Zu Fall und Stelle

Intermediale Poesie

Autor:
Ingo Springenschmid
Besprechung:
Günter Vallaster
 

Intermediale Poesie

Immer auf der Spur - Zu Fall und Stelle von Ingo Springenschmid

Und solchen „gaps“, Lücken in der Lückenlosigkeit suggerierenden Sprache, mit der ständig Sperren und Blockaden aufgebaut werden, die die eigentlichen Lücken sind, ist Springenschmid immer auf der Spur, nicht zuletzt deshalb, um das Potential der Sprache zu retten, auf die Möglichkeiten der Sprache hinzuweisen und dabei zu einer gewissen Brüchigkeit zu stehen, frag-mental im Sinne von: frag verständig. Manchmal genügt ein ganz minimales Tischerücken, eine Feinadjustierung wie an einem sensiblen Gerät, wenn bei den Versallettern SATZ gleich einem Zug des Springers beim Schach aus dem T ein L gemacht wird, wodurch SALZ entsteht (79). Springenschmid findet die Schiebetüren, um die Sprache und die Wahrnehmung zu öffnen: „tür-auf-zu g“ (106) – und in diesem Zusammenhang sei auch auf seine beeindruckende Handschrift verwiesen, die überwiegend aus ca. 45 Grad geneigten Schrägstrichen besteht, aber klar und deutlich zu lesen ist. Wörter wie „anfangen“, „aufhören“, „fallen“ und „stellen“ tauchen in vielen Texten des Bandes immer wieder auf und werden somit zu Schlüsselwörtern für die Schiebetüren, wobei geschickt Konversionen zwischen den Wortarten zum Entriegeln eingesetzt werden: „fallen ein klammern“ (block 3, s. Leseprobe). Sämtliche Texte des Bandes sind von tief gehenden Überlegungen zur Wahrnehmung getragen, die zum philosophischen Mitdenken anregen, wie die folgende, fast wie eine Art „platonisches Gegenstandsgleichnis“ wirkende Passage zeigt: „glüht der gegenstand wird man es an seinem schatten nicht ansehen. brennt / der gegenstand wird man es an seinem schatten erkennen. erlischt der / gegenstand erlischt sein schatten. ist der schatten also werbung oder / ausrede, ist er blatt vom gegenstand, sein werkstück laubwerk, abfall, / ein gleichzeitig sich gegenseitiges an und abhören, als sanfte raktion / auf-zu-hören, hör auf – ab? (...)“ (93). Oft vermittelt die Dichte der Gedichte, die Auslotung möglichst aller Böden der Semantik sowie der Wände und Decken der Zeichen den Eindruck, dass es gelte, im literarischen Schreibprozess möglichst viele momentane und simultane Eindrücke im und um das Subjekt zu berücksichtigen und einzukalkulieren: „währte vor der seite an seite steckte tasche nicht in weste (...)“ (47). Auch aus Text-Bild-Fundstücken, beispielsweise einer Straßenkarte („c street“, 66) oder Abbildungen von Brücken in Portland/Oregon („portland (or.) “ 68), lässt Springenschmid poetische Dimensionen zutage treten.

Mit „Zu Fall und Stelle“ liegt die längst fällige gesammelte Dokumentation der bisherigen poetischen Arbeiten von Ingo Springenschmid vor, die auch seinen hohen Stellenwert als Dichter ausweist. Das bibliophil gestaltete Buch ist nicht nur eine Bereicherung, sondern ein Grundlagenwerk für jeden Lese-, Schreib- und Zeichentisch.

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