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Roman
Die Eltern und Ängste wird man nicht los
01.04.2013 | Hamburg
Es gibt Sätze, die zwischenmenschlichen Beziehungen nicht guttun. „Es ist nichts“, ist so ein Satz, geantwortet auf die ewige Frage, was denn sei. „Du bist wie dein Vater“ ist auch so ein Satz mit Sprengkraft, ein Satz, den niemand hören will, erst recht nicht, wenn das Verhältnis zum Vater schwierig ist – und das ist es für den Architekten Randolph Tiefenthaler, Protagonist in Dirk Kurbjuweits jüngstem Roman „Angst“. Ein Protagonist, der sich heftig sträubt, wenn sein Therapeut ihm sagt, er müsse endlich aufhören, seine Kindheit zwanghaft positiv sehen zu wollen. Aber war sie nicht positiv? Im Grunde war doch alles ok. Oder nicht? Kleine, bürgerliche Familie, die Eltern scheinen das Trauma des Krieges verarbeitet zu haben, es gibt schöne Erinnerungen an die ewigen Sommer mit den Geschwistern in Berlin, die Mutter war fürsorglich, ist es noch immer, der Vater hingegen schweigsam, nicht in der Lage, Anerkennung zu zeigen, und hin und wieder setzte es auch mal Schläge. Aber war das nicht alles ganz normal für jene Zeit, für die nicht einfache Biografie der Eltern?
Gut, da war der Waffentick des Vaters, die Walther PKK, die er stets unter der Jacke mit sich trug, die Schießübungen am Wochenende und der unbändige Wunsch, der Sohn möge nach ihm kommen, auch ein guter Schütze werden, sich auch für Autos interessieren, sich um Himmels Willen nicht der Friedensbewegung anschließen. Und nun? Jetzt ist der Sohn Mitte vierzig, verheiratet, zwei Kinder, besteht darauf, „bürgerlich“ zu sein, was auch immer das heißen soll, und der Vater sitzt im Gefängnis, mit siebenundsiebzig, weil er Herrn Tiberius erschossen hat, den Mieter im Souterrain, der monatelang Tiefenthalers Frau Rebecca nachgestellt, ihr und ihrem Mann vorgeworfen hatte, sie würden ihre Kinder missbrauchen. Ein Stalker, ein Irrer, der die Familie bedrängte. Immer wieder Besuch von der Polizei, immer wieder die Versuche der Tiefenthalers, juristisch gegen ihren „Untermenschen“, wie sie ihn nennen, vorzugehen, erfolglos. Der Rechtsstaat, auf den sie so sehr vertrauten konnte ihnen nicht helfen. Erst wenn was passiert sei könne man aktiv werden, heißt es immer wieder. Eine absurde Situation. Sind Briefe, Anschuldigungen, Drohungen denn kein „Passieren“?
Das könne so nicht weitergehen, sagt Tiefenthalers Bruder Bruno, doch Selbstjustiz lehnt der Architekt ab, er will sein Vertrauen nicht verlieren. Vertrauen in was? In den Staat, in die Familie, den Lebensentwurf, das schwammige Konstrukt „Gerechtigkeit“? Und dann nimmt der Vater die Sache in die Hand, opfert sich quasi: Jener Vater, mit dem Tiefenthaler über Jahre hinweg kaum ein Wort gesprochen hat, zu dem ein angespanntes Verhältnis gegenseitiger Ablehnung brodelte, das über Floskeln und böse Blicke kaum hinausging, der Versuch Tiefenthalers, alles anders zu machen, und dann doch dieser Satz: „Du bist wie dein Vater.“ Weil du an denselben Ängsten leidest, ohne es zu wollen, weil du auch schwach bist, deine Familie nicht beschützen kannst.
Dirk Kurbjuweit ist Journalist, hat für die Zeit und den Spiegel gearbeitet, für seine Reportagen Preise gewonnen. Warum, das erfährt man vor allem in seinen Romanen: Er ist ein genauer Beobachter, der hinter die Fakten blickt, der versteht, was Menschen antreibt. Akribisch verknüpft er in „Angst“ die Geschichte einer zerrütteten Familie mit den Unzulänglichkeiten des Modells Rechtsstaat, hinterfragt die Ideologien des Alltäglichen und bringt Lebensentwürfe ins Wanken. Ein beklemmendes, ungemütliches Buch, verfasst auf höchstem sprachlichem Niveau, eindringlich, bisweilen schockierend.
Exklusivbeitrag
Dirk Kurbjuweit, „Angst“, Roman, 251 S., Hardcover mit SU, 18,95 Rowohlt Berlin 2013
Gerrit Wustmann hat zuletzt über »Irgendwann ist Schluss« von Markus Orth auf Fixpoetry geschrieben.