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Gedichte
Die Fahndung ist ausgeschrieben – ein neuer Band Gedichte von Jochen Kelter
Landschaft umgibt uns. Es ist ein Irrtum zu glauben, wir kämen davon mit Lampen und Heizung. Es ist eine um vieles erweiterte Landschaft, aber es ist eine und wir haben immer eine Ahnung von dem was war, was kommt und was ist. Ein Minimalzustand, der sich erweitern lässt, wenn man Fragen stellt. Wie Jochen Kelter, der mit seinen Gedichten die Fragwürdigkeit der Welt abbildet. Man kann und muß sie befragen, sie ist würdig und wertvoll. In die Welt gestellt, an Orten anwesend, und weiter muß man sich kümmern. Zum Beispiel um den Urmoment des Nichtwissens, ihn bewußt zu erleben und bewußt zu ersetzen, auch wenn vieles unfaßbar bleibt – Krieg und Gewalt. „..irgendwo hinter Sarajevo wartet ein Wort...“ Es wartet und wird gefunden. Nirgendwo sind Worte zuviel, weil sie auch Orte sind, an denen etwas geschieht und die man nicht weglassen darf. Sinai, Malta, Mostar. Der elfte September ist ein Ort in der Zeit. Es umgibt uns Landschaft auch aus Zeit und Geschehen.
Jochen Kelter kennt neben dem Wort auch das Scheitern daran. Den übermächtigen Puls und das nie überwundene Tier. Was als Gier nach Salz und Geschmack, Rausch und Geheimnis hineinplatzt in den unfertigen Satz. Dabei ist Sprache kein Zement und keine Blase, zumindest nicht Jochen Kelters Sprache, die von der Prosa herkommt, und sich ohne Punkt und Komma in die Zeilen legt wie Molekülstränge. Lebendiges Etwas das hinwill zu mehr, bis es etwas Eigenes ist. Er hebt darin auf und lässt darin los. Was dort geschieht ist nicht mehr ganz das Verschulden des Dichters. Er lädt uns ein seinen Blick zu teilen auf das Geschehen und wie es sich anfühlt. Atmosphäre ist bei ihm keine Frage des Wie, sondern verwirklicht sich durch das Wie seiner Frage. Das auch Widersprüche zuläßt, weil es sie – ohne Zweifel – gibt.
„Ein trauriger Denker ist hier am Werk, der auf das Zerrinnen der Zeit horcht, auf das Vergehen der Liebe, auf das grausame Wüten der Kriege, auf die lauten und doch vergeblichen Behauptungen einer aufgesetzten Identität.“ schrieb Johanna Lier 2006 in einer Rezension zum Vorgängerband. Daran hat sich nichts geändert. Weil sich Jochen Kelter treu geblieben ist, seine Texte nicht modischen Strömungen anvertraut und er mit seiner Art Lyrik
verwachsen ist. „Eine Ahnung von dem was ist“ nennt er den vorliegenden Band – der intuitiv verharrt in der Betrachtung und dabei die Evidenz schwinden sieht. Er scheint uns aufzufordern das Aufscheinende neu zu sehen, demütiger und ohne zu weichen, weicher und mit großer Entschiedenheit, und was sich paradox anhört, gelten zu lassen als mögliche Art sich zu kleiden. In der „Geschichte des Einzelnen“ finden wir immerhin größere Klarheit, „in Bildern von der Welt / die wir uns machen / und darin nach uns fahnden.“ Stille und Vereinzelung sind die melancholischen Stützpfeifer für das Überleben in einer viel zu lauten Welt.