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Prosaminiaturen//Fotos
Ausschweifendes Abschweifen!
06.06.2012 | Hamburg
Wieder einmal reist Thomas Kapielski, oder zumindest das, was da in Ich-Form daherkommt und dadurch die Trennlinie zwischen Erzähler und Autor unscharf werden lässt, in der deutschsprachigen Welt herum. Eine Reise, die den 1951 in Charlottenburg geborenen Philosophen, Theo- und Philologen, Dichter, Geo- und Fotographen, Maler und Nasenflötist etwa nach München, Stuttgart, Graz und Basel, aber auch immer wieder zurück in jenes Berlin führt, »das nichts ausläßt und alles duldet, sofern es sich um Schwachsinn, Ausschweifung und »Tolleranz« handelt.«
Dieser blendenden Bürokratisierung und Gesamtschau der Welt hält Kapielski in seinem nun bei Suhrkamp erschienenen Buch Neue sezessionistische Heizkörperverkleidungen, eine Fülle an Bildern, Erlebnissen und überraschenden Blickwinkeln entgegen. Nicht Einheit, Totalität, Linearität oder alles, dem das Suffix -kratie anhängt und das von Machtergreifung und Gewalt zeugt, sondern vielmehr Vielfalt der Perspektive, des Wortschatzes und dessen produktive Abschweifung gilt es ihm dabei zu bewahren, denn: wer »die Vielfalt fürchtet, betäubt sich am Einerlei und begreift Das Eine nicht. « Kapielski selbst ist es, der sezessioniert, der sich von der ihn umgebenden Gesellschaft absondert, indem er ihr seine eigene Sprache auferlegt, seine eigene Perspektive. Er übt sich sozusagen im Verzicht der Regeln und Einschränkungen seiner Umgebung. In barocker Manier lässt er die Grenzen zwischen Kunst, Philosophie und Alltäglichkeiten in gekonnt übersteigerter Weise verschwimmen, vollkommen gleichgültig, ob jemand seinen Stil dabei für veraltet hält. Teils absurd, teils banal und meist mit einer Prise Kulturpessimismus liefert Kapielski klare und präzise Reflexionen zur Lage der Welt, zum Vegetarismus oder zu tagespolitischem Geschehen, wie etwa dem Stuttgarter Kopfbahnhof, in beinahe aphoristisch anmutenden Sätzen. Da ächten die Staaten unbekümmert Brauchtümer, besitzt das Genie einzig die Gabe, geschickt zu entlehnen, haben wir die RAF überlebt, um nun auch Bio zu überstehen, ist Deutschland »ein angestochener Fettkäfer«, der nicht zappelt, nur blöd staunt.
Wie schon in Ortskunde. Eine kleine Geosophie (Urs Engeler Editor 2009) streift er durch die Landschaften und Städte, um zum einen den Menschen auf den Mund, zum anderen »das Gewöhnliche, den Himmel, Wolken, die Gestirne« zu schauen. In O-Tönen, Zitaten, philosophischen Exkursen, Bildbeschreibungen, Reiseberichten und einem Schwanken zwischen lyrischen und prosaischen Passagen schmücken sich die »fatalen Garstigkeiten der weiten Welt« Absatz für Absatz, was dann auch die Form bedingt. Jedem Absatz werden dabei etwa zwei Seiten Raum gegeben, denen jeweils ein von Kapielski selbst gemachtes Foto vorangestellt ist. Die daraus entstehende Unterteilung ermöglicht es, das Buch als Sammlung von Prosaminiaturen, sowie als zusammenhängendes Ganzes, in dem alles verschieden und gleichbedeutend summt, zu lesen. Einheit und Zielgerichtetheit lösen sich in Ausschweifung und Abschweifung, Alltag, Philosophie und Alkohol auf, Bilder und Erlebnisse verwischen und verdichten sich, und die Gefahr der Fallhöhe wird mittels Komik und poetischer Satire ausgehebelt. Die Möglichkeit der Intermedialität nutzt Kapielski um all dies ganz unbekümmert zuzulassen. Nicht mehr das »knappe Knipsen« des Diafilms, bei dem ein Gegenstand erst als würdig empfunden werden muss, um fotografiert zu werden, sondern vielmehr der Fotographieexzess erlaubt die Erhöhung des Banalen. Alles wird ebenbürtig, alles wird gleichermaßen bedeutend.
Sei es nun der gediegene Ton, die Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Literatur, die philologische Präzision der Wörter, die theologischen Betrachtungen, oder all das gleichsam und zusammengenommen: beinahe auf jeder Seite finden sich Sätze, an denen man hängenbleiben kann, die man sich einprägen will, um sie nicht mehr zu verlieren. Es sind eben diese Sätze, die schmunzeln machen über das eigene Unverständnis der Wirklichkeit, die nicht tröstet oder beherrscht werden kann. Es sind aber ebenso gerade diese Sätze, die in einer regelrechten Bildflut und -flucht angehäuft werden, um ein Verweilen zu vereiteln, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Kaum eine gesamte Szene bleibt im Gedächtnis, kaum eine Stadt, die nicht bereits von der nächsten eingeholt und abgelöst wird. »Was man liest, ist doch beinahe egal«, schreibt Kapielski gegen Ende des Buches, »der Gewiegte zieht aus allem Gewinn!«, und vielleicht sollte man ihn bei seinem eigenen Wort nehmen, sein Buch als Kompendium einer Reise betrachten, das Eindrücke schildert und nur im Kopf passiert, ohne dabei etwas vermitteln zu wollen oder gar zu erzählen. Vielleicht sollte man sich zurückziehen, sich Zeit nehmen, jedem Wort, jedem einzelnen Bild nachspüren und den Dingen einfach ihren Lauf lassen. »Dann winken sie mir heimlich. «
Exklusivbeitrag
Thomas Kapielski: Neue sezessionistische Heizkörperverkleidungen. Broschur, 214 Seiten, 14,00 Euro, ISBN: 978-3-518-12680-6, Edition Suhrkamp Berlin 2012
Thomas Kapielski: Neue sezessionistische Heizkörperverkleidungen. Broschur, 214 Seiten, 14,00 Euro, ISBN: 978-3-518-12680-6, Edition Suhrkamp Berlin 2012.