Gedichte

Die Schatten und Stimmen. »Der Wald der Liebe in uns« – Liebesgedichte von Adonis.

12.06.2013 | Hamburg

Im Nachwort zu der 2011 erschienen Sammlung „Verwandlungen eines Liebenden. Gedichte 1958 – 1971“ (S. Fischer) erzählt Herausgeber und Übersetzer Stefan Weidner, wie der syrisch-libanesische Lyriker Ali Ahmad Said an seinen Künstlernamen kam. Er legte ihn sich in jungen Jahren zu, nachdem seine unverlangten Einsendungen bei Literaturzeitschriften immer wieder abgelehnt worden waren. Die Gedichte von Adonis hingegen wurden auf Anhieb angenommen und publiziert. Das war in den Dreißigern des vorigen Jahrhunderts. 2013 erhielt der Dichter, dessen Frühwerk niemand drucken wollte, den Petrarca-Preis.

Die Jury begründete die Vergabe damit, dass sich Adonis in letzter Zeit vermehrt öffentlich gegen die Dogmatisierung der arabischen Kultur gewandt habe. Der Dichter lebt seit Mitte der Achtziger im Exil in Paris und schreibt auch auf Französisch. Nun erscheint bei Jung und Jung mit „Der Wald der Liebe in uns“ seine jüngste Sammlung von Liebesgedichten erstmals auf Deutsch. Weshalb Adonis zu den bedeutendsten arabischen Gegenwartslyrikern zählt, dokumentiert dieser Band (ursprünglich 2009 bei Mercure de France erschienen) einmal mehr eindrucksvoll.

Seine Verse sind hochpoetische Kleinode, die mit ihrer Mischung aus klassischen Metaphern und faszinierenden Bildern den schmerzlichen Wahrheiten der Liebe nachspüren; Apropos Wahrheit: „Der schönste Gedanke / Ist doch der: die Wahrheit ist Verdacht“. Es geht um die Verschmelzung des Körperlichen und des Geistigen in einer Welt, die den bewusst lebenden Menschen zum Rückzug in diese Räume des Eigenen zwingt, die ihn nur hier noch Erfüllung finden lässt, das aber zugleich mit solcher Wucht, dass alles andere gleichgültig wird. Über diese Erkenntnis schreibt der Dichter: „Die Tränen hängen ihre zersplitterten Spiegel / Unter ihren Wimpern auf". Beunruhigung und Zweifel prägen die Erfahrung, die nie greifbar ist und immer bloß im Moment lebt, in dem das Herz das Jetzt und das Denken die Zukunft ist, wie Adonis sagt.

Die Erinnerung ist ein Trugbild, auch das sagt er. Ist das echt, war es das je, oder ist das Erinnerte bloß eine unbestimmte Sehnsucht? Auch das Alter und das Altern schwingen mit, der Verlust einer Körperlichkeit, die den Jungen vorbehalten ist, oder wenigstens: Den Jüngeren. Gut, wenn man dann wenigstens von der Erinnerung zehren kann: „Einzig diese Grabstele / Ist Rose immerdar“. In einem späteren Gedicht wird eine Rose gesteinigt, ein Bild, das einen krassen, schockierenden aber doch allzu wahren Kontrast herstellt. Auch das gibt es in diesen Texten: Die nie explizite, immer aber vorhandene Erkenntnis, dass Liebe politisch ist in Zeiten der Entmenschlichung.


Exklusivbeitrag

Adonis „Der Wald der Liebe in uns“, Liebesgedichte, aus dem Französischen von Ingeborg Waldinger, Jung und Jung, Salzburg und Wien 2013, Hardcover mit Schutzumschlag, 150 Seiten, 22,00 €

Gerrit Wustmann hat zuletzt über »Brief in die Auberginenrepublik« von Abbs Khider auf Fixpoetry geschrieben.