Strähne Zeit

Gedichte

Autor:
Gunther Klosinski
Besprechung:
Barbara Zeizinger
 

Gedichte

Zeilensprung in Suchbewegung. Gunther Klosinskis Lyrikband „Strähne Zeit“

03.07.2012 |  Hamburg

In den meisten der 140 Gedichte, die uns Gunther Klosinski in seinem zweiten Lyrikband vorstellt, beschränkt sich der Autor auf das Wesentliche, geizt mit Worten und greift dennoch Themen auf, die sich einem schnellen Zugriff entziehen. Sehr kurze Zeilen – oft nur ein Wort - verbunden mit ausgeprägten Enjambements heben in den Texten das eben Gesagte oft unmittelbar wieder auf. „Zeitzeuge sein“ lautet der Titel eines Gedichts und diesen Anspruch könnte man auf den gesamten Band beziehen, denn als Kinder und Jugendpsychiater kennt der 1945 geborene Autor vielfältige Facetten des menschlichen Zusammenlebens, die er in seinen Texten schonungslos analysiert. Dennoch verharrt er nicht im Negativen, sondern will „Die Unendlichkeit / Der Träume“ erhalten.

Zeit also ist eines der großen Themen. So heißt es beispielsweise „Es war die Zeit / Wo man Türen aufstieß / Und leere Räume verschwieg // Es war die Stunde / Der Augenblicke“. Es gibt „Eine Spanne Zeit“, „Eine Handvoll Zeit“ und in dem Gedicht „Zeitzeuge sein“ heißt es: „Dein Lebenszeitkonto / Einrichten ausbuchen / Überbuchen abbuchen / Um dann ein / Zeitraubfahnder / Werden wollen“.

Um auf dieses begrenzte Lebenszeitkonto das Richtige einzahlen zu können, ist es wichtig, ein authentisches Leben zu führen, das heißt für Gunther Klosinski sich mit der eigenen Identität, mit der eigenen Seele zu befassen. „Ich und ich / Vergaßen / Dass wir Brüder sind“. In einem der schönsten Gedichte „Begegnung“ schreibt er „Ich bin mir mal begegnet / Ganz unauffällig und leis / Es hatte gerade geregnet / Getröpfelt / soviel ich noch weiß“.

Zu der Frage „Nach Dir selbst“ gehört für Klosinski immer auch die Auseinandersetzung mit einem Du, das er in all seinen Gedichten stets groß schreibt. „Dich so zu sehen / Wie Dich Gott gemeint hat“, sagt er in „Geschenk“ und dies ist ein Beispiel dafür, dass der Autor seine Themen auch in einem religiösen Kontext sieht und diesen durchaus in sein Vokabular einbezieht, auch wenn er von sehr weltlichen politischen Themen spricht. Da gibt es die „Fürbitte“ „Um Gnade / Die aufhilft / Zu verstehen / Dass andere / Anders denken / Anders glauben“ und ein „Mutterunser“, in dem der Raubbau an der Erde beklagt wird. Es gibt aber auch die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Religion, mit einem Gott, „Der Sodom und Gomorrha / Hiroschima und Auschwitz / Nicht verhindern wollte / oder nicht verhindern kann“.

„Der Reigen von Sein / Und Nichtsein“, Liebe und Tod, Sprechen und Schweigen: Klosinski greift große Themen auf. Oft benutzt er das Bild eines Kreises. Da „Blühen die Wurzeln / Im Kreis“ oder es gibt einen „Kreuzzug / Gegen das Runde / Im Kreis“ und auch für den Leser ist Klosinskis Lyrik eine Art Rundweg, auf dem ihm bestimmte Themen immer wieder begegnen. Die Sprecherrolle in den Gedichten ist allerdings recht unterschiedlich. Manchmal spricht ein Ich, ein Er, häufiger ein Du und teilweise heißt es lapidar es war, es schweigt. Die meisten Texte verzichten aber auf ein sprechendes Personalpronomen, sondern setzten direkt mit einer Feststellung, einer Beschreibung ein. „Auf den Hinterhöfen / Altverwarteter Tage / Liegen aufgebrochene / Räume“. Damit hängt zusammen, dass Klosinski häufig Infinitive benutzt und diese teilweise so aneinander reiht, dass sie scheinbar einen appellativen Charakter annehmen, auch wenn sie anschließend wieder hinterfragt werden.

Der Autor will nicht belehren, sondern Augen und Sinne für neue Überlegungen öffnen. Wegen der vielen Zeilenbrüche, die nicht durchgehend überzeugen, und weil einzelne Worte, wenn sie allein stehen, sehr gewichtig sind, sollte man die Gedichte nicht auf einmal lesen, sondern sie „Suchen / Entdecken / Verlieren / Wieder finden“.


Exklusivbeitrag

Gunther Klosinski, Strähne Zeit, Gedichte. Mit einer Einführung von Karl-Josef Kuschel. Klöpfer&Meyer, 2012, 18 €