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Gedichte
EXKLUSIVBEITRAG: Lyrik - Kritik. Die Zukunft, in Kürze. Dritte Lieferung der Schock Edition versammelt wiederum 5 x 12 Gedichte
03.03.2012 | Hamburg
Die Welt des Lyrikers ist eine überbordende, unüberschaubare mit Bergen fliegender Zettel und geradezu vorschriftlich anmutenden Kritzeleien, die, wenn es gut ausgeht (nur dass man dann meist nix mehr davon hat), in einer der berühmten Marburger Kisten landen … Oder aber sie ist eine vor lauter Zagheit, Zweifel, Krise und Einfallsferne wohl sortierte, mit nur wenigen Blättern auskommende. Beiden Typen gemein ist der Wunsch, es auch einmal im Kleinen zu versuchen, der Einzelhaftigkeit des dichterischen Gegenstands gemäß – als Bote im Vorfeld einer plinianischen (– in die Jetztzeit gedreht: Grünbein’schen) Text-Eruption oder der kühnen Behauptung, es läge doch nun so etwas vor wie ein Werk.
Diese Sehnsucht ist nicht neu in der ordnungssüchtigen Welt des träumenden Lyrikers: eine kleinere Text-Plattform zu haben – sei es als Etappe zu den schwerer wiegenden, dräuenden Bänden, auf dem Weg ins Große, Gesamte; oder zum Herausstellen, als Kristallisationsform einer Folge, eines Zyklus im besten Falle. Die seit Anfang 2011 bei Distillery erscheinende Schock Edition vermag es mit ihrem Angebot, beide Gelüst-Richtungen zu befrieden: in guter alter Dutzend-Zählerei bringt es zweimal im Jahr ein Schock Gedichte hervor, in fünf Heften zu je zwölf Texten eines Autors; Auflage: sechzig, natürlich; die, unter denkbarster Schlichtheit mit je einer Monotypie von Silka Teichert, einem Piktogramm ausgestattet, ein Morgenrot am darbenden Himmel der sich mehrenden Gedichtfabrikanten ausmacht. Ein Schuber darum, dass das Ganze hält und steht: und fertig ist das Gebinde, das sowohl dem bibliophilen Interessenten die Aufwartung machen kann – als auch (man wagt es nicht zu denken) geeignet ist, einem Trend lyriklesender Touristen zuzuarbeiten.
Dabei gelingt es der von Kai Pohl betreuten Edition, die verschiedensten Stimmen in ein Bündel zu bringen: man begegnet dem merkwürdig stillen und zugleich schnoddrigen Ton eines Florian Günther, dessen „Grüne Bohnen“, wenn sie nicht auf dem Herd des legendären Buk standen, der Küche des nicht minder legendären Carl Weissner entnommen sein könnten. Anna Rheinsberg geht mit dem Hund, und Katrin Heinau liefert im „Handbuch für Überschwemmungen“ mit einer Reihe „Träume“ nach Benjamin das heimliche Highlight der Folge: „Das Haus stand und stand, der Mond glich nichts, und wie das Licht die Fassade beschien. Ich selbst spazierte im Plüschgewand. Die langhaarigen Nüsse waren zu Walen geschrumpft in meinem Händchen. Alles geschah in einer Sekunde.“
Bertram Reineckes Exegesen, auf dem Fundament des Vorhandenen (das „Komm“-Gedicht findet schließlich ins Offene) zu neuen Blickweisen gelangend, ergehn sich in eindrücklichem Zwielicht mit den illusionsfreien Berlin-Gedichten Gerd Adloffs, die „die Zukunft in Kürze“ erwarten. Schon wissend, dass eben diese bei der Befreiung Robinsons von seinem Insel-Gefängnis zurückgelassen werden musste, werden die Verhöre alsbald in den eigenen Kopf verlegt, wo sie mählich verlöschen, in den Präparaten ihrer selbst versacken.
Eleganz und Griffigkeit: man wünscht derlei öfter und möchte sich gespannt halten auf das nächste Schock. Alles in allem sind die nunmehr fünfzehn Hefte der Schock Edition eine gute Aussicht darauf, dass sich das Lyrik-Wesen so eine frische wie auch würdige Nische jenseits der Treibwege der Ignoranz offenhalten mag. Mehr ist nicht zu sagen.
Schock Edition: 5 x 12 Gedichte. Herausgegeben von Kai Pohl. Dritte Lieferung: Gerd Adloff, Florian Günther, Katrin Heinau, Bertram Reinecke, Anna Rheinsberg. Berlin 2012: EdK/Distillery. 5 x 28 Seiten, 24 Euro.