Fremde Heimat

Texte aus dem Exil

Autoren:
Hrsg: Brigitte Struzyk, Christa Schuenke
Besprechung:
Gerrit Wustmann
 

Texte aus dem Exil

Die Angst der Mächtigen vor der Macht der Wörter.

22.08.2013 | Hamburg

Seit fast fünfzehn Jahren betreibt der deutsche PEN in Kooperation mit anderen Institutionen das Programm Writers in Exile, ein Stipendium, das verfolgten Schriftstellern und Journalisten für bis zu drei Jahre in Deutschland ein sichere Unterkunft gewähren soll. Für viele wird daraus ein Daueraufenthalt, denn eine Rückkehr in die jeweiligen Heimatländer wäre zu gefährlich. Ein großer Teil jener Stimmen, die die Herausgeberinnen Christa Schuenke und Brigitte Struzyk in der Anthologie „Fremde Heimat. Texte aus dem Exil“ versammeln, erlebte Gefängnis und Folter. Sie alle wurden verfolgt und bedroht, weil sie sich in repressiven Staatssystemen nicht zum Schweigen verdammen ließen. Weil sie Verbrechen aufdeckten, Korruption anklagten, sich für Menschen- und Bürgerrechte engagierten. In Deutschland sollen sie den Freiraum bekommen, ohne Angst, Druck und Zensur schreiben und publizieren zu können. Zugleich sehen sie sich mit den Untiefen des Lebens im Exil konfrontiert, entwurzelt, in einer anderen Kultur und Sprache, ohne feste Bezugspunkte. Während das unfreiwillige Exil für einige bald zur neuen Heimat wird, bleibt es für andere nur Durchgangspunkt, ein Zwischenhalt, oft für Jahre oder Jahrzehnte, immer in der Hoffnung, irgendwann zurückkehren zu können.

Von Orientierungslosigkeit berichtet die türkische Autorin Pinar Selek, aber auch von dem unbedingten Willen, die Heimat in sich selbst zu bewahren, sich mit den Herrschaftsstrukturen an unterschiedlichen Orten auseinander zu setzen, während ihr Kollege Ahmet Kahraman nachvollzieht, wie so ziemlich jeder bedeutende türkische Literat des 20. Jahrhunderts mit den Herrschenden aneinander geriet. Oft stehen die Gründe für die Flucht viel mehr im Mittelpunkt als das Exildasein an sich. „Unter lebenden Toten“ betitelt der Chinese Zhou Qing seine Erfahrung aus einem Gefängnis, das kaum einer lebend wieder verlässt, um davon erzählen zu können. Es geht um  Einsamkeit. Es geht um Widerstand.

In Sachtexten, Erzählungen und Gedichten setzen sie sich mit den Gründen für die Exilierung und mit dem Zustand an sich auseinander. Sie kommen aus Iran, Syrien, China, Ukraine, Türkei und weiteren Ländern, in denen die Mächtigen nichts so sehr fürchten wie das freie Wort, das ihre Autorität untergräbt wie nichts sonst, das eine Waffe ist, gegen die Kugeln und Raketen nichts ausrichten können. Physische Gewalt verfängt nicht gegen Wörter, also wendet man sie stattdessen gegen die Urheber an. Man verhaftet, foltert, tötet sie, zensiert oder verbietet ihre Bücher.

Der Iraner Khalil Rostamkhani, der später das renommierte Onlinemagazin Akbare Rooz gründete, übersetzt im Gefängnis Literatur und schmuggelt die kleinen Notizbücher nach draußen obwohl er weiß, dass ihm das eine erneute Haft einbringen könnte, nur damit die Freiheit des Wortes auch hinter Gittern blüht.

Dabei ist das Bewusstsein hierfür innerhalb von Diktaturen wesentlich größer als bei uns: Die Bücher, die das Regime verschwinden lässt sind jene, die gelesen werden müssen, um jeden Preis. In vielen Ländern gibt es florierende Schwarzmärkte für verbotene Literatur, vieles wird über das Internet verbreitet, die Leser gehen mitunter immense Risiken ein, denn wer mit solcher Literatur erwischt wird, dem drohen Konsequenzen.

Umso wichtiger sind Bücher wie das vorliegende, die aus erster Hand dokumentieren, wie es um die Freiheit des Wortes auf der Welt bestellt ist – ziemlich schlecht, noch immer. Umso wichtiger ist es, dass diese Stimmen gehört werden wann und wo immer es nur geht, denn niemand leistet auf der Welt wichtigere Arbeit als der, der Sand in die Zahnräder der Repression streut.

 

Christa Schuenke / Brigitte Struzyk (Hrsg.) „Fremde Heimat. Texte aus dem Exil“, Anthologie des PEN-Zentrums Deutschland, Matthes & Seitz Berlin 2013, 392 S., 24,90 €

Mit Texten von: Alhierd Bacharevič, Pinar Selek, Najet Adouani, Mansoureh Shojaee, Khalil Rostamkhani, Sanath Balasooriya, Ahmet Kahrman, Fethiye Ҫetin, Hamid Skif, Amer Matar, Zhou Quing, Sergej Zolovkin, Itai Mushekwe, Cosmos Eglo, Swetlana Alexijewitsch, Maynat Kurbanova, Claudia Ainajugor Anthony, Jorge Luis Arzola, Adam Guzuev, Amir Valle

Gerrit Wustmann hat zuletzt über »Wenn Gott schläft« von Shahin Najafi auf Fixpoetry geschrieben.


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