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Drei politische Poeme
Das Lied vom Hackeschen Markt, oder: ‚Das ist nun mein Haus‘. Irina Liebmanns Berlin-Poeme
18.04.2013 | Hamburg
Zugegeben, ja – diese Stadt, von der so mancher falsche Fuffziger behauptet, es wäre die einzige in Deutschland, die noch ernstzunehmende Künstler hervorbringt, ist ein gigantisches Phänomen, ein Moloch des Erstaunens, zumal wenn man von ihren Rändern oder gar von der vielgeschmähten Provinz her auf sie blickt. Berlin, zugegeben, das ist diese einzigartige Ballung aus Licht und Stein in der märkischen Steppe – die die Last ihrer Vergangenheit mit sich schleppt und dabei, von ihren horrenden Schulden kaum bedrückt, leichtfüßig bleibt und einen Puls setzt, das ist bewundernswert.
Mittlerweile eine der ungewöhnlichsten Weltstädte in Europa, im Herzen der ostdeutschen Pampa zunächst wie aus mehreren Händen Dörfer voll mit vorlauten, bramarbasierenden Gesellen zusammengewürfelt, bildet sie einen der wenigen Sehnsuchtsorte der zweiten Republik, wenn nicht den Sehnsuchtsort des aufgeklärten Metropolitaners schlechthin. Sie ist zugleich ein Paradebeispiel dessen, was man ein Knäuel ausgelassener Gelegenheiten nennen mag. Die Ambivalenz der Stadt, ihre nicht zuletzt in den Wahlbarometern lesbare innerlich noch anhaltende Teilung bewegt die Gemüter, der Nachglanz eines intershopartig ins Vordersibirische gepflanzten Westteils, umringt von einem steinernen Vorhang … ist zugleich Teil der Lockung, die sie ausstrahlt.
Hackescher Markt und Rosenthaler Straße um 1900 Source: Wikipedia
Auch anderswo kann man wundervoll einsam und verloren sein, aber es ist das Bukett und der Absud dieser Stadt, das nassforsche Idiom der Verlorenheit, das dort herrscht wie auch das Hereinbrechen, Herabstürzen von Welt, was Berlin zum Hauptort literarischer Erwägung werden lässt. Die Suche nach dem „Ort, zu bleiben“ bewegt Irina Liebmann, die mit ihrer Erzählung „Drei Schritte nach Russland“ bereits das nächste vielbeachtete Buch vorgelegt hat, seit jeher, in ihrer Wahl- und (überwiegenden) Werkheimat hat sie dafür womöglich die prädestinierte Reibfläche für ihre Berlin-Poeme gefunden, die „Das Lied vom Hackeschen Markt“ vereint. Irina Liebmanns eigene Geschichte, wenn man den Schritt vom lyrischen zum Autoren-Ich einmal tun darf, ähnelt dabei sowohl der Zerrissenheit dieser Stadt als auch dem gegen die alten Gattungsbegriffe arbeitenden Ton der drei hier versammelten Texte. Die Wahrnehmung Liebmanns changiert dabei zwischen den Mythen um Dichtergestalten wie Hilbig oder Biermann: aufgewachsen in der mitteldeutschen Einöde als Tochter eines in Ungnade gefallenen Sozialisten und einer Russin, wandelt sie sich zur Wahlberlinerin par excellence, vollzieht 1988 den Bruch mit der DDR.
Für ihr auf das Herz ihrer Stadt fixiertes, reich staffiertes Werk wurde sie vielfach und hoch geehrt, jedoch hing ihm, vergleichbar dem Natascha Wodins, lange etwas Geheimtipphaftes an. Das mag nicht zuletzt in der angesprochenen Mischung nicht nur in der Gattung, sondern gleichsam in den Stimmungen liegen: poetische Passagen durchsetzt mit Sprengeln von Prosa und dramatischen Einwürfen; Lakonisches inmitten von Melancholie – eine Näherung, wie sie vielleicht symptomatisch für eine wie auch immer, ambitioniert oder beiläufig, versuchte In-Augenschein-Nahme passen möge: „ JETZT KOMMEN ALLE. / ERST SIND ALLE VON HIER WEGGEGANGEN / UND JETZT / KOMMEN ALLE ZURÜCK. // Kommt einer an meinen Tisch: Was machst denn Du hier …“ Die Stadt, von der man schon gelassen hatte, sie saugt einen unmerklich wieder ein. Was folgt, ist vielleicht der Fall zurück in den Trott, den Takt des so schnoddrigen, rasend dahinschaukelnden Gefüges, mit Gentrifizierungs-Narben beimpft, das man einstmals verließ: „Ich kann dir deine Homepage machen […] Philosoph, promoviert, arbeitslos, damals Regieassistent …“
Es ist das Heer derer zugleich, die den Unterbau der Schillernden und Erfolgreichen abgeben und die in der Fremde den Geruch der Stadt vermissen, in der sie scheitern womöglich, wie anderswo auch. Und zurückkehren ins vertraute Weitertasten: „Ja, was machst du denn hier?“, die Gelegenheit des Fortgangs vertan, mit einer halbherzigen Rückkehr befaßt, so wie Berlin seine Chance gern hinausschiebt, sich zu einer wirklichen Metropole zu drehen, deren Verheißung mit der Rückvereinung Ost- und Westberlins in der Luft lag. Und man sich fragt, wo in Berlin, jener Ballung aus Licht und Stein … die sich schwertut, in dem Land, dem sie vorsteht, anzukommen … denn die Berliner sind. Oder waren, denn mittlerweile kehren sie offenbar zurück und fügen sich in die Veränderung (die sich beileibe nicht auf das Einhalten ‚schwäbischer Hausordnungen‘ beschränkt, wie es Wolfgang Thierse einmal, über die Ent-Kiezung seines Kiezes beklommen, vermeinte), ein.
In drei Anläufen beschreibt Irina Liebmann die Stadt, von der sie nicht loskommt und die ihr als der ungeheuerliche, an allen Ecken und Enden zischelnde und mit den Glaskartons der neuen Elite besetzte urbane Homunkulus einer möglichen Welt erscheint. Die Entstehung der Texte liegt zwei Jahrzehnte zurück, sie fällt in einen Zeitraum noch größerer Wandlung und setzt, zum Teil selbst Geschichte, einen Suchschnitt in die unmittelbare Gegenwart. Alles beim Alten im Café am Hackeschen Markt, Unter den Linden … und doch alles ganz anders – es ist ein Verdienst dieses Buches, die Umstände der Umwälzung, in der sich Berlin (und mithin dieses Land) seit 1989 befindet, sichtbar zu halten. Auch wenn es gegenüber der mittlerweile wirkmächtigen Prosa der Autorin dereinst den Status eines Nebenwerks einnehmen dürfte, bleibt es doch in seinem freien, sprunghaften Schweifen ein erhellender Ausriss über das Verstreichen der Zeit in der Zeit.
Exklusivbeitrag
Irina Liebmann: Das Lied vom Hackeschen Markt. Drei politische Poeme, ISBN 978-3944174-01-3, 12,80 Euro, Hanani Verlag Berlin 2012.
André Schinkel hat zuletzt über »Uhren zogen mich auf« von Ulrich Koch auf Fixpoetry geschrieben.