POP

Kultur und Kritik

Autor:
Hrsg: u.a. Moritz Baßler Thomas Hecken
Besprechung:
Kristoffer Cornils
 

Kultur und Kritik

Gekommen um zu bleiben

16.10.2012 | Hamburg

Was ist eigentlich der Status Quo im Printbereich: Wo wird sich dezidiert mit Pop und Populärkultur auseinandergesetzt? Neben der renommierten testcard gibt es nur einige wenige Magazine, die sich in einem größeren Umfang ernsthaft popkulturellen Themen widmen. Selbst die ein- oder zweimonatlich erscheinenden Zeitschriften, durch ihre Bindung an tagesaktuelle Themen und ihre Platzbegrenzung keine passenden Medien für wirklich profunde oder gar überblickende Analysen, tragen ihre Mission auch nur subtil auf dem Cover. Die spex nennt sich im Untertitel noch etwas stockig Magazin für Popkultur, die de:bug zieht sich auf ein diplomatisches Elektronische Lebensaspekte. Musik, Medien, Kultur & Selbstbeherrschung zurück.

Das sieht anders aus bei einem neuen, im [transcript] Verlag herausgegebenen Magazin. POP prangt groß auf dem Cover, daneben, etwas verhaltener: Kultur & Kritik. Schräg rechts darunter starrt sich die Ikonografie der Popkultur selbst ins Antlitz: Der als Superman verkleidete, mittelalte Schwarze dürfte sich in der Plastikfolie der DVD, die er so konzentriert studiert, spiegeln. Transparent gemachter Narzissmus anno Post-Moderne, natürlich von einem dezenten Pink eingerahmt. Die Hauptthemen Serialität, Morrissey und Hebdige, Popkonzepte, Energie und Depression, Lady Gaga werden dann wieder von einem eher klassischen Font angekündigt. Der Fall ist klar. Bubblegum, mal (wieder) ernst genommen.

Auf den ersten Blick scheint sich diese neue, halbjährlich erscheinende Zeitschrift auf die Fahnen geschrieben zu haben: Durch den semiologischen Urwald der Gegenwart kann man nur mit coolem Wissen navigieren – wir kennen die Codes, wir werden euch also auch geleiten. Ein um die Ecke gedachter Aplomb, ein Skandälchen im Subtext: Diese Pop-Zeitschrift  http://www.pop-zeitschrift.de/macht tendenziell nichts Neues, verspricht aber mehr zu liefern als die Konkurrenz.

Nur logisch, dass auch die eigene Rolle reflektiert wird, zur ersten Ausgabe der Standpunkt erläutert wird: „Die Wissenschaft, die Pop-Gegenstände betrachtet, braucht keine Pop-Wissenschaft zu sein“, stellt Mitherausgeber Thomas Hecken in einem seiner Essays – drei Mal ist er insgesamt im Magazin vertreten – fest. Dass das keine neue Erkenntnis ist, dürfte klar sein, dass die Wissenschaft sich schon mit populärer Kultur auseinandergesetzt hat, davon zeugen die Literaturlisten, die einige der hier versammelten Essays und Forschungsbeiträge abschließen.

Es noch mal zu betonen ist aber nur im Sinne des Magazins, das sich zum Auftakt ein Profil erarbeiten will. Das Peer-Review-Verfahren, das alle Beiträge durchlaufen, ist nicht nur als qualitätssichernde, sondern auch identitätsstiftende Maßnahme zu verstehen. Angenehmerweise stört auch keine Werbung, die die Skepsis auslösen könnte, hier würden die Kritiken aus der Anzeigenabteilung stammen. Die halbseitige Reklame auf Seite drei gibt es eben nicht. Dafür jedoch eine Menge ausgewählter Collagen, die sich, als würden sie eben diese Tatsache reflektieren wollen, hauptsächlich mit der Ästhetik der Werbung auseinandersetzen.

Sowieso heißt Popkultur hier auch: Politik und nicht zuletzt Finanzwelt. Das ist nur folgerichtig, denn Pop ist ohne Kommerz gar nicht denkbar. Urs Stäheli deckt in Occupy Populism sogar auf, welches Potenzial in der Occupy-Wall-Street-Bewegung steckt. Und Wolfgang Ulrich baut gleich eine Brücke von den medialen Metaphern und derer Suggestivkraft zu unserem Selbst- und Körperverständnis. „Nun ist jeder Einzelne von Energieknappheit betroffen“, heißt es in Zu viel Energie hinsichtlich dessen, was uns von den Medien vorgekaut wird: Dass wir uns in einer zwanghaften Selbstoptimierung vermeintlich nur dann richtig kalibrieren können, wenn wir die richtigen Mittelchen in der korrekten Dosis anwenden. Eine schlagende Einsicht. Ihr folgt, als Kontrapunkt im roten Faden sozusagen, Georg Seeßlens unprätentiöse, aber scharfsinnige Analyse des Hypes um Feelgood Movies. Die erheben in der Nachfolge von Kitschfilmen Menschlichkeit zur Message, verkaufen sie aber auch als Produkt.

Der kalauerhafte Titel Bernhard Pörksens folgendem Aufsatz, Die Angst des Geisteswissenschaftlers vor den Medien, findet auf rund 170 Seiten keine Bestätigung. Kredit und Krise und Kriegsbilder und Kommentar (Hecken) werden ebenso selbstverständlich aufgedröselt wie der Konsumrealismus und die paralogischen Pop-Potenziale (Heinz Drügh/Moritz Baßler) in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, der Trend zur ethisch vertretbaren beziehungsweise grünen Mode (Elke Gaugele) oder die Logik der auf Youtube kursierenden „Let’s Play“-Videos, in denen mit entwaffnender Naivität und vorgespielter Kuhäugigkeit Videospiele kommentiert werden (Jochen Venus).

