Der Humor der Wolken

Lyrik

Autor:
Volker Sielaff
Besprechung:
Frank Milautzcki
 

Lyrik

Wolkengebilde und neu geordnete Zeichen - moderne Poesie aus Taiwan

„Mir scheint das weiße Blatt eine schöne Metapher für die Übersetzung von Poesie und für das Dichten im allgemeinen zu sein“, schreibt Volker Sielaff in der von ihm herausgegebenen Sammlung moderner Poesie aus Taiwan „Der Humor der Wolken“. Da ist nicht an Versinterung gedacht, sondern eher an die Stille, in die Töne gemengt wird und das Unbunte, dem man Farben aufmalt. Das Gedicht ist jenes Gebilde, mit dem die Korrespondenz beginnt, dort wo noch nichts ist, und es führt sie auf seine Weise je nach Kultur und Sprache und Individuum. Das taiwanesische Gedicht muß ein anderes sein und ist vom Grunde her wie jedes andere auch ein universelles.

Der Dichter Ying Di umreißt in einem kurzen Vorwort die Gedichtlandschaft Taiwans und zählt dabei numerisch auf, aus welcher Fülle man gezwungen war Beispiele auszuwählen: ca. 2500 Gedichtbände seien in den letzten 60 Jahren erschienen und ca.1000 Dichter gäbe es unter den rund 23 Millionen Taiwanesen. Man kann in einem Paperback von 102 Seiten, das noch dazu mit Autorenvorstellungen und Vorworten und Bibliographien bestückt ist, wirklich nur ganz kurz anreißen, wie die Lyrik eines Landes geschieht und es ist sicher auch dem Zufall geschuldet, welches Gedicht nun den Weg auf den Schreibtisch eines Übersetzers und dann zu den Papieren des Herausgebers fand. Davon erzählt auch Volker Sielaff in seinen einleitenden Sätzen, wie er auf einem Workshop mit der Übersetzerin Tang Wie zusammentrifft, die ihm ein Gedicht zusteckt, welches er schon auf der Heimfahrt sprachlich verfeinert. Wie sich daraus entwickelt, was dann in die besten Teile dieses Buches fand: ein mehrstufiger Übertragungsprozeß, in welchem dem Übersetzen durch Tang Wie das Nachdichten durch Sielaff folgt, der so schließlich die sprachlich gelungensten Texte der Sammlung hervorbringt.

Gerade mal 12 Dichter/innen findet man in diesem Paperback, von acht Übersetzern in sehr unterschiedlicher Qualität übertragen. Es kann nur eine grobe erste Skizze sein, ein Appetizer.
Ob auf den einsamen Alten Zhou Mengdie (geb. 1921), bei dem das Offensichtliche verschwimmt und die Realität zur Fähre wird, auf der man übersetzt von Moment zu Moment oder auf die international schon bekanntere Hsia Yü (geb. 1956), die das sinnschwere Bauchreden mit Zufallsreden ersetzt (tatsächlich hat sie für ihren Gedichtband „Reibung: unaussprechlich“  den Vorgänger „Bauchrednerei“ Zeichen für Zeichen zerschnitten, Zeichen, die ja in der chinesischen Sprache für Morpheme, ganze Begriffe stehen, und völlig neu zusammengesetzt). Und als Appetizer wurde das Buch gereicht – es lag (sehr unscheinbar) auf der Frankfurter Buchmesse in der kaum frequentierten Halle 6 am Stand der Taipei Book Fair Foundation zur kostenlosen Mitnahme aus.

Es gibt einige lesenswerte Gedichte darin und das macht bei einigen Autoren Appetit auf mehr, wenn auch die Übersetzung bisweilen schwächelt:

HSIA YÜ
Die Zeit tropft zu Boden wie Quecksilber

Als hätte noch nichts begonnen
Im Meer oder auf der Rückseite einer Münze.
Hinter dem Kleiderschrank die Wand in der Wand ein Loch im Loch tief drinnen
Die ersten Falten der Morgensonne im Mai. Das Bett
Unter dem Bett alles voll mit Weisheitszähnen
Sie tritt aus den Illustrationen eines Buches hervor
Dessen falschen Einband nie jemand bemerken wird
Sie lächelt ein nachdenkliches Lächeln, das sagt „Ich habe noch viel viel Zeit.“
Ein baumwollenes Sommerkleid ist naß vom verschütteten Grapefruitsaft
In einer anderen möglichen Vergangenheit –
Meine Augen waren einmal eine erschöpfte Karawane der Abenddämmerung
Ohrringe neigen die Existenz
Begierde reflektiert das Licht
Die Zeit tropft zu Boden wie Quecksilber

(2001)



Originalbeitrag


Hsia Yü liest Gedichte


Volker Sielaff (Hrsg.): Der Humor der Wolken. Moderne Poesie aus Taiwan. Taipei Book Fair Foundation, Taiwan 2009.