Meine 500 beste Freunde

Stories

Autor:
Johanna Adorján
Besprechung:
Simone Trieder
 

Stories

Zwölf zu eins

03.04.2013 | Hamburg

Short Stories haben es in Deutschland schwer. Immer müssen sie an den legendären amerikanischen gemessen werden, abgesehen davon, dass Verlage – außer durch prominente Nichtliteraten per themengebundener Anthologien  ökonomisch abgesichert –  in der Regel Erzählungsbände meiden.

Der Band „Meine 500 besten Freunde“ von Johanna Adorján ist da in dieser Hinsicht eine lobenswerte Ausnahme. Die Autorin hatte mit „Eine exklusive Liebe“ –  der Liebesgeschichte ihrer Großeltern, die mit einem sensationellen Doppelselbstmord endet – 2009 einen Bestseller vorgelegt. Nun darf sie bei Luchterhand auch „Stories“, so der Untertitel veröffentlichen. Aber, um es gleich zu sagen, von den 13 Stories ist nur eine richtig gut.

„Willkürliche Akte der Freundlichkeit“ hat diesen doppelten Boden, den eine gute Story braucht. Die den Leser abheben lässt und ausrufen, ja, das macht Spaß! Ayumi ist Yogalehrerin und hat eine Stimme im Kopf. Die schimpft und flucht. Alle Leute, die Ayumis Weg kreuzen, werden von der zänkischen Stimme „Du Arsch, du Kuh, du Schlampe“ und so weiter angeschnauzt, immer nur im Kopf der Protagonistin. Aber die Stimme beschimpft auch Ayumi selbst: „Du beschissene kurzsichtige Vollidiotin“ und noch viel ärger. Höhepunkt der Ambivalenz ist die Stelle, als Ayumi einer Haarlocke, die ihr in die Stirn fällt, zubrüllt: „verpiss dich“. Doch die Jogalehrerin erscheint anderen als freundliche Person, aus ihrem Mund kommen nur nette Worte. Die Anweisungen an die Gruppe sind korrekt, aufmunternd. Sie ekelt sich vor dem dicken Holger „du hässlicher fetter Arsch“, meint die Stimme. Doch hilft sie ihm, legt ihren Körper auf seinen verschwitzten, massiert ihn, „ich bete, dass du keinen Ständer hast“. Sie fühlt sich nach der Stunde gut und Holger ist glücklich, die Stimme verstummt.

Johanna Adorján erklärt nichts. Die Yogalehrerin lebt mit ihrer aggressiven Stimme, einzig zugestanden wird, dass sie Joga gelernt hat, um sich zu entspannen und mit der Aggressivität in sich umzugehen. Nach außen ist sie die kleine freundliche Frau, die ihre Arbeit macht.

Warum die anderen Geschichten so abfallen, mag auch an der Szenerie liegen, in der sie spielen: Szenecafés, Berlinale, Vernissagen, Feuilletonredaktionen. Dort passiert nichts Unerwartetes, alle sind genervt, alle vermissen Aufmerksamkeit oder sie spielen anderen etwas vor. Vielleicht interessiert das Vernissagebesucher, weil sie Teil der Geschichten sind. Und die titelgebenden 500 Freunde deuten sich an, es geht immer weiter, Facebook lässt grüßen, Vernetztsein, den und den kennen, mit dem und dem ins Bett. Es scheint die Welt zu sein, in der Adorján sich als Mitarbeiterin des Feuilletons der Allgemeinen Sonntagszeitung bewegt und wo man sich anscheinend schnell die „Feuilleton-Depression“ holen kann, so der Titel einer der Stories. Eine scheinbar schillernde Welt, in der man sich schnell langweilt, was Adorján auch beschreibt. So, dass auch der Leser von dieser Langeweile unweigerlich angesteckt wird.