Die Arbeiten variieren zwischen diachronen und synchronen Betrachtungsweisen, gehen mal straffer, mal eher im Plauderton, immer aber heuristisch aufs Ziel zu. Bestes Beispiel für eine ebenso leicht goutierbare wie brillante Glosse: Ausgehend davon, dass er Schelte bekommen hat, den Begriff Hypnagogic Pop angeblich überstrapaziert zu haben, hält Aram Lintzel der Krittelei eine Definition entgegen, die die Zuschreibung nicht als abgeschmacktes Modewort betrachtet, sondern davon ausgehend einen Gesamttrend der Gegenwartsmusik identifiziert. Sowieso: Um Definitionen wird sich bemüht, Diskussionsgrundlage soll geschaffen werden. Umfassender als Lintzels vierseitiger Aufsatz das hätte tun können, versucht sich Thomas Hecken daran, die Pop-Konzepte der Gegenwart zusammenzufassen.

Was sich ebenfalls immer wieder herauskristallisiert ist das Thema des Materials, der Materialästhetik – Plastik ist passé, an seine Stelle sind andere Oberflächen getreten. Die werden abgetastet, abgeklopft und untergraben. Kritik steht bei dieser Zeitschrift eben nicht grundlos im Untertitel. Die wird auch gerne gegen das Feuilleton abgefeuert: Marcus S. Kleiner und Nadja Geer nehmen einen vom männlichen Blick geprägten Musikjournalismus aufs Korn und gehen auch mit den „Konformistinnen des Andersseins“ nicht zimperlich um.

Etwas persönlicher wird es an anderer Stelle: Dick Hebdiges Essay über sein Verhältnis zu Morrissey, dessen Fankult in Lateinamerika und die interkulturell statt findenden musikalischen Einflussnahmen der Kulturen und Ethnien aufeinander endet auf einer versöhnlichen Note und liest sich als flammendes Plädoyer für einen interkulturellen Austausch. Leicht und flüssig erzählt, substantiell aber eher mangelhaft. Vielleicht ein Unterschied zwischen angelsächsischer und deutscher journalistischer beziehungsweise popkritischer Diskussion? Vielleicht.

Denn wie Moritz Baßler in seiner Kritik an Simon Reynolds gehyptem Buch Retromania, das in Kürze im Ventil Verlag auch auf Deutsch erscheinen wird, klar macht, fehlt es auch diesem an fundierten Thesen und Argumenten. Und das, obwohl dessen roh skizzierte Thesen – unterfüttert von unterhaltsamem Parlando und mit einer beeindruckenden Weitsicht und profundem musikhistorischen Wissen gefüllt – schon fast als unumstößlich gelten. Endlich eine Kritik an diesem Werk, das überschnell als kanonisch deklariert wurde. Nicht ganz zu Recht, wie Baßler meint und auf Joshua Clover  verweist, der sich mit 1989. Bob Dylan Didn’t Have This To Sing About einem ähnlichen Thema von anderer Seite gewidmet hat und überzeugender argumentiert habe als Reynolds.

Abgerundet werden die Aufsätze aus den beiden Kapiteln Zur Zeit und Essays noch von den ausgedehnten Präsentationen von Forschungsbeiträgen.  Ruth Mayer untersucht – womit könnte man die erste Ausgabe einer regelmäßig erscheinenden Zeitschrift auch besser bestücken – Die Logik der Serie anhand von Figuren wie Fu Manchu und Fantômas. Christian Metz wirft einen Blick auf Lady Gagas Gesamtästhetik, ihren  Twitterauftritt und wie sie feministische Theorien nachahmt und (re-)inszeniert. Eine sachkundige, überlegte Ergänzung zu der ermüdenden Feuilletondiskussion, die nie tief in die Materie eindrang, lediglich Stifterfiguren zitierte und Authentizität verhandelte. Beides sehr vielversprechende Beiträge, deren Relevanz nicht allein durch die Popularität ihrer Gegenstände gerechtfertigt ist. Und siehe da: Kulturwissenschaft, die Spaß macht, die Pop-Gegenstände untersucht und doch keine Pop-Wissenschaft ist.

Pörksen fordert: „Mediale Anschlussfähigkeit verlangt gerade von Geisteswissenschaftlern, dass sie den Eros einer nie endenden Erkenntnissuche mit journalistischem Tempo, verbindlichen Deadlines und sprachlicher Klarheit kombinieren. Geisteswissenschaftler müssen lernen, sich als Spezialisten für das Allgemeine zu begreifen, als Ideengeber, die produktiv irritieren, weil sie stets perspektivische Alternativen bereithalten“, sie seien „also auch in eigener Sache Dolmetscher des Denkens“. Besser hätte man die Schwierigkeiten, aber auch den Selbstanspruch, die Ziele und das Potenzial dieses neu gegründeten Magazins nicht zusammenfassen können.

Wenn sich die conditio humana der Digital Natives nur schwammig in den Clouds abzeichnet, brauchen wir solche Magazine vielleicht mehr denn je. Wo sind wir hier, was zur Hölle machen wir und wo wir gerade dabei sind: Wer sind wir überhaupt? Die Pop. Kultur und Kritik geht eben diesen Fragen nach und bietet zwar keine vorschnellen Antworten, aber Möglichkeiten, Potenziale und Ausgangspunkte, kurz gesagt: Impulse. Diese Pop-Zeitschrift, ja, sie ist gekommen um zu bleiben.


Exklusivbeitrag

Thomas Hecken et al. (Hrsg.): Pop. Kultur und Kritik. Heft 1. ISBN: 978-3-8376-2153-2. 16,80€. [transcript] Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, Bielefeld 2012.