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Gedichte
Der Resignierte. »Burn, baby, burn« von Zvonko Karanović.
24.06.2013 | Hamburg
Es gab einmal ein Serbien vor den Balkankriegen. Eingegliedert in den westlich orientierten Vielvölkerstaat Jugoslawien und zusammengehalten von dem charismatischen Staatschef Josip Broz Tito, der 1980 nach 35-jähriger Regentschaft verstarb. Bis zum gewaltsamen und blutigen Zusammenbruch der sozialistisch föderativen Republik Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre war Jugoslawien ein lebenswertes Land. In den großen Städten prosperierten Kunst und Kultur. Die Bewohner trugen Jeans und hörten dieselben Platten wie alle anderen Europäer westlich des „Eisernen Vorhangs“. Punk und New Wave schwappten aus den USA herüber. Man konnte uneingeschränkt in ganz Europa herumreisen.
In dieser Zeit, den „goldenen Achtzigern“ war Zvonko Karanović, 1959 im serbischen Niš geboren, bereits ein Kult-Dichter des Undergrounds. Beeinflusst von Allen Ginsberg, Bob Dylan, Tom Waits und auch dem deutschen Dichter Rolf Dieter Brinkmann, war er ein Kind der Beat Generation. Er führte ein ruheloses, unstetes Leben, wie es in Jack Kerouacs Roman und Manifest der Beatniks on the road geschildert wird. Reiste per Autostopp durch Europa, arbeitete als Journalist, Redakteur, DJ, Konzertveranstalter und war 13 Jahre lang Inhaber eines Musikladens. Seit 1991 ist er der einzige serbische Dichter mit eigenem Fanclub (Srebrni Surfer) und heute einer der wenigen serbischen Dichter, die auch noch in Kroatien gelesen werden.
Karanović Lyrik ist nicht per se politisch. Sie wurde es zwangsläufig und unfreiwillig durch die Geschehnisse in seiner Heimat Anfang der 90er Jahre. Wer daher in dem Band Burn, Baby, Burn eindrückliche Beschreibungen des Jugoslawienkrieges oder radikale politische Pamphlete erwartet, der wird enttäuscht. Weniger das Öffentliche, sondern das Private, die kleinen Geschichten und Beobachtungen stehen im Zentrum des Bandes. Und die Haltung, die ihn durchzieht, könnte man als durchweg lakonisch bezeichnen.
Resigniert und müde erkundet der das lyrische Ich sich selbst, seinen Nächsten und die jugoslawische Gesellschaft.
Ich ertrage nichts mehr
weder die eigene Haut
noch den goldenen Crayon des Präsidenten und seines Publikums
weder die schnellen Schienen des Fortschritts, die in eine glänzende Zukunft führen
die hinter der nächsten Ecke auf uns wartet
mit einer verrosteten Axt
noch die leuchtenden Worte
die stumpf in den feuchten Zimmern hallen
in den Kellern und nicht zu Ende gebauten Häusern
weder das Neonlicht der riesigen Supermärkte
noch die bunte Verpackung der Schokoladen
deren Verfallsdatum abgelaufen ist
heißt es z.B. in dem Gedicht Die große Müdigkeit. Das Gedicht ist eine Antwort auf Allen Ginsbergs Langgedicht America aus dem Jahr 1956, in dem er in einer Art Monolog sein Heimatland für dessen Politik, u.a. im Kalten Krieg, anprangert. Was bei Ginsberg aber noch kraftvoll wütend klingt: America when will we end the human war? Go fuck yourself with your atom bomb/ I don’t feel good don’t bother me/ I won’t write my poem till I’m right in my mind/wird bei Karanović zu einer resignierten Anklage mit eher autoagressiven Zügen:
ich werde an eurer Stelle
das frische Fleisch
für den Knüppel sein
der einzige Schuldige für
das Tränengas und für die angezündeten Müllcontainer
und ich habe vergessen zu sagen
ich werde eine Liste all jener erstellen
die in den ersten Reihen gesessen haben und applaudierten
ich werde sie öffentlich verlesen, wenn die Zeit dafür kommt
Einen Rebellen stellt man sich anders vor, als jemanden, der in seiner politischen Resignation nur mit einer Liste, sprich nur noch mit seinen Versen drohen kann.
