unter den hier versammelten kritischen Dichtern und Dichterinnen bereits auch schon vierzig Jahre alt ist.
„Poesiealbum neu – Konsum & Kommerz“. Lyrikanthologie herausgegeben von Ralph Grüneberger, 32 Seiten. Edition kunst & dichtung, Leipzig 2011, 4,80 Euro.