Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya.

Roman

Autor:
Jacek Dehnel
Besprechung:
Anja Kümmel
 

Roman

Saturn und seine Erben

13.09.2013 | Hamburg

Die Schwarzen Gemälde, traditionell Francisco Goya zugesprochen, zählen zu den faszinierendsten und zugleich rätselhaftesten Werken der Kunstgeschichte. Welche Grausamkeiten, Alpträume und Gemütszustände mögen den Urheber dazu bewogen haben, derart düstere und verstörende Szenen an die Wände seines Hauses zu malen? Und wie kann Goya diese Bilder selbst produziert haben, wenn diese Wände mutmaßlich erst nach seinem Tod errichtet wurden?

Bei allen Rätseln, die der berühmte Freskenzyklus aufgibt, grenzt es an ein Wunder, dass sich erst jetzt ein Autor daran gemacht hat, dessen Entstehungsgeschichte literarisch zu ergründen. Ein besonderer Glücksfalls, dass es Jacek Dehnel ist, einer der interessantesten Stimmen der jungen polnischen Literatur, der sich an dieses anspruchsvolle und rechercheintensive Projekt herangewagt hat. Bereits der Untertitel seines Romans „Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya“ verrät, dass es sich um weitaus mehr als eine kunstwissenschaftliche Analyse handelt. Vielmehr ist „Saturn“ das sprachgewaltige und psychologisch plausible Porträt einer konfliktreichen Vater-Sohn-Beziehung.

Francisco und sein Sohn Javier sprechen abwechselnd, unterbrochen von vierzehn Betrachtungen zur Schwarzen Serie – weniger Bildinterpretationen als poetische Kontemplation, wobei zunächst unklar bleibt, wer sich hier in den Gemälden verliert. Deutlich fühlbar wird hingegen das Mysterium ihrer Entstehung: „Das Heilige Offizium – man weiß nicht, woher es gekommen ist, aus der Farbe, aus der Tiefe der Wand, unter dem Putz hervor, unter der mit Röschen bedruckten Perkaltapete“.

In der Jetzt-Zeit des Romans lebt der fast achtzigjährige Goya zusammen mit seiner jungen Geliebten Leocadia im Exil in Bordeaux. Zwar ist er schon lange völlig taub, kann kaum noch gehen und trägt drei Brillen übereinander, doch seine Lebensgier und seine Arbeitswut sind ungebrochen. Unter dem Eindruck der Kriegsgräuel, die er in Spanien miterlebt hat, malt und zeichnet er wie ein Besessener gegen den eigenen Tod an. Eine menschliche Fabrik, die sogar im Schlaf arbeitet, indem sie ihre Alptraumphantasien direkt auf Papier überträgt. Wenn Goya nicht zeichnet, schimpft er über seinen nichtsnutzigen Sohn Javier, der kein Talent besitzt, keinerlei Streben nach Höherem, und der es nicht einmal für nötig hält, den alten Vater in Frankreich zu besuchen.

Der in Madrid zurückgebliebene Javier erinnert sich mit einer Mischung aus Groll und Nostalgie an das chaotische Atelier seines Vaters, die dreckstarrenden Pinsel und terpentingetränkten Lappen. „Er schien mir ein Betrüger zu sein, der sich für einen echten Maler ausgab“, fasst er den Eindruck seiner Kindheit zusammen.

In rasanter Folge wechseln sich die Stimmen von Vater und Sohn ab, einander ergänzend, manchmal auch widersprechend. Zusammen ergeben sie ein komplexes Bild beider Persönlichkeiten und ihrer Beziehung zueinander. Mit Abscheu berichtet Javier, wie sich sein Vater, der bekannte Choleriker und Frauenheld, regelmäßig über seine jungen Modelle hermachte, während die Farbe ein wenig antrocknen musste. Der Vater hingegen beklagt an seinem einzigen Sohn, der sich weder für den Stierkampf noch für Frauen interessiert, nicht nur das fehlende Genie, sondern auch seine Verweichlichung und „Unmännlichkeit“.

Erst der Enkel Mariano, der den Roman um eine dritte Perspektive erweitert, kann in Franciscos Augen den Glanz der Familie Goya erneuern. Den melancholischen Javier nennen beide nur abschätzig „die Trantüte“.

Um den Bürgerkriegswirren zu entgehen, zieht sich Francisco 1819 in das „Landhaus des Tauben“ außerhalb von Madrid zurück. Aus Angst vor der Verfolgung durch die Monarchisten setzt er sich schließlich nach Bordeaux ab, wo er seinen Lebensabend verbringt.

Eine klassische Biografie würde hier vermutlich enden. Dehnel jedoch legt an dieser Stelle erst richtig los. Schließlich geht es ihm um das Geheimnis der Schwarzen Bilder. Und dieses ist aufs Engste mit dem Schicksal des „Haus des Tauben“ verwoben.

Um seinen Besitz nicht an die Inquisitoren zu verlieren, lässt Francisco ihn kurz vor seinem Tod auf den geliebten Enkel überschreiben. Mariano jedoch ist die „Bruchbude“ schnell leid und übergibt sie seinem Vater, der sich sogleich ans Renovieren macht. In Javier, so imaginiert Dehnel, erwacht ein zweites Ich, das lange Zeit geschlummert hat. Er, der damals vor den Gräueltaten der napoleonischen Herrschaft die Augen verschloss, wird nun von den jahrelang verdrängten Bildern überrollt. Überall erblickt er „an Scheunentoren Gekreuzigte und Bäume, deren Äste unter dem Gewicht der Gehängten brechen“. Gepackt von einem kreativen Rausch, rennt Javier von Raum zu Raum, von Stockwerk zu Stockwerk, und übermalt die Tapete mit düsteren Landschaften und allerlei schauerlichen Figuren.

So ergeben auch die Bilddeutungen plötzlich einen tieferen Sinn: Etwa das Werk „Duell mit Stöcken“, in dem sich nicht nur die Kriegsereignisse zuspitzen, sondern das ebenso von einem gewaltvollen Vater-Sohn-Konflikt erzählen könnte. Und auch das wohl berühmteste Bild der Serie, „Saturn verschlingt seinen Sohn“, gewinnt in diesem Zusammenhang eine neue, erschreckende Bedeutung.

Kunstgeschichtlich sind dies natürlich Spekulationen – jedoch baut Dehnel seinen Roman so kenntnisreich und zugleich psychologisch glaubwürdig auf, dass man ihm seine Theorien ohne Zögern abnimmt.

Als Mariano das Landhaus besucht, rauben ihm die düsteren Visionen, die mit einem Mal die Wände überziehen, fast den Atem. Angeekelt fragt er seinen Vater, was das sei. Dieser antwortet nur: „Die Wahrheit.“

 

Jacek Dehnel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya.
272 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 9783446243286. Carl Hanser Verlag, München 2013

Anja Kümmel hat zuletzt über Bevor alles verschwindet von Annika Scheffel auf Fixpoetry geschrieben.


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