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Münchner Literaturzeitschrift
Knapp vor Jubiläum
30.10.2012 | Hamburg
Der Münchner Literaturzeitschrift außer.dem stehen im nächsten Jahr zwei Jubiläen ins Haus, namentlich die zwanzigste Ausgabe und der fünfzehnte Jahrgang. Umso angebrachter scheint es, schon jetzt grundsätzlich und punktuell etwas zu sagen, auf dass der in der Kulturindustrie so seltsam wuchernde Wirbel um Zahlen, die durch fünf und besser noch durch zehn glatt teilbar sind, nicht den Jubilar überstrahlt und da Überbelichtung einbricht, wo Schärfe angebracht ist. Die von Angelika Kauderer, Gabriele Kunkel und Hartmut Netz begründete und inzwischen von Christel und Armin Steigenberger, sowie Michaela Busenkell und Thomas Steiner herausgegebene Zeitschrift zählt zu jener recht überschaubaren Menge literarisch progressiver Qualitätsprodukte, die in München entstehen. Insofern muss man nicht von der nördlichsten Literaturzeitschrift Italiens sprechen, um der außer.dem die Sonderstellung einzuräumen, die sich die Stadt München gerne entlang ihres Sehnsuchtsvektors zuschreibt.
Die gerade erschienene, 19. Ausgabe der außer.dem versammelt Gedichte von Nina Neugebauer, Peter Kapp, Christine Kappe, Achim Höh, OZ, Natalia Carvajal, Hartwig Mauritz, Dominik Dombrowski, Lutz Steinbrück, Maik Lippert, Caroline Hartge, Theresa Klesper, Sabine Eva Rädisch, Martin Jerg Raiser und Jennifer de Negri, sowie Prosabeiträge von Constantin Göttfert, Hartmut Abendschein, Gregor Szyndler, Thomas Josef Wehlim, Katharina Bendixen, Jörg Neugebauer, Michael Helming und Rupprecht Mayer. Abseits dieser gattungspoetischen Wasserscheide aber sei gesagt, dass sowohl Lyrik als auch Prosa dem experimentellen Skopus der Zeitschrift gerecht werden, und sich von gerade keiner Erwartungshaltung gängeln lassen.
Das bewährt sich vor allem in der Kürze der Form, in der sich die Texte auf die Tragfähigkeit eines einzigen, konzisen Metaphernkomplexes verlassen; oft genug gelingt es, dass das Bildrepertoire nicht nur griffig ist, sondern auch durchgreift. Constantin Göttfert bietet etwa eine Oblomow-Geschichte der Erschöpfung aus Müdigkeit, Imperative der Tatenlosigkeit, während auf der Bettdecke, zu der sich der Kosmos zusammengezogen hat, die Fliegen dafür sorgen, dass die Welt sich weiterdreht zwischen Geburt und Tod. Das Ich, das sich in Katatonie und Stupor wie in eine Meditationsübung hineinbegibt, blickt schließlich wie ein Schöpfergott über den Mikrokosmos, den die Regungslosigkeit zulässt: da „fand ich, dass es gut war.“ Wie die metaphorische Spannweite von Lyrik in Kurzprosa Einzug hält, zeigt auch Jörg Neugebauers winterreisender Miniatur „Ich ging, es war ein stürmischer Tag“. Vergleichbar, wenn auch leichtverdaulicher erzählt, geht da Gregor Szyndler zu Werk, der einen Schönheitschirurgen in eine Geschichte mit Hamster jagt und den Grat auslotet, an dem sich die Sehnsucht nach dem Entspannungsfaktor des Hamsterrades mit der Furcht vor einer zu direkt umlegbaren Analogie von Hamster auf Mensch mischt.
Ausufernd hingegen geben sich die Skizzen und Notate, die Hartmut Abendschein unter dem Titel „Heliosis, oder: Vom (Un)Trost einer Literaturgeschichte als Klimageschichte“ zusammengetragen hat. Sie überschreiten immer wieder die Grenze von der experimentellen Prosa zur Aphoristik (den Garten der Aphoristik, man weiß es, bewachen scharfe Hunde, die in der Kürze des Ausdrucks nicht weit zu laufen haben, und mancher von Abendscheins Sätzen wird durchaus gebissen), entpuppen sich aber als sehr klar konturierte Figurenrede. Damit ist ein Trichter geöffnet: Figurenrede einer Figurenrede einer Selbstauslegung im Generalkommentar zur Literaturgeschichte: um sich wieder als Szenenfolge einer Geschichte einzupuppen. Wäre der performative Schub des Textes nicht groß, würde er wohl unter seinem exzessiven Kunstwollen erdrückt.