Hier wird der wesentliche Unterschied zwischen Ginsberg und Karanović greifbar.
Der eine, weitab von den tatsächlichen Gräueln des Krieges und voller Optimismus, was die Wirkmacht seiner Generation und der Sprache betrifft. Der andere, Karanović, nach dem unbegreiflich grausamen Bruderkrieg, der so plötzlich und unvorhersehbar über sein Land hereingebrochen war. Der die Bevölkerung desillusioniert, versehrt und eingesperrt in einem zerstückelten, wirtschaftlich geschwächten und von Hass und Misstrauen durchsetzten Land zurückgelassen hat. In so einer Situation schlägt man keine großen oder lauten Töne mehr an. Karanović vermittelt den Eindruck, der hoffnungslose Kampf liegt schon längst hinter ihm und er hat sich geschlagen ergeben müssen.
Es erfolgt der Rückzug in etwas, das wie ein lyrisches Märtyrertum anmutet: Alles, was ich von euch möchte, sind die Schläge, die ihr mir versetzt, lautet z.B. der ein Titel. Es bleibt das Erzählen als letzter Widerstand, der aber auch schon verloren geglaubt wird, bevor er überhaupt wirklich beginnt.
Dieser lyrische Widerstand ist ein sehr leiser, behutsamer. Ein Rückzug ins Intime, als vielleicht letztes unversehrtes Refugium. Wo die äußeren Wunden derart tief sitzen, dass man darüber gar nicht mehr sprechen kann, kann die Verletzlichkeit nur noch in den kleinen Geschichten und Gesten zum Ausdruck kommen. Wie auch Die Schöne des Tages aus dem gleichnamigen Gedicht, die schon mit vielen zusammen war, aber ihre Lippen/ hat seit langer Zeit/ niemand geküsst/ sie hat es geschafft/ dieses kleine Stück Intimität/ für sich zu bewahren.
Die großen Gefühle werden hinübergerettet ins Reservat der kleinen Gefühle, wo sie sicher sind.
Eine merkliche Vorliebe hat Karanović für das Surrealistische und das Cineastische. Den Filmen Lost Highway von David Lynch und der schon erwähnten Belle de jour von Luis Buñuel sind z.B. je ein gleichnamiges Gedicht gewidmet. Marlene Dietrichs Lächeln wird ein Vers gewidmet und in dem Gedicht Vom Regen und vom Ende der Liebe wird ein Held aus einem Godard Film ermordet. Wenn darin dann die Rede von den Alleen mit Violinen im Wageninnern ist, streifen die Texte nicht zum ersten Mal die Grenze zum Kitsch.
In seinem Nachwort bezeichnet der Herausgeber Dragoslav Dedovic Zvonko Karanović als den „präzisesten poetischen Seismographen Serbiens.“ Wenn die Quintessenz dieser serbischen Befindlichkeit in Versen wie diesen mündet: meine Wut kommt nicht weiter als bis zum Wohnzimmer/ die Notizen eines ohnmächtigen Mannes/ die keiner braucht, dann hofft man inständig, dass die nachfolgende Generation wieder die Wut und die Kraft für eine nach außen drängende Lyrik findet, die eine resignierte innere Befindlichkeitserkundung hinter sich lassen kann.
Exklusivbeitrag
Zvonko Karanović: Burn, baby, burn. Übersetzt von Alida Bremer und Matthias Jacob, 140 Seiten, 17,80 Euro, ISBN 978-3-85435-697-4. Drava Verlag Klagenfurt 2013.
Monika Koncz hat zuletzt über »Umstellung auf Rehzeit« von Bob Hicok auf Fixpoetry geschrieben.