weitere Infos zum Beitrag
Gedichte
Am Fenster mit einem Kissen unter dem Ellbogen.
28.06.2012 | Hamburg
Bedauerlicherweise hat die Lyrikreihe „Silver Horse Edition“ vor einem halben Jahr ihre Publikationsarbeit eingestellt. Mit Autoren und Autorinnen wie Michael Arenz, Theo Breuer, Marianne Glaßer, Matthias Kehle, Frank Milautzcki, Jörg Neugebauer, Andreas Noga , Gisela Noy, Christa Wißkirchen, Gerrit Wustmann oder Maximilian Zander, um nur einige Namen zu nennen, versammelte der Herausgeber Peter Ettl bis Ende 2011 einen illustren Kreis von LyrikerInnen um sich, die in den weißgrundierten Leseheften in einem durchgehend spartanisch-ästhetischen Konzept, Eindrücke ihrer lyrischen Arbeit präsentierten. Den Abschluß der Sammlung, wenn auch nicht unbedingt einen krönenden, bildete - mit dem siebenundzwanzigsten Band - Gerd Sonntag mit dem Titel „Giovanni Santi malt eine Fliege“. Mit seinen teils melancholischen, teils komischen Gedichten, deren Charakter von leicht resümeehafter Abgeklärtheit durchdrungen scheint, mochte er möglicherweise einen sinnigen, wenn auch eher bescheidenen Abschluß der Reihe bilden.
Den größten Teil der dreißig Texte, deren Lakonie einen gewissen Spaß bringt, die bei näherem Hinschauen aber einen unangenehmen Oberlehrerton entwickeln, bilden assoziierende, meditierende Verse über historische Personen und Unpersonen wie Giovanni Santi, Friedrich Nietzsche, Giorgione, Hitler, Charles Foster Kane, Buster Keaton, Elisabeth I von England. Jedoch weiß ich nicht, was mich trauriger macht bei diesem Lyrikband: die Gedichte oder der Autor selber. Ich sehe einen bildungsbeflissenen Dichter bei der Arbeit, wie er sein Dasein abklopft, wie er seine Einsichten zwischen Garten und Gemälde, zwischen Poetik und Pubertät kundtut. Die Nebensächlichkeiten, die Randerscheinungen werden unter die Lupe genommen, das soll dann schon im Umschlagbild durch die riesige Fleischfliege ausgedrückt werden. „Aber es reicht nicht zu glauben“, so Ulrich Koch in seinem ausführlichen, gutwilligen Nachwort, „ein wenig Sonntag zu werden reiche aus. Diese Gedichte fordern ihre Leser heraus, verlangen ihre Mündigkeit. Denn hier ist ein Dichter, der der Sprache so weit vertraut, daß er sich traut, sich zurückzuziehen aus ihr (…)“ (Seite 36) – Dies ist nicht nur unfreiwillig komisch und ein wenig dick aufgetragen und bemüht, nein, man fragt sich obendrein noch, warum das Heftchen auch noch ein vierseitiges Nachwort braucht. Mag es auch überinterpretiert sein, so ist es doch immerhin ein bezeichnender Zufall, daß die Initialien Giovanni Santi und Gerd Sonntag die gleichen sind. Der Band hätte wahrscheinlich ebensogut „Albrecht Dürer malt eine Libelle“ oder „Pablo Picasso malt eine Taube“ heißen können. Offen gesagt, viel kann ich nicht anfangen mit dem Buch. Die Gedichte sind alle irgendwie solide, aber sie berühren mich nicht, sie sind handwerklich gekonnt und in den freirhythmischen Strophen unaufgeregt gestaltet, aber mir fehlt das Visionäre oder das Konzeptionelle oder das Pathos. Es ist fast eine Art resignierender Abriß des poetischen Schaffens des Bibliothekars Gerd Sonntag, der schon gehaltvollere Werke vorgelegt hat, wenn sie auch bedauerlicherweise im Wiesenburg Verlag erschienen sind. Und es hat etwas trauriges, wie im Klappentext die Meriten des Verfassers des Nachworts die des eigentlichen Autors abhängen. Am stärksten sind die Gedichte, wenn sie in ihrer Melancholie bleiben. Wenn sie sich nicht in Bescheidenheit kleidend protestierend oder komisch sein wollen. Obwohl, einmal klappt der Humor ganz gut, im Gedicht „Der Unterschied zwischen Genie und Wahnsinn ist exorbitant“ (Seite 9):
„25 Personen sagen, des Menschen höchstes Ziel sei,
Nietzsche zu werden. Ihr Anführer ist Nietzsche.
