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Gedichte
Der Saum des Erreichbaren -
André Schinkel deutet Picassos Künstlertum, der mit dem Pinsel das Licht führte, und erkennt (in der Grotte Chauvet im Tal der Ardèche) „Das heiligste Bild, in einer Galerie verlehmter Ikonen: die Tafeln der Löwen und Mammuts... auf blutiger Jagd“. Tertium comparationis ist die unveränderliche Wahrheit, die schon in der Höhlenmalerei vor fünfunddreißigtausend Jahren galt: Dass das Künstlertum im Leben verankert ist, und umgekehrt, und dass es im Leben wie in der Kunst um Leben und Tod geht. Die Kunst gibt es nicht ohne das andere, die Nichtkunst, das bloße Leben, das sich in seinem Erleben seiner selbst noch nicht bewusst werden kann. Die Kunst kommt immer danach. Nach dem Erlebten. Aber sie fließt nicht nur in sich selbst. Gedichte sind keine bloße Mechanik, sondern bewirken neues Leben. So gesehen wird Kunst auch ein Davor. Sie modelliert den denkenden und fühlenden Lebenden allmählich. Die Utopie solcher Dialektik ist klar: Es ist die Hoffnung auf eine Synthese: Lebenskunst. Schinkel nennt das „Gesamtkunstwerk der Grotte Chauvet... ein Urbild für Erfüllung und Hoffnung auf Befreiung durch die Kunst.“
Das Erfühlte und Geträumte kommt zur Sprache – und so reduziert sich im Selbstgespräch des Dichters der Zweifel an einer hoffnungslos scheinenden Welt. „Was ich gewann“, sagt Schinkel, „ist die Liebe zur Klarheit: die Gedichte, glaube ich, kommen zu mir und sprechen nun mit mir.“ Und mit dem Leser.
Ich habe seit Jahren keinen derart großartigen Gedichtband eines lebenden deutschsprachigen Lyrikers gelesen. Was Durs Grünbein immer mehr verliert, gewinnt André Schinkel: Sinnlichkeit und Überraschung in der Metaphorik, Gedanklichkeit im plastischen Lebensextrakt, Klarheit, stilistische Vielfalt, eine Leichtigkeit der Form, die erreicht wird, weil die Inhalte mit ihr Schritt halten und nicht davonfliegen, in manchen Gedichten wohnt eine heitere Stimmung, Humor entfaltet sich neben dem Ernst dessen, der wirklich etwas zum Leben zu sagen hat, weil er im Leben steht, der eine Sprache hat, die im besten und mehrfachen Sinn des Wortes den Leser unterhält. Diese Gedichte erzählen, erfühlen eine Welt. Sie denken und tanzen. Sie schwingen melodisch im Takt einer natürlichen, wenn auch elaborierten, Sprache. Sie schweigen und sagen viel. Manche sind still, manche lauter, einige sind politisch und klagen leise, niemals aber larmoyant, immer steht ein Geist drüber, dem du vertraust. Alle Verse bewegen dich, wenn du genau hinhörst. Wenn du ganz tief in die Verse hinein liest, streust du den Sand ins Getriebe deines Autismus! Lies die Bilder, die genau sind, von dir!
Originalbeitrag
Das Erfühlte und Geträumte kommt zur Sprache – und so reduziert sich im Selbstgespräch des Dichters der Zweifel an einer hoffnungslos scheinenden Welt. „Was ich gewann“, sagt Schinkel, „ist die Liebe zur Klarheit: die Gedichte, glaube ich, kommen zu mir und sprechen nun mit mir.“ Und mit dem Leser.
Ich habe seit Jahren keinen derart großartigen Gedichtband eines lebenden deutschsprachigen Lyrikers gelesen. Was Durs Grünbein immer mehr verliert, gewinnt André Schinkel: Sinnlichkeit und Überraschung in der Metaphorik, Gedanklichkeit im plastischen Lebensextrakt, Klarheit, stilistische Vielfalt, eine Leichtigkeit der Form, die erreicht wird, weil die Inhalte mit ihr Schritt halten und nicht davonfliegen, in manchen Gedichten wohnt eine heitere Stimmung, Humor entfaltet sich neben dem Ernst dessen, der wirklich etwas zum Leben zu sagen hat, weil er im Leben steht, der eine Sprache hat, die im besten und mehrfachen Sinn des Wortes den Leser unterhält. Diese Gedichte erzählen, erfühlen eine Welt. Sie denken und tanzen. Sie schwingen melodisch im Takt einer natürlichen, wenn auch elaborierten, Sprache. Sie schweigen und sagen viel. Manche sind still, manche lauter, einige sind politisch und klagen leise, niemals aber larmoyant, immer steht ein Geist drüber, dem du vertraust. Alle Verse bewegen dich, wenn du genau hinhörst. Wenn du ganz tief in die Verse hinein liest, streust du den Sand ins Getriebe deines Autismus! Lies die Bilder, die genau sind, von dir!
Originalbeitrag
zum Autorenbuch von André Schinkel
André Schinkel: Löwenpanneau. Neue Gedichte. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2009.