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Prosa
Symbol für das letztlich Unergründliche des Lebens. "Das Leben der Bienen" von Maurice Maeterlinck
Hamburg | 08.01.2012
Was für eine Ironie des Schicksals, möchte man meinen, dass gerade Maurice Maeterlinck (1862-1949), der große Symbolist, gefeierter Vertreter einer Sprache des Un- und Vorbewussten, Erfinder eines „Dialogs zweiten Grads“, in dem das Nicht-Sagbare zum Ausdruck kommt, Meister der Suggestion und der Macht des Schweigens, dass also gerade dieser Maurice Maeterlinck auch ein Werk über die Welt der Bienen geschrieben hat, dem er später noch Bücher über die Ameisen und Termiten wird folgen lassen. Was auf einen ersten Blick als Widerspruch erscheint, erweist sich auf einen zweiten Blick als nur logische Konsequenz. Und insofern mag es durchaus plausibel – und notwendig sein, hundertzehn Jahre nach dem Ersterscheinen des Buches und hundert Jahre nach dessen deutscher Übersetzung eine Neuauflage zu wagen. Das Interesse für die Bienen offenbart sich dann nämlich als komplementärer Akt in Maeterlincks Bemühen um das Unerklärliche und zutiefst Tragische im Dasein des Menschen wie aller Lebewesen.
Ergänzt wird die Neuauflage durch einen spannenden und sehr erhellenden Essay von Gerhard Roth, der eigene Bienenerfahrungen mit einer klugen Durchsicht des Maeterlinck’schen Unterfangens kombiniert. Den Abschluss bildet ein Nachwort zu Leben und Werk des belgischen Autors, in dem der Lebensweg des französisch sprechenden Flamen von der ästhetizistischen Décadence bis zum nationalistischen Konservatismus seiner letzten Jahre nachgezeichnet wird.
Seit einer hymnischen Besprechung von Maeterlincks Werk durch den französischen Autor und Kritiker Octave Mirbeau im „Figaro“ vom 24. August 1890 galt Maeterlinck als shooting star der neuen Literatur. „Man konnte an dem neuen Namen nicht mehr vorbei. Er war ein Ereignis geworden, zu dem man sich stellen mußte, so oder so. Man muß sich irgendwie mit ihm abfinden“, wird schon im Januar 1891 der österreichische Autor und Kulturvermittler Hermann Bahr schreiben. Der Siegeszug Maeterlincks durch Europa beginnt. Es gibt keinen Autor, der sich nicht zu ihm in Beziehung setzen muss oder will. Egal, ob Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Otto Brahm oder Herbert Eulenberg: Für sie alle ist das Theater des Belgiers Impuls und Anknüpfungspunkt, den sie kopieren, den sie kritisieren, den sie weiterdenken – und wenn sie nur einen Ausschnitt aus seinem Werk als Motto voranstellen, wie dies etwa Robert Musil bei seinem Erstlingsroman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ tut. Es ist das Neue, das – wie immer – Furore macht; es ist aber vor allem die präzise Umsetzung des Unsagbaren und Unerklärlichen, das die Besonderheit von Maeterlincks Drama ausmacht. Seine Stücke werden übersetzt – 1892 übersetzt Hofmannsthal „Les Aveugles“ für eine Privataufführung –, und es gibt keine Bühne, die auf seine Stücke verzichten kann. Endlich ein Mann, der die Faszination des literarischen Symbolismus als Programm nicht nur in Form vereinzelter Gedichte umzusetzen versucht, endlich jemand, dem es gelingt, das große, bedeutende symbolistische Theater zu schaffen. Mit seinen Stücken „La Princesse Maleine“, „L´Intruse“, „Les Aveugles“, „Pelléas et Mélisande“ und „Ariane et Barbe-Bleue“ revolutioniert er nicht nur das Theater, er gewinnt auch das Interesse der Komponisten, die seine Stücke zu Opern vertonen (so Claude Débussy für „Pelléas et Mélisande“ und Paul Dukas für „Ariane et Barbe-Bleue“).
Und nun also, zehn Jahre nach den großen Theatererfolgen, verfasst er dieses Buch über die Bienen und die Bienenzucht, kein „Handbuch für die Bienenzüchter“, wie Maeterlinck gleich eingangs erklärt, sondern ein Buch – gespeist aus jahrerlanger Erfahrung und geschrieben mit dem Blick der Zuneigung für das geheimnisvolle Leben der Bienen und mit dem unbestechlichen Blick dessen, dem die Wahrheit wichtig ist. „Ich will nur ganz einfach von den Bienen reden, wie man von einem vertrauten und geliebten Gegenstand redet, wenn man Nichtkenner darüber belehren will.“ (S. 7) In der Tat erfährt der Nichtkenner sehr viel über das Leben im Bienenstock, die strenge Organisation der Arbeitsbienen, die Aufzucht der Bienenköniginnen, das Ausschwärmen und den Hochzeitsflug der Bienenkönigin, die geduldete Existenz der Drohnen und die mühselige Prozedur der Wachsproduktion etc. Erweitert werden diese Beobachtungen und Informationen durch Spekulationen des Autors über den tieferen Sinn dieses Gemeinwesens, durch Überlegungen zur möglicherweise anders gearteten Vernünftigkeit dieses Daseins, das strengen Regeln zu gehorchen scheint, deren Sinn und Vernunft dem menschlichen Beobachter sich entziehen, die aber vielleicht doch existieren. Gerhard Roth fasst das Verfahren Maeterlincks exakt zusammen, wenn er schreibt: „Die Sichtweise [Maeterlincks] ist anthropomorph, spirituell und nicht selten mystisch, wenn er über die Natur und über die Schöpfung reflektiert, andererseits ethnographisch, sobald er die Bienen wie ein archaisches Volk betrachtet und die ihm fremden Verhaltensweisen beschreibt.“ (S. 215)
So schließt sich der Kreis.
Auch das unverständliche und anscheinend sinnlose Gebaren der Bienen, die wie Marionetten einem größeren Ganzen gehorchen, dessen Sinn nicht wirklich einsichtig ist, kann als Symbol genommen werden, als Symbol für das letztlich Unergründliche des Lebens. Und da das, was nicht erklärt werden kann, auch nicht gesagt werden kann, bleibt nur die möglichst exakte Nachzeichnung des konkreten Verhaltens. „Ich beschränke mich darauf, die Tatsachen […] wiederzugeben.“ (S. 8) Alles andere bleibt einer anderen, „höheren“ Einsicht vorbehalten.
Ich will nicht sagen, dass Maeterlincks Bienenbuch zur spannenden Lektüre gehört, aber als Beitrag zum Verständnis von Werk und Intention des belgischen Symbolisten Maeterlinck erscheint es unverzichtbar. Insofern ist dem Unionsverlag zu danken, dass er das Wagnis einer Neuauflage auf sich genommen hat.
Originalbeitrag
Maurice Maeterlinck: Das Leben der Bienen. Mit einem Essay von Gerhard Roth. Aus dem Französischen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski. Zürich: Unionsverlag 2011. ISBN 978-3-293-004-276, € 19,90