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Sachbuch
Jenseits des bloßen Glaubens
16.07.2012 | Hamburg
Georges Bataille ist einer der provokantesten Denker und Autoren des 20. Jahrhunderts. Grenzen konnte er nichts abgewinnen, wiewohl mit Ordnung als Archivar und Bibliothekar an der Bibliothèque nationale de France gewiß vertraut. Doch gerade darum führte er diese ad absurdum, sei’s durch Mikrologie, sei’s durch eine Faszination für Anordnungen, wie sie Lingchi (und man sollte dem wie auch dem Link nur nachgehen, wenn man sich ganz sicher ist…) offenlegt, sei’s aber auch durch ihre Mißachtung im Flanieren zwischen Stilen und Themen – als Schriftsteller, der dekadente und erotische Prosa publizierte, sich als Herausgeber betätigte, aber auf oft höchstem Niveau auch als Politologe, Ökonom, Soziologe, Anthropologe sowie (a-)theologischer Philosoph dilettierte.
Inbegriff der Spannung zwischen Ordnung und ihrem Widerpart ist die Theologie mit ihren Spannungen, in ihrer oft eingemahnten Vernunft, die man aber auch beanstanden kann („nur eine Sprache der Vernunft” sei, was das Christentum kenne, so Bataille andernorts), in ihrer Schönheit oder Nur-Schönheit… Bataille, der eine atheologische Summa wider jene theologische Thomas von Aquins verfaßte, genauer: drei seiner Werke unter diesen herausfordernden Titel stellte, beschäftigte sich also nicht überraschend intensiv mit Gott.
Dabei ist Bataille von Anfang an experimentell – eine Wohltat inmitten Gläubiger oder aber Atheisten, die letztlich nicht minder dogmatisch sind. Doch von einer „Baustelle” geht Bataille aus, von Beweglichkeit, von möglichen Begriffskombinationen und -spielen, dem Sinn, der sich oder anders ergibt, vielleicht aber eben auch nicht. Was aber rasch klar wird, das ist: Begriffsarbeit kann nicht helfen. In Hegels und Nietzsches Folge wird die Aneignung, der Arbeit zuzurechnen ist, zur Komplizin der schlechten Unendlichkeit, zur Anti-Transzendenz, zum Nicht-Unternehmen. Dagegen stünde, „Wasser im Wasser” zu sein, concreatio, notfalls der Tod, auch wenn letzte Fragen, der vermeintliche Adel des Kriegers und das Menschenopfer zwar lustvoll, doch durchaus nicht fatalistisch behandelt werden. Alles ist eine unendliche Unternehmung, so auch das Buch, das wie das Œuvre Batailles dringend wieder vermehrter Lektüre bedürfte. Erste Ansätze einer Renaissance bestehen, verwiesen sei auf Artur Boelderl, der sich mit eigenen Texten, aber auch als Unternehmer(!) einer Konferenz jüngst um den französischen Denker der Extreme verdient machte.
Also sei das Buch wie das von Matthes&Seitz bzw. Gerd Bergfleth im deutschsprachigen Raum gut betreute Werk insgesamt dem Leser ans Herz gelegt – am besten: ans ein wenig geschundene. Tolle lege!
Exklusivbeitrag
Georges Bataille: Theorie der Religion 245 Seiten,aus dem Französischen übersetzt von Andreas Knop. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gerd Bergfleth ISBN: 978-3-88221-277-8 Preis: 23,00 € Matthes und Seitz, Berlin 1997