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Ein deutsch-französischer Vergleich
Autoren als Netzwerker – Ralph Winter verweist den Begriff einer literarischen Nachkriegsgeneration der 1920er Jahre ins Reich der Mythen / Von Florian Keisinger
05.06.2012 | Hamburg
Im Jahr 1903 schrieb AndréGide für die französische Literaturzeitschrift „La Phalange“ einen kurzen Beitrag, in dem er der Frage nachging, ob große Literatur zwangsläufig „national“ sein müsse, oder ob sie darauf verzichten könne (auf Deutsch findet man den Text unter der Überschrift „Nationalismus und Literatur“ im zwölften Band der von Raimund Theis und Peter Schnyder herausgegebenen „Gesammelten Werke“ AndréGides). Seine Antwort weist in zwei Richtungen: Zum einen weigert er sich, ein Werk als „große Literatur“ anzuerkennen, das nicht einen grundsätzlich „universalen […] das heißt ganz einfachen menschlichen Wert präsentiert“. Andererseits steht für ihn außer Frage, dass es für eine Nation nichts Eigentümlicheres gebe als ihre Literatur; als Beispiele nennt er Aischylos, Dante, Shakespeare, Cervantes, Molière, Goethe, Ibsen und Dostojewski. Entsprechend vertritt er die Auffassung, dass sich beide Ebenen nicht voneinander trennen ließen, „dass kein Kunstwerk eine universale Bedeutung besitzt, das nicht zuvor eine nationale hat; keine nationale Bedeutung hat, das nicht zuerst eine individuelle Bedeutung besitzt.“
Mit den deutsch-französischen Verbindungen von Literatur und Literaten in den 1920er Jahren befasst sich Ralph Winter in seiner Dissertation, die im Wallstein Verlag erschienen ist. Im Zentrum steht die Frage nach der generationellen Selbstdeutung zweier Autorengruppen: Auf deutscher Seite das literarische Umfeld Klaus Manns, dem (heute kaum mehr bekannte) Autoren wie Erich Ebermayer, Wilhelm E. Süskind, Peter de Mendelsohn, Herbert Schlüter und Willi R. Fehse zugerechnet werden; französischerseits eine Gruppe junger Autoren um die Brüder Andréund Francois Berge, die im Umkreis der Zeitschrift „Les cahiers du mois“ (1924-1927) agierte und zu der unter anderem Marcel Arland, RenéCrevel und Maurice Betz zählten. Neben einer relativ homogenen Altersstruktur – alle wurden zwischen 1897 und 1908 geboren und gehörten somit nicht zur Generation der Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges – sowie der grundsätzlichen Affinität zum jeweiligen Nachbarland verband beide Seiten, mit Gide über einen gemeinsamen Spiritus Rector zu verfügen. Gide selbst freilich dürfte das nur bedingt so gesehen haben; während er mit Crevel, der ein Freund seines Lebensgefährten Marc Allégret war, einen recht engen Austausch pflegte, hielt sich sein Interesse an der deutschen Seite um Klaus Mann – der Gide sogar eine euphorische Biografie gewidmet hatte – in Grenzen. In Gides Tagebüchern taucht Mann (anders als sein Vater Thomas) nicht auf, und auch in seiner Autobiografie „Wendepunkt“ räumt Mann offen ein, dass das Interesse an Gide eher einseitig war: „Ich bewunderte ihn. Er ließ es sich gefallen.“
So spannend die Verflechtungen deutscher und französischer Autoren in der Zwischenkriegszeit auch sind – rund 100 Seiten des Buches (Kapitel II) befassen sich mit ihnen –, im Kern geht es Winter um etwas anderes. Ihn interessiert die Frage, ob der Generationenbegriff für die beiden genannten Gruppen angewandt werden kann, und ob über ihn ein literaturhistorisch sinnvoller – sprich: möglichst homogener und transnationaler – Zugriff auf sowohl das Selbstverständnis der Autoren als auch deren Werke möglich ist. Für die genannten Autoren selbst jedenfalls war der Fall eindeutig: Sie definierten sich öffentlich als „Nachkriegsgeneration“, die ihre entscheidende Prägung im Wesentlichen im Ersten Weltkrieg – an der Heimatfront – sowie während der Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit erfahren habe.
Das stellt Winter in Frage. Sein Argument lautet, dass der Generationenbegriff, mit dem sowohl die deutsche als auch die französische Seite offensiv hantierte, weder historisch noch literarisch begründbar war. Stattdessen sei es den Akteuren in erster Linie um die „Selbststilisierung als Generation“ gegangen, sprich: „das Postulat der Zusammengehörigkeit aufgrund einer ungefähren Gleichaltrigkeit und realer oder imaginierter Gemeinsamkeiten.“ Dahinter stand das ebenso praktische wie nachvollziehbare Motiv, die eigenen Arbeiten auf einem umkämpften Markt anzubringen, das heißt: zu publizieren und wahrgenommen zu werden.
Zu den Begabtesten bei der Selbstvermarktung gehörte zweifellos Klaus Mann. Er brachte zudem den Vorteil mit, dass er – als Sohn von Thomas und Neffe von Heinrich Mann – bereits qua Geburt als eine Berühmtheit galt. Probleme, seine literarischen Arbeiten ans Licht der Öffentlichkeit zu befördern, kannte er dementsprechend nicht. Bereits die frühen Novellen und Romane des damals gerade einmal 19-Jährigen erschienen in Buchform, dasselbe galt für seine Theaterstücke, die obendrein noch an den Hamburger Kammerspielen aufgeführt wurden (übrigens in spannender Besetzung: in den Hauptrollen Klaus Mann selbst, seine Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gustav Gründgens). Darüber hinaus trat Mann immer wieder als Herausgeber von Anthologien in Erscheinung, die von seinem bekannten Namen profitierten und in denen auch die Texte von Ebermayer, Süskind, Mendelsohn, Schlüter usw. abgedruckt wurden. Und auch sonst versuchte man sich so gut es ging zu unterstützen, etwa indem man sich gegenseitig die Bücher positiv rezensierte (ein Prinzip übrigens, an dem sich bis heute kaum etwas geändert hat), Artikel über die anderen in Zeitschriften lancierte oder einander mit Widmungen bedachte, um so die vermeintliche Zusammengehörigkeit nach außen zu tragen.