Doch noch eine zweite Geschichte fällt aus dem Rahmen. „Frau Weber“. Frau Weber ist die Therapeutin des drogensüchtigen Felix. (Für diesen Namen sollte nun bitte endlich mal von allen Verlagen ein Verbot ausgesprochen werden. „Der Glückliche“ , so heißen sie immer, alle die unglücklichen Drogensüchtigen!) Wie Felix (grrr) in einer Therapiestunde sich Frau Weber offenbart und einen Entzug machen will, den er dann doch nicht schafft, ist intensiv, im Gegensatz zu den FilmFeuilletonVernissage-Geschichten, spannend erzählt. Aber meint man doch solche Geschichten wohl an die hundertmal schon gelesen zu haben.

Völlig unmotiviert sind die Geschichten miteinander verknüpft, wahrscheinlich, weil man sich eben in dieser FilmFeuilletonVernissage-Welt eben immer zweimal trifft. Aber das Auftauchen, nur das Nennen des Namens aus einer der Vorgängergeschichten bleibt in der Luft hängen, eröffnet keinen Hintergrund, ergibt kein Bild. Wie etwa in Ingo Schulzes „Short Stories“, wo sich mit dem Lesen von Story zu Story ein Gesamtbild aufbaut.

Um die Verwirrung komplett zu machen: „Meine 500 besten Freunde“ ist so ein schönes Buch! Es hat einen dunkelblauen Leineneinband, die eingeprägte champagnerfarbene Schrift ist ein bisschen Retro, die 1950er Jahre grüßen mit runden, wie selbstgeschriebenen, Buchstaben, der Schnitt ist ringsum dunkelblau, dazwischen klemmt ein feines blauschillerndes  Lesebändchen. Und – Achtung, liebe Bibliophile – beim Aufklappen des Buches knistern die Seiten des Schnitts von der aufgetragenen Farbe leicht verklebt, aufregend – ein kleiner Orgasmus für den analogen Buchleser, der beim ersten Durchblättern einer – ja, Entjungferung beizuwohnen meint.

Doch die Gestaltungsfreude geht ein Schrittchen zu weit. Der Textblock ist in einem relativ hellen Blau gehalten. Blau ist die Farbe der Treue, heißt es. Warum, fragt man sich, ist denn nun auch noch die Schrift blau, denn diese Freunde, von denen hier erzählt wird, sind fast durchgängig untreu, einzig treu sind sie wohl ihrem Ego. Beim Lesen ermüdet man aufgrund des zu geringen Kontrastes, mit Ausnahme der Stellen, wenn die böse Stimme im Kopf der Jogalehrerin Ayumi den Leser wachrüttelt.

Und so geht es in diesem Literaturbetrieb. Da ist eine Autorin, erfolgreich, arbeitet dazu im Feuilleton einer großen Zeitung, sieht ganz annehmbar aus, hat einflussreiche Freunde. Und dann darf sie ihre mittelmäßigen Geschichtchen in ein schön gestaltetes Buch stecken und geht mit ihrer Freundin, der nicht unbekannten Filmschauspielerin Heike Makatsch, auf Lesereise.

Jeder unbekannten Autorin, jedem unbekannten Autor würden diese Geschichten von den Lektoren der Verlage um die Ohren (das Gesicht dazwischen lassen wir mal weg) gehauen werden: Ja hier, in dieser einen Geschichte zeigen Sie, was Sie können! Aber die anderen gehen gar nicht!

Doch, was soll dieser Jammer. Solange der Leser Heike Makatsch braucht, um einen Text für gute Literatur zu halten, und die Verlage genau sich dieses Marktprinzips bedienen, um mehr Bücher mit mittelmäßigen, schon morgen vergessenen Geschichten, zu verkaufen, wird das so weitergehen: Zwölf zu eins.


Exklusivbeitrag

Johanna Adorján
: Meine 500 besten Freunde. Stories. Gebunden. 256 Seiten.18, 99 Euro. ISBN 978-3-630-87354-1. Verlag Luchterhand München 2013


Simone Trieder hat zuletzt über »Die Liebe eines Dichters» von Julian Schutting auf Fixpoetry geschrieben.