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Eine Entdeckungsreise
Ich kann die Deutschen nicht lieben
15.01.2013 | Hamburg
Beinahe wäre dieses Buch gar nicht erschienen. Im Jahr 2010 bereiste der New Yorker Tuvia Tenenbom im Auftrag des Rowohlt Verlags Deutschland, um anschließend ein persönliches Porträt seiner Entdeckungsreise vorzulegen. Das Manuskript wurde jedoch, laut Rowohlt aus juristischen Gründen, abgelehnt. Angeblich habe der Autor nötige Einverständniserklärungen seiner Interviewpartner vor Abdruck nicht eingeholt. Ende 2012 erschien „Allein unter Deutschen“ dann beim Rivalen Suhrkamp. Die Reaktionen der Rezensenten waren gemischt. Einige befanden das Buch für „nicht witzig und auch nicht intelligent“ (taz), andere nannten es „literarisches Fastfood – billig, geschmacklos und wenig gehaltvoll“ (Deutschlandfunk), die Jungle World hielt es für „eine Perle“ und Henryk M. Broder urteilte nicht direkt, sagte aber über Tenenbom, der wolle doch „nur seinen Spaß haben“ (die Welt).
Tenenbom wurde 1957 als Sohn von Holocaust-Überlebenden in Tel Aviv geboren. Seit 1981 lebt er als Theaterregisseur zumeist provokanter Stücke und Journalist in New York, schreibt unter anderem regelmäßig für die Zeit. Nach Ablehnung des Manuskripts veröffentlichte es Tenenbom selbst bei Amazon in den USA unter dem Titel: I Sleep in Hitler's Room: An American Jew visits Germany. Um die deutsche Identität zu durchleuchten, reiste der Autor kreuz und quer durch die Republik und schreckte vor keiner Begegnung zurück. Er interviewte Helmut Schmidt, Giovanni di Lorenzo, Kai Diekmann und Helge Schneider. Er besuchte einen rechtsradikalen Club in Neumünster und begleitete linke Autonome auf einer Demonstration in Hamburg. Er beobachtete im WM-Sommer die biertrinkenden Fußballfans, besuchte Schrebergärten, die ehemaligen Konzentrationslager Dachau und Buchenwald und die Passionsspiele in Oberammergau. Er sprach mit Bankern, Studenten, Junkies, Künstlern und Bürgermeistern. Und er stellte immer wieder dieselben Fragen: Wie ist das mit dem deutschen Nationalstolz? Wie gehen die Deutschen mit ihrer Vergangenheit um?
„Was ich bisher weiß: Fordere freies Wohnen und freie Bildung, trinke kistenweise Bier, sei Mitglied in irgendeinem Verein, sei politisch korrekt, verurteile Israel, iss bio, sei pünktlich, begehre deines Nächsten iPad, brülle „Deutschland!“ oder sei für Nordkorea, kümmere dich entweder nicht darum, was deine Familie während des Kriegs gemacht hat, oder bezeichne dich als jüdisch, sei sehr sauber oder sehr verdreckt, nimm an der einen oder anderen Demonstration teil, diskutiere jedes Detail jeder Frage, bis deinem Gegenüber der Schädel brummt – und du bist ein Deutscher.“ Tenenboms Entdeckungsreise führte offenbar nicht zu einem objektiven Bericht. Der Autor hatte es vorgehabt, sagt er, doch dann stieß er immer wieder auf verdeckte oder offene Judenfeindlichkeit, auf einen obsessiven Umgang der Deutschen mit Israel sowie ihrer eigenen Vergangenheit. Tenenbom wollte dem auf den Grund gehen. Dabei polemisiert er nicht zu knapp, teilweise sachlich nicht korrekt. Beispielsweise spricht er von Konzentrationslagern, die er besuchte, dabei gibt es die natürlich nicht mehr, man nennt sie heute Gedenkstätten. Dass ein Journalist solch einen Fehler macht, kann man bezweifeln, vielleicht sollte es Absicht sein. Doch weshalb, bleibt unklar. Tenenbom verteilt halt Ohrfeigen, er ist nicht gerecht, er ist sauer. Sauer war er auch, als ihn die Süddeutsche Zeitung bei einer Berichterstattung zur Rowohlt-Suhrkamp-Frage als „der Jude Tenenbom“ abstempelte. Dass er Jude sei, sei für ihn kein Problem. Doch dass man anstelle seines Vornamens seine Religionszügehörigkeit setze, schon. Solche Formulierungen benutzte man im Dritten Reich. Offenbar fehlt es den Deutschen an Feingefühl bei diesem Thema.