Der Ton der in der außer.dem 19 versammelten Lyrik hat eine feine und bittere Note, nicht nur wenn man sie auf die richtige Stelle auf der Zunge bewegt, und richtet einen kritischen, skeptischen Blick auf die Gegenwart – nichts von agitatorischem Protest, sondern selbstbewusst beobachtende Opposition. So heißt es über die frauengestaltigen Blütenträume bei Peter Kapp: „Schaumkronen, rostige / Roboter und jede Menge Jugendstildarlings / von Mucha.“ und Lutz Steinbrück stellt entlang der wiederkäuenden Wiederkehr des Immergleichen den grausigen, aber virtuos vergegenwärtigten Befund, „das eine Massentier für Alle“, dass auch unsere eigene Lebensform zur Massentierhaltung tendiert. Für stillgelegte Natur (was noch nicht Stadt heißen muss) finden sich vielerlei Bilder, auch durchschlagende, eindringliche, wie die „beschäftigte Landschaft“ (Sabine Eva Rädisch), anderorts (bei Martin Jerg Raiser) ist„die gegend verplompt“.Christine Kappe forscht nach den Abstufungen im Schwarzweißen, wie im Grunde auchHartwig Mauritz im bedrückend direkten „soldatenfoto“. Bei Dominik Dombrowski schließlich „kommen die Clowns / immer verläßlich kurz vor / den Totengräbern“.
Dichtung der Unruhe also (die mit einer gewissen selbstquälerischen Hingabe an der Welt hängt; und man denkt an die schönen Worte Wilhelm Müllers „Keiner Dichtungsart liegt es mehr ob als der lyrischen, zeitgemäß zu sein.“) In einem anderen Gedicht als dem oben zitierten bringt es Peter Kapp auf eine knappe poetologische Formel: „Letztlich ging es / nur um das eine: Wie Alltag und Unsinn zu Poesie werden / können.“ Das gibt zu denken. Das ist genau die Richtung der argen Frage; der Finger des ungläubigen Thomas geht auch in diese Richtung. Hier scheint das Projekt der Romantisierung, dass poetisch machen will, was nicht poetisch ist, durch mehrere Ernüchterungsstufen hindurchgegangen. Zuweilen scheint die Dringlichkeit der Lyrik hier starre Augen zu bekommen, einen Hang zum Amok. Denn was Poesie ist, das wird uns hoffentlich niemand beantworten können (dann wären wir nämlich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle). Warum die Poesie aber das schwere Joch auf sich nehmen muss, den Alltag aus dem Alltäglichen, den Unsinn aus dem Unsinnigen zu ziehen, das wüsste ich schon gerne.
Bin wichtiger Bestandteil der Zeitschrift sind Layout und Illustration, die Julia Wörle beigesteuert hat. Die Bildelemente lagern sich nicht rund um die Texte ab, sondern bilden ihren Untergrund, und schaffen, indem sie die ganze Seite vereinnahmen, zugleich Unterlage, Fundament und Nährboden. Leitmotivisch eng bezogen ist der Hauptbildspender der Illustrationen das Gewebe aus Stoff – textum, eineiiger Namensvetter des geschriebenen Wortes. Die enge Verwandtschaft entfesselt ihre Haptik, wie es billig ist, aber nicht nur als Wortspiel, sondern auch als Bildspiel.
Neben dem Gewebetext finden sich auch Texturen, wie aufplatzender Verputz, von dem im anekdotischen Zitat schon Leonardo da Vinci sagte, man könne sie ewig und mit stets wachsendem Gewinn anstarren; das gehört scheinbar zum Umkreis jener Anekdote wechselnder Zuschreibung (Sandro Botticelli ist der wohl berühmteste Anwärter), dass ein farbgetränkter, auf eine Wand geworfener Schwamm die schönste Landschaft hinterließe; Recht haben sie alle miteinander. Das Layout und die Gestaltung von Julia Wörle bringen jene kontingenten Muster und Maserungen in ein Spannungsverhältnis zum klar geschnittenen Buchstaben, stellen sie in Grauverläufen in und neben die Bewegung des Textes, und locken den Betrachter in die Verschlingungen hinein. In diesem Sinne dienen die Illustrationen nicht dem Text, sondern versuchen wie er einen bestimmten Weg durch ein bestimmtes Terrain in andrer Gangart zu durchstreifen.
Exklusivbeitrag
Christel und Armin Steigenberger (Hg.): außer.dem Nr.19
ISSN: 1613 6713 | 7 € München November 2012