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Gedichte
Das genaue Quantum Poesie - im Fahrwasser von Michael Hillens Gedichten
Recht unauffällig und einem Verlag für Pferdeliteratur angegliedert präsentiert sich die Silver Horse Edition in Marklkofen. In seiner Lyrik-Reihe mit niedrigpreisigen, auf jeweils 100 signierte Stück limitierten Broschüren, hat Verleger Peter Ettl, selbst ein ausgezeichneter Lyriker, bereits einigen wundervollen Bänden ans Licht verholfen. Immerhin 14 Stück sind bis heute erschienen, die nach und nach zu entdecken jedem Lyrikfreund wärmstens ans Herz gelegt sei. Es geht hier nicht um lyrische Innovation und einem weiteren Experimentierfeld hermeneutischen Sprechens, sondern um Stimmen der Moderne, die nicht in der Erarbeitung bislang unbekannter Verfahren vom Gedicht zum kryptischen Text verdriften, sondern - eher traditionell - das einzelne Gedicht als Ereignis und poetische Zeichen nach wie vor als Bestandteil des alltäglichen Lebens erkennen wollen.
Es ist viel geschrieben worden über eine Kluft zwischen urbaner und nicht-urbaner Lyrik, zwischen Hinterland und Hauptstadtgeschehen, eine Kluft, die es so nur in Lektoren- und Jurorenhirnen, aber nicht tatsächlich gibt. Daß Dinge unterschiedlich klingen hat natürlich mit Instrumenten und Kontext zu tun, plugged oder unplugged, laut oder leise, mit Umfeld und Akustik – so unterschiedlich musiziert wird auf der Welt, so unterschiedlich wird Lyrik geschrieben. Dennoch liegt allem der gleiche Prozess zugrunde. Der gelernte Tenor wird sein Publikum genauso begeistern, wie der DJ an seinen turntables die ekstatisch tanzende Masse im Club. Wenn er seine Sache richtig macht. Und darum geht es: es gibt guten Blues und auch miserablen, es gibt authentische Songs und weniger authentische, es gibt gut gemachte Musik, die klinisch wirkt und mich gar nicht berührt und raue, kraftvolle, aber weniger gut gemachte, die mich taumeln lässt. Kein Mensch käme auf den Gedanken in seinem Leben nur eine Sorte Musik zu hören. Sich auf eine Spielart der Lyrik festzulegen heißt, sich um tausende Melodien zu bescheißen. Man ist als Leser wie als Lyriker besser dran, wenn man sich eine Virtuosität aneignet, die ermöglicht das Traurige wie auch das Aggressive, das Bellende wie auch das Zarte in sich finden zu können, im Umgang mit sich selbst, dieses Selbst, das ja das Instrument der Sprache ist. In uns wird die Sprache zu unserem Schlagwerk und unserem Englischhorn, zu unsrer Stimme und unserem Mellotron – entscheidend ist unser Spiel. Ob das in urbanen Häuserschluchten geschieht oder unter ländlichen Brücken, in Gefängnissen oder Palästen, ist für die Qualität des Spiels nicht wirklich bedeutend, wohl aber für den Kontext, ob er zu dem unseren passt oder nicht. Worauf man sich einläßt. Ich kann mich von einem Bigband-Sound cool durch eine Bar swingen lassen und tagsdrauf mit Peter Fox im CD Player unter den Linden mit meiner Karre gen Westen cruisen. Ich kann mit dem Saxophon-Sound eines Straßenmusikanten durch die U-Bahnröhren verhallen oder mit Randy Coleman an der Klampfe von der Bitterkeit des Verlassenseins schluchzen. Je mehr und differenzierter ich unterschiedlichste Musik höre, umso reicher ist mein Leben an fremder und eigener Poesie. So ist das auch mit der Lyrik.
Die Irritation gehört dazu. Immer wieder muß ein Lyriker irritiert sein. Erst dort wird er inspiriert. Michael Hillen hat diese Momente in wunderbaren Gedichten eingefangen und nun in dem Band „Ablegende Schiffe“ zusammengebracht. Das ist zwar old style, der sich auf die situationsgebundene Poesie verlässt, aber eben exzellenter und authentischer old style und kein billigeres Retro. „Hillen gehört zu den wenigen deutschen Lyrikern mit einer knappen, lakonisch-präzisen Sprechweise, meist der Prosa nahe.“ charakterisierte vor Jahren einmal Matthias Kehle nicht unzutreffend. Für mich gehört Michael Hillen zum Besten, was die Spielart seiner Lyrik seit langem hervorgebracht hat. Das hat Geist, Witz, eine genaue und klare Sprache. Und in jedem einzelnen Text eine genaues Quantum Poesie, nicht zu wenig und nicht zu viel, harmonisch und ausbalanciert.
unkenntlich
an fernen meeressäumen
wandelnde steinesucher. in dieser welt –
die füße in schaumkronen,
das weiße licht, der beruhigte
zeitatem, inmitten der redseligen
stummen zeugen – wille und vorstellung
gewandelt zurückzubleiben
und kehren heim
als dieselben, im handgepäck
unkenntlich gewordene steine
Hillen ist ein feiner Beobachter, der wirklich Anteil nimmt und dem selbst ein altes Ehepaar, das sich um seine Balkonblumen kümmert, während ringsum schon die Abrissbirne wütet, Grund für ein Gedicht ist. Da sind Kerzen angezündet und Fotos als Stellvertreter vor den Gekreuzigten in die Steinbodenritzen einer Kathedrale gesteckt und bitten „um die tägliche beschützung / in der unwirtlichkeit von himmel / und erde.“ – aber „müde fällt dunkles licht / auf die glasierten wunden“ – poetischer kann man den Kirchenglauben in seinem eigenen Kontext kaum entzaubern.
Wieder ist eine unscheinbare Broschüre in der Silver Horse Edition in Wahrheit ein Kleinod.
Originalbeitrag
Michael Hillen: Ablegende Schiffe. Gedichte. Silver Horse Edition, Marklkofen 2009.