Denkstücke

Lockerungsübungen für den philosophischen Verstand.

Autor:
Thomas Vašek
Besprechung:
Peter Neumann
 

Lockerungsübungen für den philosophischen Verstand.

Dionysos, der Partylöwe

29.01.2013 | Hamburg

Wo es Philosophie gibt, da gibt es bekanntlich auch Streit. Keine These, zu der es nicht eine Gegenthese gäbe. Philosophisches Denken ist ‚Arbeit am Begriff’. Wie soll man es da verstehen, wenn Thomas Vašek seine „Denkstücke“ im Untertitel als „Lockerungsübungen für den philosophischen Verstand“ ankündigt? Vašek ist Chefredakteur der seit Ende 2011 erscheinenden Philosophiezeitschrift „Hohe Luft“, die „Denkstücke“ bilden eine eigene Rubrik im Magazin. Versammelt im Buch präsentieren sie sich als pointiert zugeschnittene Reflexionen über die ganz großen Themen der Philosophiegeschichte. Und genau darin liegt die Krux.


Ausgabe 2/2013 Quelle: Hoheluft Magazin.de

Um es vorweg zu schicken: Vašeks „Denkstücke“ überzeugen nicht gerade durch argumentative Subtilität und sprachliche Eleganz. Im Gegenteil, viele Passagen erinnern an die leblosen, von jedem Dozenten im ersten Semester zu Recht geschmähten Erläuterungen aus dem dtv-Atlas Philosophie. Andere gehören schlicht zur Kategorie ‚Anleitung zum glücklichen Leben’. Und so stellt sich unvermeidlich die Frage, für wen diese „Denkstücke“ eigentlich zusammengestellt worden sind. Die Darstellung des Außenweltproblems, die sprachphilosophischen Anmerkungen zu Sinn und Bedeutung, der Abriss des philosophischen Evergreens Leib-Seele-Dualismus – das alles lässt sich doch besser in einem Standardwerk der Philosophiegeschichte nachlesen. Mit der hochkonzentrierten Form, die Vašek wählt und die in der Tat attraktiv und ungemein wirkmächtig ist, hat man ein anderes philosophisches Feld zu bestellen: das des genialen Einfalls. Der scharfsinnigen Beobachtung. Des feinsinnigen Aperçus.

Dass Vašek diese Kunst nicht beherrscht, lässt sich schon an den teils banalen, teils anbiedernden Leseransprachen erkennen. Aufschläge, die es gerade so über die Netzkante schaffen. „Angenommen, Sie werden Mitglied in einem Fitness-Studio. Am Empfangstresen gibt man Ihnen ein rotes Tuch. Beim nächsten Besuch bekommen Sie wieder ein rotes Handtuch.“ Und schwupps lässt sich daraus das Problem der Induktion entspinnen. Ob es sich dann aber im Verlaufe des Textes um ein Handtuch oder ein ganz anderen Gegenstand handelt, egal: „Die Zahnpasta wird auch morgen noch aus der Tube kommen.“ Vašeks Ton ist nicht locker, er ist viel zu oft allzu leichtfertig.

Unter dem Titel „Ecstasy der Seele“ wird mal eben der Unterschied zwischen dem apollinischen und dionysischen Prinzip bei Nietzsche verhandelt. Dass Dionysos ein Partylöwe gewesen sei, heißt es da großspurig. Und bereits nach diesem ersten Satz fragt man sich, mit welchem schmissigen, gegenwartsbezogenen Kommentar Vašek das nächste Mal um die Ecke kommt. Zur großen Überraschung endet der Text verhalten: mit einer These des Heidelberger Altertumsforschers Erwin Rohde, die griechische Idee der Unsterblichkeit sei aus dem Dionysos-Kult entstanden. Keine Erklärung, keine Kontextualisierung. Zumindest weist der Verfasser zum Weiterlesen noch auf sein eigenes Buch hin: „Seele. Eine unsterbliche Idee“.

Die Arbeit am Begriff, die Suche nach dem besten Argument bleibt so natürlich auf der Strecke. Und oft lässt sich gar nicht sagen, was verheerendere Wirkungen nach sich zieht: wenn ein Argument nun falsch oder unter Wert verkauft wird. Unter dem Titel „Alles relativ?“ widmet sich Vašek dem altbekannten Problem des Relativismus: Wahre Aussagen darüber zu treffen, dass alles ‚relativ’ sei. Ein Anspruch, den der Relativist unmöglich mit seinen eigenen Prämissen vereinbaren kann! Das Argument des Relativismus ist aber weitaus subtiler gestrickt und schwieriger zu entkräften, als es bei Vašek dargestellt wird. Der Relativist sagt nicht: ‚Alles ist relativ’. Der Relativist sagt: ‚Es gibt kein Kriterium, nach dem wir entscheiden können, ob etwas wahr ist oder nicht. Die Wahrheit mag es durchaus geben, aber ich kenne niemanden, der mir einen Maßstab dafür angeben kann.’ Und siehe da: ein Unterschied, und kein geringer!

Vašeks „Denkstücke“ sind keine „Lockerungsübungen für den philosophischen Verstand“. Weder zum Warmwerden noch zum Abspannen. Dazu kommen sie allzu verkrampft daher. Ratgeberliteratur wollen sie nicht sein. Für eine ernsthafte und zugleich auflockernde Lektüre liefern sie aber zu selten auch nur die Spur eines charmanten Einfalls. Im Proseminar mag man damit glänzen. Ein intellektueller Sidekick auf der nächsten Cocktailparty, vielleicht. Denken als Pausenvergnügen? Im Vorwort heißt es, dass Philosophie nicht nur etwas für „akademische Spezialisten“ sei. Das ist richtig. Aber muss sie deswegen immer gleich für „uns alle“ sein?

 

Exklusivbeitrag

Thomas Vašek: Denkstücke. Lockerungsübungen für den philosophischen Verstand. Broschur. 207 Seiten. 8,99 Euro.
ISBN: 978-3-518-46394-9. Suhrkamp, Berlin 2012.

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