Den Tag zu langen Drähten

Gedichte

Autor:
Adrian Kasnitz
Besprechung:
Stefan Heuer
 

Gedichte

Den Tag zu langen Drähten – Adrian Kasnitz’ Intermezzo in heimischem Gefilde

Wenn myspace ein Land wäre, dann wäre es das elftgrößte dieser Erde, durchschnittlich 300000 Nutzer werden monatlich Mitglied des erst 2003 gegründeten Portals,110 Millionen sind es derzeit. Die Menge der technischen Information auf der Welt verdoppelt sich – alle drei Tage. Vieles auf der Welt wächst rasant und verändert sich rasend schnell - genau der richtige Zeitpunkt, um Dinge von Beständigkeit in den Fokus zu rücken, an dieser Stelle: die Parasitenpresse Köln. Seit über 10 Jahren geben Wassiliki Knithaki und Adrian Kasnitz in rauem, recyceltem Papier gehaltene Einzelbände, Anthologien und Tonträger heraus, vornehmlich die Lyrik jüngerer Autorinnen und Autoren.

Nachdem Adrian Kasnitz seine vorangegangenen Gedichtbände bei der Lyrikedition 2000 ("Reichstag bei Regen") und beim Yedermann Verlag ("innere sicherheit") veröffentlicht hat, tritt er nun mit dem im Herbst 2009 erschienenen Lyrikband "Den Tag zu langen Drähten" wieder in der eigenen Parasitenpresse in Erscheinung. Rückschritt, höre ich da einige munkeln, ich aber denke: Keineswegs, eher ein Intermezzo in heimischem Gefilde – letztendlich entscheidet eh nur die Qualität, und die stimmt!

Im Presseinfo ist zu lesen, dass es sich bei den 35 alphabetisch geordneten Gedichten dieses Bandes um Gedichte handelt, „die sich dem Thema Provinz / Provinzialität widmen“. Dies ist, hinsichtlich der in den Gedichten geschilderten Örtlichkeiten, nicht von der Hand zu weisen, dennoch folgen die hier versammelten Texte einem weiteren, sie verbindenden Motiv: der Flucht. In der Mehrzahl scheinen es dabei nicht zwangsläufig Fluchten in eine bessere Zukunft zu sein, sie scheinen vielmehr dazu zu dienen, räumliche und zeitliche Distanz zur Vergangenheit zu schaffen. Dabei zeigt Kasnitz sich offen hinsichtlich der Richtung, die es einzuschlagen gilt: ins innere Exil hinter die eigene Haut, aber auch die Flucht nach vorne, mal vorsichtig Schritt für Schritt, mal aber auch gehechtet, wenn die Mauer im Rücken bereits gegen die Schulter drückt und einen Rückzug nicht mehr zulässt. Oft genug scheint dabei bereits der Weg ein erheblicher Teil des Ziels zu sein; die Hoffnung, dass sich schon nach den ersten Schritten Besserung einstellen möge, dass bereits eine Kleinigkeit die herbeigesehnte Veränderung bringen könnte, ist zu erahnen.
    
    
MIT HOHEM C (SAUERLAND)


Komm doch mit die Halme knicken
das Reisig brechen ein Reh
du kannst es kaum ertragen

da unten eine Wasserfläche
zum Zerschneiden mit bloßen Armen
die sich spiegelnden Wolken sag adé

Autobahn sag lebwohl Staumauer
im Frühtau im ersten Licht
das sich durch das Laub schlägt valleri


"Den Tag zu langen Drähten" hält das hohe sprachliche Niveau der vorangegangenen Bände, wirkt im Vergleich zu ihnen jedoch deutlich reduzierter, komplexer, konzentrierter. Der eigene Kopf wird mehr gebraucht als je zuvor – für aufgeschlossene Leser ein angenehmes Gefühl.



Adrian Kasnitz: Den Tag zu langen Drähten. Gedichte. Parasitenpresse, Köln 2009.