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Ausgewählte Gedichte. Zweisprachig
Loose and baggy monsters
30.09.2012 | Hamburg
Wenn die Übersetzung eines Gedichts einen mindestens genauso harten Kampf um das richtige Wort bedeutet wie das Verfassen des Gedichts selbst – ist der Rezensent dann angehalten besonders rücksichtsvoll oder besonders pingelig zu lesen und zu urteilen? Wirklich sicher bin ich mir in dieser Frage nicht. Aber ich weiß, dass ich zunächst keine Lust habe weiterzulesen, wenn in einem durchaus zarten Liebesgedicht das englische panties mit Schlüpfer übersetzt wird. Denn Peter Gizzis Zeilen, die einfaches Glück bedeuten (Lines Depicting Simple Happiness) sind bis zu diesem Fauxpas durchaus sinnlich und auf angenehmste Weise einlullend. Im Original mehr, als in der sonst annehmbaren Übersetzung, weswegen hier aus dem Englischen zitiert werden soll:
„The shine of her buckle took precedence in the sun / Her shine, I should say, could take me anywhere / It feels right to be up this close tight wind / It feels right to notice all the shiny things about you / About you there is nothing I wouldn’t want to know / With you nothing is simple yet nothing is simpler […] I think of proofs and grammar, vowel sounds, like / A is for knee socks, E is for panties / I is for buttondown, O the blouse you wear / U is for hair clip, and Y your tight skirt”
Nun mag man einwenden, dass diese Betrachtungsweise tatsächlich etwas pedantisch erscheint, wenn man bedenkt, wie unbeholfen und ungelenk diese Schulhofliebe – Kniestrümpfe, Zahn- und Haarspangen weisen sie als solche aus – sein kann. Vielleicht ist der kindlich-unerotische Schlüpfer deshalb angebrachter, als der Slip der jungen Mädchen und Frauen? Ich bin mir nicht sicher. Aber leider ist der Schlüpfer nicht der einzige Schnitzer in den von Christian Lux, Daniela Seel und anderen Lyrikern besorgten Übersetzungen von Peter Gizzis Gedichten. Diese liegen nun erstmals auf Deutsch in dem Auswahlband totsein ist gut in Amerika im Verlag luxbooks vor.
Sowohl der Titel als auch das Cover versprechen in ihrer schmissigen Aufmachung etwas, das der Band zum Glück nicht halten kann: politische Gedichte voller Kapitalismuskritik. Nein, in Gizzis Texten geht es eher um das Erinnern, um die assoziative Rekonstruktion von Situationen mit Erfahrungswert. So zum Beispiel das coming-of-age-Gedicht Stung (Stich), das sehr balanciert zwischen Wehmut und Reflexion pendelt, jedoch, wie einige andere Texte Gizzis, etwas zu verkopft enden.
„To be and not to understand. / To understand nothing / and be content / to watch light against / leaf-shadowed ground. / To accept the ground. / To go to it as a question. / To open up the day inside the day, / a bubble holding air / bending the vista to it. / To be inside this thing, / outside in the grass place, / out in the day / inside another thing.”
In der durchaus guten Übersetzung von Daniela Seel werden diese Verse auch nicht klarer. Allerdings muss man die Übersetzer auch ein stückweit in Schutz nehmen, denn Gizzis Texte machen es ihnen nicht immer leicht. Mit ihren zahlreichen Assoziationen, die mitunter zu harten Schnitten auch innerhalb einer Strophe führen, wirken die vielen Langgedichte nicht selten wie „loose and baggy monsters“. Und obwohl das Henry James‘ Bezeichnung für die Romane des 19. Jahrhunderts war, ist sie doch ziemlich zutreffend. Man könnte jedoch auch mit Volker Sielaff sprechen und die Texte schlicht als Bewusstseinsströme bezeichnen, die nicht selten nur die Robert-Gernhardtsche Minimalanforderung an Lyrik erfüllen: „links bündig, rechts flatternd.“
Ansprechender werden Gizzis Gedichte immer dann, wenn sie kompakter und dadurch fast zwangsläufig mit mehr Formwillen auftreten. So zum Beispiel die Perlen des Bandes In Defense of Nothing (Zur Verteidigung von nichts) und It was raining in Delft (Es regnete in Delft). Hier denkt der Autor von der Oberfläche her über Hintergründe nach und illustriert seinen Gedankengang mit wenigen Worten. Fast so, als male er eine idyllische Landschaft mit erst auf den zweiten Blick erkennbarem, aufziehendem Sturm. Ebenfalls stilsicher präsentiert sich Gizzi in seinen „Songs“, Plain Song (Flächiges Lied) und Reverse Song (Kehrlied), die den Leser in ihrem melodischen Charakter mit den formlosen Monstern versöhnt.
Exklusivbeitrag
Peter Gizzi: Totsein ist gut in Amerika. Ausgewählte Gedichte. Zweisprachig. Übersetzt von Sylvia Geist, Christian Lux & Daniela Seel. Mit Übersetzungen von Andreas Bülhoff, Simone Kornappel & Jan Skudlarek. Mit einem Nachwort von Marjorie Perloff.
ISBN: 978-3-939557-43-2 24.- € luxbooks, Wiesbaden 2012