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Gedichte
Anders, jedenfalls – und das will man auch so. Beispielsweise „Frenetische Stille“ von Ron Winkler
Nach seinem eigentlichen, erfolgreichen Debüt mit „vereinzelt Passanten“, das 2004 beim Newcomer-Verlag kookbooks erschien, und dem Band „Fragmentierte Gewässer“ (2007, Berlin Verlag) legt Ron Winkler nun in konsequenter Weiterführung seiner bisherigen Arbeiten mit „Frenetische Stille“ bereits seinen dritten Gedichtband vor. Der 1973 in Jena geborene Winkler gehört zu einer jüngeren Lyrikgeneration, die dieses Genre mit neuen Ideen tüchtig aufgemischt haben. Dies gilt sowohl für formale und inhaltliche Textkonstruktionen als auch für die Organisation und Vernetzung durch das Internet, durch die Gründung neuer Zeitschriften und Verlage. Das verstaubte vierstrophige gereimte Gedicht ist längst von poetischen Hypertexten hinweggefegt worden.
Dass Ron Winkler selbst als Anthologist dieser Generation („Neubuch. Neue junge Lyrik“, 2008) sowie als fleißiger Übersetzer amerikanischer Lyrik, insbesondere von David Lerner, hervorgetreten ist, spiegelt sich auch in seinen Texten. Letzteres bewirkt, dass kein bewusstes Anknüpfen an deutschsprachige Lyriktraditionen sichtbar wird. Winklers Texte sind locker, fließend, seine Bezüge vielfältig, international eben – oder man könnte auch treffender sagen: weltumspannend. Die weit reichenden Kontakte zu Lyrikerkollegen sind an den zahlreichen Widmungsgedichten sogar namentlich ablesbar. Diese Form macht Sinn, wenn der Autor wie im Gedicht „Stille Post“ mehreren Schriftstellern direkt antwortet, sie erscheint aber zumindest dann problematisch, wenn sich daraus ein Zitierkartell entwickelt. So lobte jüngst der im Text „zweites urbanes Panneau“ angesprochene Lyriker Tom Schulz Winklers neuen Gedichtband im poetenladen über den grün leuchtenden Klee.
Während Winkler in seinem letzten Gedichtband schwerpunktmäßig das Naturgedicht mit technischem und naturwissenschaftlichem Sprachmaterial dekonstruierte, lässt sich die Charakteristik der neuen Sammlung nur schwer benennen. Das inhaltliche Spektrum ist breiter geworden, formal treten neben kurze, ein- oder zweizeilige Notate immer wieder Langgedichte mit prosaisch anmutenden Textpassagen. Dabei gelingt die Verknüpfung von Inhalt und Form nicht immer überzeugend. So bleibt das Gedicht „weil es New York ist“ inhaltlich einem Zirkelschluss verhaftet und endet schließlich tautologisch. Eingebaute Sätze wie „New York ist nicht ein York, das neu ist.“ wirken dabei kaum originell. Auch in anderen Texten vermisst man ein wenig von dem Esprit, der Winklers Lyrik sonst auszeichnete. Beispielsweise schleppt die Anapher „sag“ in einem weiteren Gedicht den Leser doch eher mühsam zur nächsten Zeile. Formale Neuerungen sind senkrechte und waagerechte Trennstriche sowie Einfügungen in eckigen Klammern; beide erscheinen eher als spielerisches Element denn als Stilmittel. Winklers assoziatives Vorgehen gebiert immer wieder Neologismen wie „Subtilitätsingenieure“, „Wohnsprache“, „Stromkerne“, „Übelmaschine“ oder „Hungerdolmetscher“, ohne dass im semantischen Zusammenhang deutlich wird, dass sich daraus wirklich Erkenntnisfunken schlagen ließen.
„Es bleiben phantastisch-groteske Sprachwelten, paradoxale Strudel, die einer Traumlogik zu gehorchen scheinen.“, behauptet der Klappentext. Oftmals bleiben aber lediglich sprachexperimentelle Versatzstücke in den Texten zurück, die gelegentlich ein wenig zu selbstverliebt und ein stückweit ziellos daherkommen. Frenetischer Jubel bleibt aus.
Bei allen kritischen Einwänden ist jedenfalls festzuhalten, dass sich Ron Winkler mit seinen drei Gedichtbänden in eine exponierte poetische Position gebracht hat und man darf gespannt sein, in welche Richtung er sich weiterbewegen wird. Seine Gedichte besitzen zumindest einen ausgesprochen eigenständigen Duktus, sie sind im besten Sinne anders.
Originalbeitrag
Ron Winkler: Frenetische Stille. Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2010.