Ausgewählte Briefe 1884-1937
Millionär an dummen Gedanken
04.12.2012 | Hamburg
Constantin Brunner ist heute ein nahezu Unbekannter – ein Fall für Philosophiehistoriker vielleicht, oder auch etwa ein Fall für Literaturwissenschaftler, wenn sie sich beispielsweise mit Rose Ausländer befassen, wobei man unweigerlich über Brunners Namen stolpert. Denn die Wirkung Brunners zu seiner Zeit ist ungleich größer, als es seine heutige Absenz in den Diskursen, die ihm, wie man, so man ihn dennoch liest, weiß, gewiß Unrecht tut, vermuten ließe. Wiederzuentdecken ist Brunner in seinen Schriften, die noch immer greifbar sind, wie auch seinen Briefen, die Irene Aue-Ben-David und Jürgen Stenzel nun in einer Auswahl vorlegen, die um kluge Kommentare wie Material ergänzt sind.
Foto: Constantin Brunners Arbeitszimmer in Berlin Quelle: ConstantinBrunner.net
Wer war Brunner? Er wurde als Leo Wertheimer 1862 in Altona geboren und hätte Rabbiner werden sollen, scheint aber jede Form von Schule – so auch als Student Spinozisten wie Kantianer – abgelehnt zu haben und darum (sowie aufgrund der miserablen Chancen auf eine akademische Laufbahn) den Weg eines Schriftstellers eingeschlagen zu haben. Brunner war in der Folge als Literaturagent und Herausgeber der Zeitschrift Der Zuschauer tätig; Karl Kraus und Christian Morgenstern publizierten dort. Brunners Hauptwerk ist Die Lehre von den Geistigen und vom Volk, entstanden in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Mit diesem stieg er zu beträchtlicher Bekanntheit auf – auch bei den Antisemiten, der völkische Literaturhistoriker Adolf Bartels hat auf ihn als einen besonders gescheiten und darum gefährlichen Juden hingewiesen. Ebenso galt umgekehrt das Interesse Brunners dem Nationalsozialismus, den er als Hexenwahn des 20. Jahrhunderts erkannte. Das deutsch-jüdische Verhältnis stand im Zentrum des Interesses Brunners, der allerdings weder im assimilierten noch im zionistischen und auch nicht im den Glauben neu begründenden Judentum heimisch war; er war ein „»Einsiedler«, der doch […] viel von der Gemeinschaft verstanden hatte” (so einst Günter Wirth) – was vielleicht der beste Grund für das Eremiten-Dasein ist… Mit Aufkommen des Nationalsozialismus emigrierte Brunner in die Niederlande; er starb ebendort 1937, womit ihm das Schicksal der Deportation erspart geblieben sein mag, denn seine Frau Lotte Brunner starb 1943 im KZ Sobibor. Um Brunner waren viele auch heute noch bekannte Denker, aber auch dubiose Jünger versammelt, so Friedrich Kettner, der das Ethische Seminar für Brunner in Czernowitz offenbar mehr schlecht als recht betreute – das Sektenhafte, das sich ergab, war nicht Brunners Schuld, trotz des erhabenen Tons und der Weise, sich geradezu als Prophet und praeceptor zu gerieren, es waren die Adepten und Verehrer, sie wollten, wie Stenzel zusammenfaßt, Brunner zum Trotz ihn „nur »Meister« nennen und konnten sich von einer dogmatischen Rezeption seines Denkens nur schwer lösen.” Das Bild eines Meisters entstand, es ist vielleicht der wesentlichste Grund dafür, daß Brunner faszinierte, aber auch rasch vergessen wurde, als außerakademisches Kuriosum.
Wie gesagt tut ihm dies Unrecht. Brunner, der Meister: Ganz so einfach ist es nicht, und mehr als in den leider doch allzu apodiktisch formulierten Werken sieht man dies in den Briefen. Sind in seinen Büchern die Befunde, so treffsicher sie auch ausfallen, doch dialogresistent und dogmatisch, sieht man gerade in den Briefen, daß er sich seine Positionen erarbeitete – und seinerseits Emanzipation von seinem Werk billigte und mitunter ermutigte. Kränkbar war dieser Philosoph; wie er etwa Franzos sofort verurteilt, in der Deutschen Dichtung seine Dichtung Die Brüder aus fast schon unredlichen Motiven nicht aufgenommen zu haben, das irritiert. Ebenso irritiert, wie Brunner einerseits Spinozist ist und andererseits Gelehrte anderer Schulen „Affe(n) Größerer” tituliert, dabei ebensolche, ob er dies nun wollte oder nicht, teils geradezu züchtend. Aber das ist nie das letzte Wort, gerade in den Briefen, der „Millionär an dummen Gedanken”, wie er sich in einem Brief an Eduard Bäumer vom 21. April 1904 nennt, erschöpft sich schon seiner Selbstironie wegen nicht in derlei, seine Eseleien sind ihm zuallererst bekannt, wie man einem Brief an Frida Mond entnehmen kann, dem die Herausgeber die Anmerkung beigeben, daß Brunner Esel mochte und in fast jeder Form sammelte…
Man lernt beim Lesen viel. Nicht nur über Brunner, auch über das, was der intellektuelle Diskurs seiner Zeit war, auch abseits der Gipfel, wie man sagen darf, belehrt der Band. Und es findet sich darin just vom als Sektierer verleumdeten Brunner die Mahnung, die man moderat umformuliert fast jedem Institut bis heute in Erinnerung rufen könnte: „In euch nistet noch vom Aberglauben des Chassidismus, Heilige zu machen. Ihr hattet Heilige gemacht. Ihr sollt aber niemanden heilig sprechen. Laßt das Heilige in euch empor, und ihr mögt – begreiflich – die Männer ehren, die dazu euch verholfen.” Das ist antiautoritär, wie es auch seine Distanznahme von aller Legimitation ist, von jenen vielleicht auch, die ihn als akademischen Philosophen nicht gelten ließen und lassen; er legitimierte andere nicht, er wollte auch selbst keine Legitimation außerhalb des Bezwingenden des Denkens, gewissermaßen mit einem anderen, inzwischen freilich kanonisierten Outsider, nämlich Hans Hans Blumenberg, ließe sich sagen: „Wer schon fragen muß, ob er ein Philosoph sei, wird es kaum sein.”
Wenn man diesen Gestus auch bei Brunner erkennt, wird erträglich, was sonst die Impertinenz manches Befundes bei ihm ausmacht. Er wird dann als Spinozaverehrer, der aber kein Spinozist sein will, kenntlicher, lesbarer sozusagen, die Briefe sind somit ein Einstieg in ein Werk zwischen allen Stühlen, das mehr als an „dummen Gedanken” an oft produktiven Widersprüchen reich ist. Darum ist man Stenzel und Aue-Ben-David zu Dank verpflichtet: Ihre Edition dieser Texte könnte ein Weg sein, einen, der geistesgeschichtlich noch lange nicht einfach erledigt ist, einer Relektüre zu unterziehen, die nicht überall, doch oft genug sich lohnen dürfte. Diese hat begonnen.[1] Sie möge nicht abbrechen..!
[1]cf. etwa http://www.constantinbrunner.net/Deutsch/Start_files/Brunner%20Conference%20Program.pdf
Exklusivbeitrag
Constantin Brunner: Ausgewählte Briefe. 1884-1937, hrsg.v. Jürgen Stenzel u. Irene Aue-Ben-David. Göttingen: Wallstein Verlag 2012