weitere Infos zum Beitrag
Gedichte
Sinn läßt sich finden - Verdrehter Alltag in Thomas Brunnschweilers Anagrammen
Die Geburtststunde des Anagramms vermutet man beim alten Lykophron aus Chalkis, der für seinen König Ptolemaios, den II., ein Anagramm angefertigt haben soll, bei dem er die Buchstaben des Namens Πτολεμαίος in die schmeichelnde Reihenfolge απο μελίτος = von Honig brachte. Es ist heute strittig ob dieser Lykophron des Wortspiels identisch ist mit jenem Lykophron, der das düster-apokalyptische Gedicht Alexandra verfasste, in dem die trojanische Seherin Kassandra das angstvolle Dunkel des Untergangs weissagt und welches von einem “von Archaismen, Dialektformen und Neologismen überbordenden Wortschatz” geprägt ist - “von den 3000 Wörtern des Gedichts erscheinen immerhin 518 nur hier, weitere 117 hier zum ersten Mal”, weiß wikipedia. So viel Wortverliebtheit. Es würde zueinander passen, aber man glaubt heute diese Dichtung so genau datieren zu können, daß der Anagramm-Dichter aus Chalkis zugunsten eines jüngeren Namensvettern ausscheiden muß.
Wie man Anagramme erzeugt? Man nimmt die Buchstaben eines Wortes und würfelt sie durcheinander, bis sie einen anderen Sinn haben. Heute nehmen uns Anagramm-Generatoren im Netz die Mühe ab – sie arbeiten zunächst nach streng mathematischen Modellen, permutieren alle mögliche Kombinationen durch ( so birgt ein Wort aus 10 Buchstaben rein mathematisch 3628800 mögliche Buchstabenvariationen) und filtern die Ergebnisse durch nachgeschaltete Wörterbücher. Heraus kommt eine Auswahlliste und nach langer Suche findet man unter “Kongresswahlen” vielleicht auch “senken Sarg wohl” – nachdem man hundertfachen Unsinn durchkämmt hat.
Zwar arbeitet der Anagrammdichter mit dem “Material Sprache”, aber er ist dabei genau derjenige, der nach Sinn sucht und hellwachen Auges zusieht, wie aus dem “Material” doch wieder Sinngut wird. Der Anagrammdichter ist ein Meister des Möglichen – er muß Zusammenhänge riechen können, wo andere nur wirre Muster sehen. Er muß Sprache loslassen und geschehen lassen können und geduldig angeln.
Der Anagrammdichter benutzt keine Generatoren – sie nutzen ihm nichts, weil er ganze Sätze anagrammiert. Aus “Ich sehe was, was du nicht…. “ wird “Wie wach ist das Huschen?” - bei Thomas Brunnschweiler, dessen AlltagsWorte 2009 im Verlag Martin Wallimann erschienen sind. Er greift alltägliche Satzwendungen auf, Floskeln, jedem Vertrautes wie “Wer nur den lieben Gott …”, “Im Zweifel für den …”, “Könnten wir nur wissen …”. So wird aus “immer wieder sonntags” – “mordet Wagnis Miseren”; ja, Miseren, die man am Wochende überwindet mit dem Mut zu einem Date bspw. --- Sinn läßt sich finden. Das ist eine allgemeine Eigenschaft der Sprache: in ihr geschehen Dinge, weil in ihr Dinge aufgehoben sind. Sie ist kein klinisches Konstrukt aus Material, sondern trägt Information. Und die Kollisionen in ihr hinterlassen immer mehr als nur Blechschäden. Es entstehen wilde Orgien fast wie Feuerwerke und zerdepperte, nebelgraue Schutthaufen.
“In der poetischen Technik des Anagramms haben die simultanen Konzepte der ars combinatoria den Höhenflug des linear-kausalen Prinzips stets mit dissidentem Esprit konterkariert” befindet Stephan Krass (Texter des Poesieautomaten im Literaturmuseum der Moderne in Marbach) in seinem lesenswerten Nachwort. Damit werden die Signalfälschungen der experimentellen Lyrik der vergangenen Jahrzehnte deutlich entlarvt – Text ist eben nicht einfach nur Text, sondern auch ein Feld innerhalb einer Möglichkeitswelt.
Das betritt der Anagrammdichter und schleppt seine Funde mit verschlammten Füßen ins Gedicht.
Thomas Brunnschweiler hat mit AlltagsWorte einen Band vorgelegt, der tausenderlei überraschende Momente zusammenführt, wo auf den ersten Blick die Zeit schon abgelaufen schien. Den Monopolen des Alltags gewinnt er einen Dipol ab: eine erspielte Verfasstheit, die neue Sinnfelder trägt.
„Es war mal ein Dichter, / der war manisch eitel.“
Nicht alles in den Versen von Brunnschweiler ist so nah beieinander- er will das überhaupt nicht, sucht eher die Nähe zum Kryptischen, weil es zur Lyrik gehört, und es sind tatsächlich lyrische Regionen, wohin er treibt und manchmal - kalkuliert und augenzwinkernd - in die Vermutung des nonsense oder des bloßen transposal (wie man angloamerikanisch nicht wirklich sinnverflochtene Anagramme nennt), riskiert was, um dann doch restlos überzeugend im Gedicht zu landen. Manche Zeilen geraten dabei so dicht, daß man das Buch nicht an einem Stück lesen kann. Die Zeit, die der Dichter benötigt, um ein brauchbares Anagramm zu finden, läuft beim Lesen im Hintergrund mit. Es ist der eigene Kopf, der rückrechnet und sich vergewissert. Er will etwas wissen, von diesem Spiel.
Blumen und Gräser
Reben, Gras und Ulme
ergeben rundum als
Slumbänder Grün.
Baumgrün: DNS leer.
Lebensraum-Erdung:
Erle und Samenburg,
Amsel, Rübengrund,
Rebe, umlagernd uns,
blau regnend Serum.
Neuer ums Bergland:
blau Segen murrend.
Das Buch wurde illustriert von Dorin Raileanu, der in der Kreativwerkstatt des Bürgerspitals Basel, einem kreativen Produktionsbetrieb, in dem Menschen mit einer Behinderung künstlerisch arbeiten, seine Werke erstellt. Er hat wundervolle Skulpturen aus Sperrholz und Schaltafeln gesägt. Auch hier überzeugt er mit reduzierten Zeichnungen, engelhaften Krakelmännchen und kammfüßigen Seelöwen, die Krakenpfeile im Mund balancieren, poetische Miniaturen voller Raum und Luft, Urwesen aus Nichts und Dazwischen.
Das Buch erschien in dem kleinen Verlag Martin Wallimann, dessen Programm viele Entdeckungen bereit hält und dem man gerne dankt, für diese wunderbare Arbeit an gleichfalls wunderbaren Büchern.
Originalbeitrag
Thomas Brunnschweiler: AlltagsWorte. Anagramme. Verlag Martin Wallimann, Alpnach 2009.