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Lyrik
Die Welt im schwierigen Licht – Gedichte von Sabina Lorenz
„Neue Stimmen der deutschsprachigen Lyrik“ will die Lyrikedition 2000 präsentieren. Sie bringt ihre Bücher als books on demand in einem schlichten Design und tatsächlich liegt hier mit „Die Fremde ist ein Ort“ von Sabina Lorenz ein bemerkenswerter Band Gedichte vor, der in einer reifen und ungewöhnlich bunten, experimentierfreudigen Sprache Herz und Verstand für die Moderne behauptet, was nicht zu den einfachen, sondern eher zu den komplizierten Unternehmungen in einer immer mehr in ambivalent erlebbare Fremdheiten weg gleitenden Welt gehört. Sabina Lorenzens Band zeigt, was wir von einer neuen deutschsprachigen Lyrik erwarten dürfen und sollen: Unbekümmertheit und Lust das Gedicht an neuen Plätzen zu versuchen.
Gedichte erinnern manchmal an Quilts, collagierte Stoffreste, wie sie der Zufall und die Not zusammenspülen, nur dass ihr Stoff Reste der Wirklichkeit sind, aber immerhin echte Versatzstücke, die aneinandergereiht neuen Sinn machen. Es ergibt Geschichten, die dann ausgebreitet im Licht das eigene Muster zeigen, überraschende Ornamentik, neuartige Textur, und im Gedicht zu leben beginnen. Diese Geschichten sind das Organische. Sie kommen aus der Mitte der Welt und erzählen, wie sich Leben und Zweifel vermischen, wie sie ineinander wachsen und, das eine so krumm wie das andere, es unmöglich wird, sie zu trennen. Das Ich ist ja ein Schauplatz und Gedichte können einfangen, wie dort das Pendel der Seele einen seltsamen Attraktor abbildet. Sofern man offen und wach ist. Sabina Lorenz weiß der Welt zu begegnen, sie ist ihr „als Gewebe übern Tag gespannt“, wo „entblößte Menschen“ ohne Geheimnis einherdümpeln, aber auch jede Spannung, jeder Zauber möglich ist in den Realitäten des Ichs, die man aufzuspüren hat, gleichwie die Welt sich präsentiert. Das Abklopfen nach Sinn ist ein beiläufiges Geschäft, immer anders und immer neu kann er sein, alte Klischees versagen, „die Taube bringt auch keinen Brief, sondern pickt bloß gedankenlos nach Essbarem.“ - Sinn findet die Welt oft kaum mehr als im Befrieden der niederen Triebe. Aber auch das ist Schein, der sich verliert in den Bahnhöfen der Welt. Wer unterwegs ist und ungebunden, erfährt tapferer die Behauptungen der Zeit und das Wesen der Unzeit. „Ich esse Träume auf Bahnsteigkanten und frage, was das ist: zuhause“. Die meisten Gedichte von Sabina Lorenz sind insgeheim Fragen, auch dort wo sie, fürs Erste, Erzählung oder Schilderung sind. Berechtigte Fragen ohne Schonreviere. Alles liegt versprengt in der Unzeit umringt von schlafenden, roten, toten und auch verkrüppelten Hunden (es gibt diese Hunde überall in den Gedichten). Die treue Seele - ein kläffender Aberwitz, nur durch einen wirklichen Hund zu ersetzen. Durch die Welt streifen „Anzüge ohne Männer“. Inhaltsleer manövrieren sich Spieler durch den Tag und so wird aus dem „Kopf, eine Spuckpfütze im final big bang“, „der Rest war Nacht“.
Um endlich klar zu sagen, was an den Gedichten von Sabina Lorenz so gut ist: sie sind frisch und erster Hand, sie sind gewagt und gekonnt, nicht nur was das Handwerkliche angeht, das uns mit guten Details verwöhnt, wie sie einem nur gelingen, der einen äußerst freien, kreativen Umgang mit dem Material Sprache auf dem Masterplan hat. Aber: „die Sprache allein ist nicht bewohnbar“. Die Gedichte überzeugen auch inhaltlich. Sie werfen oft Fragen auf: was ist in der Welt nicht fremd, weil belanglos geworden? Welche Fragen lassen sich noch sinnvoll stellen? Wenn die Reflektionen tiefer gehen, wenn eine neue Sicht entsteht, die hart neben der Resignation und der Akzeptanz erster Wahrheit vorbei weiter ins Eigentliche zielt, zeigt sich, wer als Mensch und Dichter gleichermaßen wahr ist. Das ist nicht selbstverständlich, es ist sogar gefährlich. Im Offenen zu sein, macht verletzbar. Dichten, wie Sabine Lorenz es tut, macht verletzbar, weil das Gedicht als Gelände da liegt und einlädt und jeder herein kann und vor dem Neuen steht, naserümpfend oder bass erstaunt. Mutige Gedichte sind das und einmalige. „Das ist das Merkwürdige daran“, sagt sie andernorts, würdig gemerkt zu werden.
SUCHST DU
Vielleicht in Bahnhofshallen, dort wohnt
die Fremde. Ankommen, um wegzugehen
und Fahrpläne überall, und noch ein geworfenes
Souvenir (Schneekugel. Plexiglas.) Das Glück
blauer Fleck. Der Rest eines Gesichts, ganz weiß.
Man könnte meinen, wir verschwinden. Ich saß
und drehte eine und das war alles. Verdammte
Koffer, die sich nicht mehr auspacken lassen
ein hungriger Vogelschwarm, vom Himmel
taumeln Federn als fiele Schnee. Verwunderlich
die Dreistigkeit in den Herzen der Großstadtvögel
ein leichter Wind über unseren Köpfen. Ob es ein
unordentlicher Kuss. So sei es. Hätte ich gewusst
dass ich dich suchte.
Es gibt viele Umgebungen für die Nacht. Die Fremde
reicht nur bis zur nächsten Häuserzeile. Da nisten
in den Dachrinnen Tauben. Da brennen Lichter
um vier in der Früh. Die Fremde ist ein Ort.
Sabina Lorenz „Die Fremde ist ein Ort“. Gedichte. Lyrik Edition 2000, München 2007.