625 Personen behaupten, sie seien Nietzsche,
am lautesten Nietzsche selbst.
15.625 Personen brüllen, sie seien bedeutender
Als Nietzsche. Eine dieser Personen ist Nietzsche.
390.625 Personen zwingen Nietzsche,
seine Exkremente zu essen, verantwortlich ist Nietzsche.
Die Zahl jener, die Nietzsche zur Zeit beschäftigt,
ist nicht bekannt.“
Das war schon zum Lachen. Aber trotzdem befällt einen da quasi flankierend so ein Phantomschmerz, ein Verdacht von Bildungsbürgerressentiment, welcher in der Folge tatsächlich kontinuierlich sich steigert bei Texten wie „Kim und Jan trennen sich für immer“ (Seite 21) oder „Harte Männer mit Mädchenfrisuren“ (Seite 13), wo es fortsetzend heißt: „und alle bieten ihr zu rauchen an. // Einer öffnet die Montur, / vernarbt von Reißverschlüssen, // und zeigt den Indianerpfeil, / indigo und ganz der ihre, // ein tränendes Infarktherz treffend. / Späteres Tattoo: // Frau, die ihre Lippen malt, / bevor sie Lust zu rauchen hat, // die des Nieten-Mannes Los, / eine Kippe seiner Packung zieht.“
Das klingt bei einem Dichter (- erschreckenderweise bei einem meiner Generation -) wie die Einsichten eines Rentners, der Tag für Tag mit einem Kissen unter dem Ellbogen besserwisserisch am Fenster steht. Dazu passen auch diese Gartenpoeme wie „Sonntag, 7:15“ (sic!): Salat im Sonnenaufgang sieht frischer aus. / Der kleine Hund, der uns alle lächerlich macht. / Wenn das Vogelgezwitscher nicht wäre, / hätte Gott auch morgens keinen Stil.//“
Die stärkste Phase des Lyrikbandes befindet sich zwischen den Seiten 17 und 20. Hier reihen sich die vier Meeresgedichte „Aquarium“, „Ein halber Angler“, „Die unbefriedigte See“ und „Nordsee“ aneinander, am eindrucksvollsten dabei das Gedicht „Aquarium“ (Seite 17): Ein Quader Tiefsee, grün und erleuchtet, / ein Leben ohne Haken und Angeln, // friedlich und still, unter den Augen / eines glasigen Gottes. Es gibt nichts // zu sagen. Nur hin und wieder Wirbel, / oberflächig, ein wenig Klavier, // Ehrlich gesagt wäre ich froh gewesen, Gerd Sonntag hätte nur diese Tetralogie des Meeres als Einzelband veröffentlicht, von mir aus mit einem dreißigseitigen Nachwort von Ulrich Koch. Denn danach wird es wieder vertraut unangenehm mit so absolutistischen, hybriden Gedichtüberschriften wie „Gott“ (Seite 32) oder „Nach den Gedichten“ (Seite 30) Es ist etwas anderes, wenn etwa Durs Grünbein mal einen Lyrikband mit „Nach den Satiren“ übertitelt, dazumal dort noch mehrere Ebenen mitschwingen, aber „Nach den Gedichten“ zu titulieren hat schon etwas verräterisch philiströses, obwohl Selbstironie wohl gemeint war, wenn es heißt: „Das halbe Leben mit Ihnen zugebracht, Ihren / verqueren Metaphern, bröckelnden Enjambements, // Echolalien, die wer weiß wen nachäfften, / eventuell mich. Schweigen Sie weiter, nur zu.“ Mache ich nicht.
Exklusivbeitrag
Gerd Sonntag, „Giovanni Santi malt eine Fliege“ - Gedichte. Mit einem Nachwort von Ulrich Koch. Lyrikreihe Silver Horse Edition, Marklkofen, Dezember 2011. ISBN 978-3-937037-47-9. 6,80 Euro