Tenenboms Reisebericht stimmt nachdenklich. Antisemitsmus sollte doch in der liberalen, deutschen Öffentlichkeit keine Rolle mehr spielen. Offenbar schon. Niemandem ist geholfen, wenn deutsche Gutmenschen Moscheen unterstützen, in denen Gedenkfeiern für verstorbene, rechtsextreme türkische Parteimitglieder abgehalten werden, sich Mitglieder jener Moschee judenfeindlich äußern. Ebenso bedenklich, wenn Tenenbom auf dem Balkon des ehemaligen Hotelzimmers Hitlers in Weimar steht, den Hitlergruß ausführt und vorbeigehende Passanten freundlich winken. Oder wenn Interviewte auf die Frage, wer wirklich an der Macht sei, antworten: „Die Juden.“ Tenenbom trifft immer wieder Menschen der jüngeren oder mittleren Generation, die sich intensiv, gar obsessiv mit dem Judentum und der jüdischen Kultur auseinandersetzen, sogar eine jüdische Biographie erfinden (Henryk M. Broder nennt sie passenderweise „Kostümjuden“), als würden sie sich an einer Vergangenheit, die sie selbst gar nicht hatten, abarbeiten. Als würden sie eine Schuld reinwaschen wollen, die sie nicht besitzen. Was soll man demnach von jenem Zitat eines unerkannt bleiben wollenden Schauspielers halten: „Was wir den Juden im Zweiten Weltkrieg angetan haben, ist entsetzlich. Das waren wirklich tolle Menschen, und wir hätten sie nie nach Auschwitz schicken dürfen. Aber die heutigen Juden? Ihr alle miteinander, ab nach Auschwitz!“ Sollte das ein Witz sein? Vielleicht hat Tenenbom Recht, wenn er sagt, die Deutschen feierten das Andenken der toten Juden, seien aber „in ihrer Kritik an den lebenden Juden unbeirrbar.“
Dieses Buch ist schockierend, absurd, unterhaltsam, amüsant und ärgerlich zugleich. Stellenweise selbstironisch und locker im Ton, ist seine an anderer Stelle selbstgefällige Attitüde gepaart mit unverholener, emotional aufgeladener Kritik gewöhnungsbedürftig. Tenenbom begeht dabei Verallgemeinerungen, die er sich gegenüber anderen so nachdrücklich verbittet. Fraglich, ob man heutzutage überhaupt solche Schubladenbücher schreiben sollte, wem das eigentlich nützt und weshalb Tenenbom tatsächlich alle Deutschen als „antisemitisch und rassistisch bis ins Mark “ bezeichnen muss. Ach richtig, der macht ja nur Spaß. Oder sollte man besser sagen: Danke, denn nun führen wir eine Debatte. Man muss Tenenboms Reisebericht auch bewundern. Es gehört Mut dazu, solch brisante Fragen zu stellen, ebenso mutig, Deutschland so unbekümmert zu ohrfeigen. Man spürt das ehrliche Interesse des Autors, seine Verwunderung und seine Verzweiflung gegenüber ‚diesen Deutschen’. Die Idee, einmal ein kleines Haus in Berlin zu kaufen und in Deutschland zu leben, gibt Tenenbom jedoch während seiner Entdeckungsreise auf. Er könne diese Menschen nicht lieben, ihre Maskeraden, ihr Bedürfnis ständig „beglückwünscht zu werden“, sowie ihre „andauernden Predigten“ und ihren „unausgesprochenen oder ausdrücklichen Judenhass“. Am schlimmsten sei für Tenenbom jedoch, dass er sich in Deutschland zum ersten Mal in seinem Leben wie ein Jude fühle. „Und das ist ein schreckliches Gefühl.“
Exklusivbeitrag
Tuvia Tenenbom, Allein unter Deutschen – Eine Entdeckungsreise. Suhrkamp Taschenbuch, Dezember 2012, 431 S., 16,99 Euro, ISBN 978-3518463741