Joseph Anton

Die Autobiografie

Autor:
Salman Rushdie
Besprechung:
Florian Keisinger
 

Die Autobiografie

Gerne tot gesehen - Salman Rushdie hat ein Buch über die Fatwa-Jahre geschrieben

17.03.2013 | Hamburg

Salman Rushdie polarisiert. Das war schon bei seinen früheren Büchern so, und daran hat sich nichts geändert. Das gilt auch für sein neues Werk, ein autobiografisches Buch über die Fatwa-Jahre, das im Kern die Zeitspanne von Februar 1989 bis zu den Angriffen auf die Twin Towers im September 2001 umfasst.

Am Valentinstag 1989 nämlich hatte der damalige iranische Staatschef Khomeini zum Mord an dem indisch-britischen Schriftsteller aufgerufen. Vorangegangen war die Veröffentlichung von Rushdies Roman „Die Satanischen Verse“ (1988), der vom Glauben und Zweifeln erzählt, und dessen Darstellung der Geschichte des Propheten Mohammed, der hier Mahound heißt, zornige Proteste islamischer Radikaler hervorgerufen hatte. Dass die Mehrzahl der Empörten das Buch, das in zahlreichen islamischen Staaten umgehend verboten wurde, nie gelesen hat, versteht sich beinahe von selbst. Man denke an die dänischen Mohammed-Karikaturen, die in der islamischen Welt nie gezeigt wurden.   

Rushdies Leben änderte sich fortan schlagartig. Aus Salman Rushdie wurde Joseph Anton. Den Namen konnte er sich selbst aussuchen, einzige Voraussetzung: er durfte nicht asiatisch klingen! Nach einigem Hin und Her entschied sich Rushdie für eine Kombination aus Joseph Konrad und Anton Tschechow. Den Sicherheitsbeamten, die ihn in den kommenden anderthalb Jahrzehnten auf Schritt und Tritt begleiteten, war die feinsinnige Konnotation der Wahl gleichgültig; für sie war er schlicht Joe.

Vier Spannungsfelder durchziehen Rushdies Memoiren: der Kampf mit den Sicherheitsbehörden um ein Maximum an individueller Bewegungsfreiheit bei gleichzeitig bestmöglichem Schutz; die privaten Konflikte, die aus den Beschränkungen resultierten; der Umgang mit Anfeindungen, sowohl von Kollegen und Politikern wie auch seitens der veröffentlichten Meinung, die Rushdie Geltungssucht, Uneinsichtigkeit und obendrein Verschwendung von Steuergeldern vorwarfen; und schließlich der Versuch, die literarische Arbeit fortzusetzen, wozu auch die Vermarktung der eigenen Bücher und gelegentliche öffentliche Auftritte gehörten.

Eine große Stärke des Buches ist, dass Rushdie nichts beschönigt, am wenigsten die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten. So scheiterten drei seiner Ehen in den Jahren der Fatwa, was aber, wie er einräumt, nicht ausschließlich den Widrigkeiten der Unfreiheit geschuldet war. Seine zweite Frau Elizabeth verließ er für die Schönheit einer deutlich Jüngeren, die er dann ebenfalls heiratete, was, wie er zurückblickend zugibt, ein Fehler war.

In der Sache aber, und darauf ist Rushdie mit Recht stolz, hat er seine Position bis zum Ende – d.h. in diesem Fall, der Beendigung der Fatwa – erfolgreich verteidigt. Er hat nichts von dem, was er in den „Satanischen Versen“ geschrieben hat, zurückgenommen oder relativiert. Eine Taschenbuchausgabe hat er im jahrelangen Kampf mit den Verlage, die vor der Veröffentlichung zurückschreckten, durchgeboxt. Allenfalls in der Frühphase der Fatwa hatte Rushdie noch geglaubt, durch konziliantes Auftreten den Zorn der radikalen Islamisten besänftigen zu können. Aus dieser Zeit stammt ein kleiner Artikel, den er unter der Überschrift „Why I am a Muslim“ in der Londoner „Times“ veröffentlicht hat. Darin versucht er, seinen Angreifern versöhnlich entgegenzutreten. Das Unterfangen schlug fehl; bis heute bereut Rushdie, den Text, wenngleich unter extremen Bedingungen, geschrieben zu haben.

Härter als der Hass der religiösen Eiferer traf ihn die Kritik aus den „eigenen Reihen“. Denn auch unter den Kollegen gab es nicht nur gute Freunde und Unterstützer wie Martin Amis, Christopher Hitchens oder Alan Yentop, sondern auch Kritiker, die Rushdie Egoismus und Selbstinszenierung zu Lasten unbeteiligter vorwarfen (ein japanischer Übersetzer der „Satanischen Verse“ wurde ermordet, ein schwedischer Verleger des Buches schwer verletzt). John Le Carré beschuldigte Rushdie der „Selbstkanonisierung“ („self-canonisation“), woraufhin dieser ihn, kaum weniger vornehm, als „pompous ass“ titulierte. 2012 begruben die beiden das Kriegsbeil.

Nicht minder schmerzten Rushdie die Vorwürfe mancher Medien, die ihn entweder der religiösen Intoleranz („The Independent“) bezichtigten oder ihm Verschwendung von Steuergeldern vorwarfen, da er, statt sich im Verborgenen zu halten, immer wieder das Licht der Öffentlichkeit suchte und dadurch nicht nur sich, sondern auch zahlreiche Polizei- und Sicherheitsbeamte in Lebensgefahr brachte. Die „Daily Mail“ heißt seit dieser Zeit bei Rushdie nur noch „Daily Insult“.

Rushdies Erinnerungen der Fatwa-Jahre lesen sich phasenweise spannend wie ein Krimi. Jedoch schleichen sich auf den mehr als 600 Seiten auch immer wieder Längen ein, etwa wenn Rushdie zum x-ten Mal im Detail die Sicherheitsvorkehrungen aufzählt, die weltweit bei seinem Erscheinen getroffen wurden. Verwunderlich für einen Schriftsteller und Intellektuellen von seinem Rang ist zudem, wie wenig man darüber erfährt, was in Rushdie selbst in all diesen Jahren vorging. Was waren seine Gefühle, Sorgen, seine Hoffnungen? Worüber unterhielt er sich mit seinen Freunden? Was löste die Bedrohung seiner Mitmenschen, seiner Familie bei ihm aus? Stattdessen ist viel von Bono die Rede, der einen Text von Rushdie in einen U2-Song verwandelte. Oder von Warren Beatty, der ihn zur Schönheit seiner Freundin beglückwünschte.

Keine Frage: Das alles macht die Lektüre des Buches unterhaltsam und kurzweilig. Doch hätte man sich am Ende an der einen oder der anderen Stelle vom Autor etwas weniger Pop und etwas mehr Introspektion gewünscht.
 

Exklusivbeitrag
Salman Rushdie: Joseph Anton. A Memoire.
ISBN 978-0-8129-9278-6 18,95 € Random House New York 2012.

Florian Keisinger hat zuletzt über »Der europäische Landbote« von Robert Menasse auf Fixpoetry geschrieben.